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Dieser Balkon ist besetzt

■ Ohne Vorinformation der Bewohner der Liegnitzer Straße 17 schickte die Hausverwaltung eine Baufirma zum Abriß der Balkone / Die Abbrucharbeiten wurden durch Besetzung gestört

Am 8.Juli wurde den MieterInnen des Hauses Liegnitzer Straße 17 die Renovierung der Vorderhausfassade angekündigt. Die Hausverwaltung Geißler - „Wir hoffen sehr, daß sie diese Maßnahme begrüßen“ - verblieb „mit freundlichen Grüßen“ und tatsächlich wurde die längst überfällige Renovierung des stuckverzierten Jahrhundertwendebaus von den BewohnerInnen begrüßt. Das änderte sich jedoch schlagartig, als am Donnerstag nach Erstellung des Gerüsts die Baufirma unversehens mit den Arbeiten begann: Ein Arbeiter forderte eine Bewohnerin des zweiten Stocks auf, ihre Blumenkästen vom Balkon zu räumen, der werde nämlich jetzt abgerissen.

Ein sofortiger Anruf bei der Hausverwaltung, in deren Schreiben von Balkonabriß keine Rede war, blieb erfolglos; hier wartete, wie üblich, nur der Anrufbeantworter. Daraufhin fuhren Mieter des zweiten und dritten Stocks (alle anderen waren in Urlaub oder auf Arbeit) zum Amtsgericht Kreuzberg und erwirkten eine einstweilige Verfügung allerdings nur für den zweiten Stock, da der Mieter der dritten Etage seinen Mietvertrag nicht dabei hatte.

Unterdessen hatten die Abrißarbeiten im dritten Stock begonnen, der Bauleiter ließ sich davon auch nach Vorlage der Verfügung nicht abhalten, die gelte ja nur für den zweiten Stock. Die Mieterin des ersten Stocks erfuhr erst am Abend von dem geplanten Abriß und begab sich, weil ein Nacht -Richter nicht zu finden war, am nächsten Morgen um 7.30 Uhr zum Gericht.

In der Zwischenzeit hielten sich eine Mitbewohnerin und andere Mieter auf dem Balkon auf, um einen Abriß zu verhindern. Trotzdem wurden die Seitenteile des Balkons demontiert. Die herbeigerufene Polizei weigerte sich, eine Anzeige wegen Hausfriedensbruchs aufzunehmen. Die Polizei wies die Baufirma nur an, die Balkone, für die einstweilige Verfügungen vorlägen, nicht abzureißen.

Das Stadtplanungsamt Kreuzberg hatte den Antrag des Hausbesitzers Georg Mielke auf Abriß der Balkons im Vorjahr abgelehnt, sein Widerruf wurde vom Bausenat „aus wirtschaftlichen Gründen“ akzeptiert und das Kreuzberger Amt unter Hinweis auf ASOG angewiesen, Genehmigung zu erteilen. Ein persönliches Schreiben des Baustadtrats Orlowsky an die vorgesetzte Behörde, die außergewöhnliche Fassade nicht durch Balkonabriß zu verschandeln, blieb fruchtlos. Der im Zuge der Bauskandale mittlerweile zurückgetretene Staatssekretär Krause befand, daß „französische Gitter“ zur Erhaltung des Stadtbilds durchaus ausreichend seien. Die Mieter lassen sich davon nicht abschrecken, sie wollen für ihre Balkons auf die Barrikaden gehen.

Rolf Achteck

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