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PEGGY IN DER SALATSCHÜSSEL

■ Ruth Bernhards „Eternal Body“ im Amerikahaus

Die Geschichte von Ruth Bernhards Aktfotografie beginnt mit einem Foto von 1934, das durch seine surreale Komposition und die vollendete Geschlossenheit der Formen berührt: in einer großen, metallisch glänzenden Schüssel liegt zusammengerollt eine junge Frau. Ruth Bernhard, die damals als Fotografin für Industrie-Design arbeitete, erinnert sich: „One day they sent me a large stainless steel bowl, like a huge mixing bowl for making salads in hotels. My friend Peggy came by and I said 'Why don't you get in this bowl?‘ She said 'Great‘, took off her clothes, and jumped in. It was just a spur-of-the-moment thing.“ Diese Anekdote über die zufällige Entdeckung der Aktfotografie, die die inzwischen 82jährige Bernhard ihrem Interviewer vom American Photographer (erschienen April 1988) so locker erzählte, als würde sie über ein Limonadenrezept plaudern, ist eine ebenso wirkungsvolle Komposition wie das Bild selbst: In dem Bild finden sich schon die Elemente, die Bernhards Akte in über 40 Jahren Fotografie immer wieder prägen.

Das schimmernde Rund der Schüssel birgt schützend den lebendigen Leib. Es gibt in den späteren Bildern kaum Requisiten; aber der Körper der Frauen ist fast immer als geschlossene, schützende, zirkuläre Form komponiert. Nie kreuzt sich der Blick des Betrachters mit dem der Modelle, nie wenden die Frauen ihr Gesicht der Fotografin zu. Die geneigten Köpfe, die verschatteten Gesichter, die abgekehrten Blicke vollenden die Inszenierung der Frauen als in sich ruhende Wesen, die sich auf ihren eigenen inneren Mittelpunkt beziehen. Der Körper der Frau als geheimnisvolle Chiffre des Lebens. Ruth Bernhard beschrieb, daß sie in den Akten den Ausdruck des Lebens ebenso sammle wie in den Pflanzen, die sie in den verschiedenen Entwicklungsstadien in ein Album gepreßt habe: „I had a little book in which I pasted grass seeds every spring, summer and fall. I was interested in how they progressed. To me, the nudes were only a progression of that kind of thinking. I think we are seeds pods, human seed pods. We are the past, the present and also the future, because out of our bodies, our seeds, come new babies.“ (Aus dem Interview des American Photographer) „The Eternal Body“ lautet denn auch in Betonung dieser Hymne auf die unendliche Fruchtbarkeit des Lebens der Titel der Ausstellung. In „Harvest“ von 1953, das in einer Doppelbelichtung über den Bauch einer Schwangeren ein Kornfeld projeziert und in „Seed“ von 1971, das eine Schwangere der Flower-Power-Generation mit im Schoß ruhenden Händen und in einem ovalen Format zur kaum noch erträglichen Ikone der Mütterlichkeit inszeniert, findet sich diese Verehrung der Fruchtbarkeit am deutlichsten ausgeprägt.

Dieser konservativen Ideologie von der Frau als Hüterin des Lebens und Hort der natürlichen Reproduktion entspricht die Klassizität ihres Stils der schwarz-weißen Fotografie. Im fast leeren Raum modelliert nur das Licht die Körper und verleiht ihnen oft eine Aura. Ihr „Draped Torso“ (1962), ein Rückenakt mit geneigtem Kopf und Faltenwurf ab der Hüfte, beansprucht schon antike Harmonie. Bernhard suchte oft den Moment der klassischen Pose und ließ die Modelle nach der Ästhetik des Balletts ihre Glieder arrangieren. Sie hüllte die Modelle in durchsichtige Schleier, nasse Tücher oder Folien; diese transparenten und zarten Häute schlossen sie noch ein Stück mehr von dem sie umgebenden Raum aus und erhöhten sie zu einer einzigartigen, monolithischen Erscheinung. In einigen Fotografien, besonders aus den sechziger und siebziger Jahren, wurde Bernhard auch zur abstrakten Bildhauerin, indem sie nur einige Formen ins Licht schob und der übrige Körper im Schatten blieb. Diese Entindividualisierung der Modelle und dem Guß ihrer Körper in die idealen tradierten Proportionen, ihrer Verwandlung in Kunstobjekte widerspricht die Rede der Fotografin von Freundin Peggy in der Salatschüssel. Die persönliche Beziehung, die da zwischen Modell und Fotografin bestand, schließt sie in ihrem Kunstwollen und der von ihr dirigierten Gestaltung aus.

Die Ausstellung „The Eternal Body“ hatte 1986 im San Francisco Museum of Modern Art Premiere und war danach in Chicago, New York und Zürich zu sehen. Ruth Bernhard, 1906 in Berlin geboren, folgte 1927 ihrem Vater, dem Graphiker Lucien Bernhard, nach New York. Sie lebte in New York, Hollywood und San Francisco, und neben ihrer freien Fotografie arbeitete sie als kommerzielle Fotografin und unterrichtete. Ihre Lehrtätigkeit, in der sie sich selbst als 'dedicated gardener for my students‘ sah, galt ihr selbst als das wichtigste. Erst in den späten siebziger Jahren 'entdeckte‘ man ihre künstlerische Fotografie und Ausstellungen begannen, die die größte Aufmerksamkeit ihren Akten widmeten. Ich vermute, ihre Wiederentdeckung kam einer konservativen Ideologie von den reproduzierenden Aufgaben einer Frau gerade recht, und sie konnte als Priesterin der Unvergänglichkeit des Lebens gefeiert werden in einer Zeit, in der einem eher von der Bedrohung und Zerstörbarkeit des Lebens die Ohren gellen.

Katrin Bettina Müller

„The Eternal Body“ von Katrin Bettina Müller, 50 Akte und 20 Landschaftsfotografien. Mo-Fr 11-17.30 Uhr, bis zum 6. August.

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