: Beim Absturz blieb die Kartoffel im Hals stecken
Nach Absturz eines „Phantoms“ nahe Stade trat Hobby-Landwirt Otto in den Hungerstreik / Er will so lange weitermachen, bis Politiker ernsthafte Bemühungen gegen Tiefflugwahnsinn zeigen /Nachbarn solidarisch ■ Aus Bokel Ute Scheub
„Die Jungs sind ein paar Minuten vorher über unseren Hof gedonnert“, sagt Landwirt Patric Kurt Otto aus dem schleswig -holsteinischen 400-Seelen-Dorf Bokel (Kreis Pinneberg). Bauer Otto spricht über die Bundeswehr-„Phantom“, die am Dienstag vergangener Woche in unmittelbarer Nähe des Schrottreaktors Stade und somit knapp an der Katastrophe vorbei runterknallte. „Als ich in den Abendnachrichten von dem Absturz hörte, ist mir die Kartoffel im Hals steckengeblieben. Ich fühlte mich so wütend und so ohnmächtig, daß ich gleich etwas tun wollte. Die Zeit, Leute anzurufen und zu einer Aktion zu bewegen, hatte ich nicht mehr.“
Seitdem befindet sich Bauer Otto im Hungerstreik. Und den will er durchhalten, „bis von den Politikern auf Kreis-, Land- und Bundesebene ernstzunehmende Zusicherungen kommen, daß sie sich für eine Beendigung dieses Wahnsinns einsetzen. Bisher jedoch hat sich noch keiner bei mir gemeldet, auch kein Mitarbeiter von Engholm, der vor der Landtagswahl in diesem Punkt noch so groß getönt hat. Ich möchte erreichen, daß in Schleswig-Holstein das Gleiche passiert wie im rheinland-pfälzischen Landtag, der eine Resolution gegen Tiefflüge verabschiedet hat. Aber die Politiker haben bei der Fliegerei schon so viele Tote inkaufgenommen - es scheint ihnen egal zu sein, wenn noch einer drauf geht. Wenn sie mich opfern wollen - dann kommt halt der Notarztwagen.“
Als Zeichen, daß er es ernst meint, nimmt der 35jährige nun auch keine Milch mehr zu sich, wie noch letzte Woche. Jetzt trinkt er nur noch Mineralwasser, „literweise“. Seinen Humor hat Patric Otto noch nicht verloren. „Naja, am Wochenende ging es mir ziemlich schlecht mit dem Kreislauf“, räumt er ein. An die zehn Kilogramm büßte er seit letzter Woche ein, und viel abzuspecken hat der drahtige Mann eh nicht. „Die Nachbarn haben zu meiner Freundin gesagt, sie soll mich nicht alleine in den Schweinestall lassen. Wenn ich im Stall umkippe, knabbern mich die Viecher an.“ Wegen akutem Mineralmangel ließ er sich von seinem Arzt Mineralpräparate verschreiben. „Seitdem geht's besser.“
Otto ist das, was man einen Aussteiger nennt. Früher freier Reisejournalist, hatte der gebürtige Österreicher irgendwann „die Nase voll von dieser Szene“ und mietete sich im Herbst letzten Jahres mit seiner Lebensgefährtin, einer Erzieherin, den „Johanneshof“ in Bokel. Statt um Farbglanzreportagen kümmert er sich nun um einen Biogarten, eine Schafherde, sechs Schweine, ein Dutzend Gänse und 50 Hühner. Im Gegensatz zu manch anderer Gestalt aus der Ökoszene wirkt Patric Otto überhaupt nicht in sein Müsli verbissen, sondern offen gegenüber dem Leben und seinen Genüssen. Auch seine Aktion scheint seiner Spontaneität zu entspringen. Natürlich könne er von diesem Hof nicht leben, sagt er. Die Freundin verdiene, er sei Hausmann. Das Geld sei knapp, „aber das macht nichts, wir haben hier Spaß.“
Wenn die Tiefflüge nicht wären. Der Johanneshof liegt genau unter einer Tiefflugschneise, mehrmals am Tag donnert Bundeswehr-Terror übers Haus, bringt seinen Sohn zum Schreien und seine Lämmer auf der Weide zum Rasen - „ich hab auch schon mal eins im Stacheldraht gehabt“. Bei der erlaubten Flughöhe von 75 Metern und dem dabei erreichten Geräuschpegel von 110-130 dezibel ist die Schmerzgrenze längst überschritten, „aber nichtmal daran halten die sich. Die fliegen hier nur noch 30 Meter hoch, knapp über die Baumspitzen“.
Besser gesagt: sie flogen. Über eins wundert sich der Hobby -Landwirt: „Seit ich im Hungerstreik bin, haben sie aufgehört.“
Dies liegt allerdings weniger an seinem Streik als am Wetter oder der Tatsache, daß nach Abstürzen die Flüge für drei bis fünf Tage eingestellt werden. Jedenfalls machen zur Zeit in der ländlichen Idylle nur noch die Autos Lärm. Eins parkt quietschend vor der Tür, eine Frau bringt die aktuelle Ausgabe der hiesiegen „Barmstedter Zeitung“. Bundestagsabgeordnete: „Wir nehmen den Hungerstreiker aus Bokel ernst“, verkündet groß der Aufmacher. In den Lokalmedien und in der Bevölkerung hat Patric Otto viele UnterstützerInnen: „Die leiden doch alle unter dem gleichen Problem.“ Er überfliegt den Artikel. Lilo Blunck von der SPD macht sich „große Sorgen“ um ihn, Ingrid Roitzsch von der CDU bietet ihm an, er solle ihr schreiben, dann werde sie den Brief an Verteidigungsminister Scholz weiterleiten. Patric Otto schüttelt den Kopf: „Dafür brauch ich keine Boten. Das ist mir zu wenig. Ich mach weiter“. Und trinkt einen großen Schluck. Daß sich ein Mitarbeiter des Verteidigungsministeriums bei im meldet, ist jedoch so gut wie ausgeschlossen. „Wenn der Bauer bei uns anruft oder uns schreibt, dann werden wir mit ihm sprechen, aber nicht aufgrund eines Hungerstreiks“, erledigt Herr Trittermann, Pressesprecher der Luftwaffe, für sich diesen Fall. „Und wenn die Tiefflüge dort aufgehört haben, dann kann er ja wieder anfangen zu essen.“
Auch weil er damit „was schriftlich vorzuweisen“ hat, freut sich Patric Kurt Otto über Solidaritätsbriefe: Johanneshof, 2205 Bokel.
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