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Ein Medium verliert seine Legitimation - Das Warten auf bessere Zeilen ist vorbei

■ Die taz als bisher alleinige Trägerin des Kontos „Waffen für El Salvador“ überträgt das Konto einem noch zu gründenden Trägerverein. Die Trägerschaft des Kontos muß geändert werden, um anderen Medien die Unterstützung des Waffenkontos zu ermöglichen. Antrag der El Salvador-Solidaritätsgruppen auf dem Nationalen Plenum der taz im Mai 1988

Wir wollen aus der Kampagne „Waffen für El Salvador“, die durch die taz zu einer Institution geworden ist, wieder eine lebendige Initiative machen. Sie soll von einem breiten Kreis von Zeitungen, Zeitschriften und Radios unterstützt werden und dazu beitragen, die Diskussion über die Entwicklung der Kämpfe in El Salvador wieder intensiver zu führen. Dies ist kurz gesagt die Idee, die auf dem Bundestreffen der El Salvador-Solidaritätsgruppen Anfang März dieses Jahres entstanden ist.

Ausgehend von der aktuellen Situation in El Salvador geht es uns darum, unsere Solidarität auch hier zu verstärken. Das Waffenkonto hat seit seinem Bestehen kontroverse Diskussionen ausgelöst, die zu dem nicht nur materiellen Erfolg dieser Kampagne beigetragen haben. Die Auseinandersetzung heute hat sicherlich andere Schwerpunkte als 1980. Durch die Mobilisierung zum IWF-Kongreß im September ist vielen die wirtschaftliche Abhängigkeit der Länder im Trikont bewußter geworden. Die Grenzen und Schwierigkeiten nationaler Befreiungsbewegungen, auch nach einem Sieg innerhalb dieser Abhängigkeiten zu agieren, sind am Beispiel Nicaraguas offensichtlich. Diejenigen, die diese Grenzen bestimmen, sind aber nicht in Nicaragua zu suchen, sondern sitzen hier in den Metropolen. Das muß sich in unserer politischen Praxis hier ausdrücken. Unser Kampf gegen das Kapital und unsere Solidarität für die revolutionären Prozesse weltweit gehören zusammen.

Ein praktischer Ausdruck dieser Solidarität ist die Kampagne „Waffen für El Salvador“, die wir wieder offensiv führen wollen. Innerhalb der letzten drei Monate ist aus der Idee ein konkretes Projekt geworden. In dieser Zeit haben wir intensive Diskussionen mit Medien, die dieses Projekt unterstützen wollen, geführt, juristische Fragen geklärt wie z.B. die Gründung eines neuen Trägervereins, und einen Aufruf geschrieben. Nicht zuletzt war unsere Diskussion von Anfang an davon bestimmt, die Auseinandersetzung mit der taz zu führen.

1980 rief die taz, als Teil einer starken internationalistischen Bewegung - die nicaraguanische Revolution im Rücken und den Triumph in El Salvador vor Augen - zu der Spendenaktion „Waffen für El Salvador“ auf. Eine besondere Stärke der taz damals war ihre engagierte Mittelamerika-Berichterstattung. Die taz als Inhaberin des Kontos war eine glaubwürdige Trägerin der Kampagne.

Aber der Krieg in El Salvador verlängerte sich. Die Bedingungen der Revolution in Nicaragua verschärften sich so, daß viele ihre Projektionen und Träume in diesem Projekt nicht mehr wiederfanden. Die Folge in den vergangenen Jahren war eine abflauende Solidaritätsbewegung. Dazu kam ein sich im Zeitgeist der 80er Jahre veränderndes Selbstverständnis der taz. Die von ihr initiierten Diskussionen über das Fortbestehen des Kontos konnten nicht darüber hinwegtäuschen, daß die Unlust der taz zum Waffenkonto nach Legitimierung durch die LeserInnen suchte, um endlich das Konto loszuwerden. So nützten auch die vielen LeserInnenbriefe vom Januar 1987 mit dem einstimmigen Tenor, das Konto endlich wieder offensiv zu führen, gar nichts. Dieses Votum widersprach zu sehr der vorherrschenden Stimmung unter den taz-RedakteurInnen. Sie ließen es gänzlich aus den Zeitungsspalten verschwinden.

Dieser Entwicklung in der taz war aber nicht nur das Waffenkonto im Wege, das bestenfalls noch als Alibi für eine radikale LeserInnenschaft diente. Der einst politische Anspruch des Projekts einer linken radikalen Tageszeitung wich einem bürgerlichen Verständnis von Journalismus, das nicht nur die Berichterstattung über linke radikale Positionen hier prägte, sondern auch die Auseinandersetzung mit den revolutionären Prozessen in Mittelamerika.

1980 versprach die taz im ersten Aufruf zur Waffenkampagne noch „eine parteiliche Berichterstattung (...) gegen die Lügen der BRD-Medien zu Mittelamerika“. Heute polemisiert sie gegen die sogenannte „Betroffenen-Berichterstattung“ und versucht sich in „unabhängigem“ Journalismus. In der Berichterstattung über Mittelamerika sind die ausgeschlossenen Betroffenen die revolutionären Bewegungen mit ihren authentischen Informationen (Agenturen, Radios etc.).

Die Inhalte der taz unterscheiden sich heute unwesentlich von denen der etablierten Medien. Das Projekt „Gegenöffentlichkeit“ ist aufgegeben, als habe es Diskussionen um den gesteuerten und kontrollierten Presseapparat der Herrschenden nie gegeben. Geschrieben wird das, was gerade Konjunktur hat. Redakteure, die ihre eigene Perspektivlosigkeit in Bezug auf Veränderung hier auf die Mittelamerika-Berichterstattung übertragen, tun ein übriges.

So bauen sie z.B. in ihren El Salvador-Berichten scheinbare Widersprüche zwischen FMLN und Massenbewegung auf, charakterisieren die FMLN als „einen Schatten in den Bergen“, konstruieren die Möglichkeit eines „Dritten Weges“ und sehen in dem Wahlsieg der rechtsradikalen ARENA-Partei vom März eine Alternative zu Duarte: Gleichzeitig hat sich mit dem sechsten Wahlgang erwiesen, daß die friedliche Machtablösung unter den zugelassenen Parteien möglich ist. Damit wird es für die Oppositionsfronten FDR und FMLN schwieriger, ihre Fundamentalopposition zu rechtfertigen. Diese Berichterstattung steht in objektivem Widerspruch zu den Intentionen des Waffenkontos.

Aus diesen Gründen wurde in unseren Diskussionen um die Wiederbelebung des Kontos klar, daß die taz (d.h. der Verein Freunde der alternativen Tageszeitung) nicht länger alleinige Trägerin des Kontos sein kann und damit nicht in der Abhängigkeit von den politischen Launen und Interessen einer einzigen Zeitung bleiben soll.

Um die Voraussetzungen für den Start einer neuen Kampagne zu schaffen, haben wir im Mai auf dem Nationalen Plenum der taz den oben zitierten Antrag gestellt.

Unser Konzept sieht vor:

-Mit einem neuen Aufruf wird die Reaktivierung des Waffenkontos politisch begründet.

-Möglichst viele Zeitungen, Zeitschriften und Radios tragen aktiv und engagiert das Konto.

Bei Gesprächen mit linken Publikationen sind wir auf ein starkes Interesse gestoßen, die Kampagne gemeinsam und offensiv führen zu wollen, d.h. den neuen Aufruf abzudrucken, in regelmäßigen Abständen den aktuellen Kontostand zu veröffentlichen und eine authentische und kontinuierliche Berichterstattung zu gewährleisten.

-Ein neuer Trägerverein mit dem Namen „El Salvador libre e.V.“ wird gegründet.

Für den Vorstand des Vereins haben wir durch ihr Engagement in der Internationalismusarbeit bekannte Leute gewinnen können. Der Vorstand wird - außer von Leuten aus der Solidaritätsbewegung - von Personen gebildet werden, die in einem möglichst breiten politischen Spektrum einen Namen haben und dem Konto vor staatlichen Angriffen Schutz bieten. Der Verein garantiert, daß jede gespendete Mark wie bisher der FMLN übergeben wird.

-Die taz überträgt das Waffenkonto dem neuen Trägerverein.

-Wir wollen mit dem Konto und seiner Geschichte weiterarbeiten. Ist die taz jedoch nicht dazu bereit, das Konto einem breiten Trägerverein zu übergeben, wird die Kampagne mit einem neuen Konto geführt werden.

-Bis zum September sollen alle noch offenen Fragen geklärt werden, damit die Kampagne eröffnet werden kann, wenn IWF und Weltbank tagen. Die Unterstützung der Befreiungsbewegungen ist für uns ein Teil dessen, was wir der Politik von IWF/Weltbank entgegensetzen.

Die taz hat auf dem Nationalen Plenum im Mai unseren Antrag abgelehnt. Hauptargument war der zu befürchtende Verlust von 5.000 bis 8.000 Abonnenten, wenn die taz die alleinige Trägerschaft aufgibt. Diese opportunistischen Erwägungen, die durch den Druck der Solidaritätsbewegung öffentlich geworden sind, haben die taz zu einer Belebung der El -Salvador-Berichterstattung und des Kontos gezwungen, was sich in der Doppelseite der taz vom 30.6.1988 niederschlägt. Eine politische Erklärung für die Wiederbelebung des Waffenkontos wird von der taz nicht gegeben.

Wenn die taz ein Interesse an der breiten Unterstützung des Widerstands in El Salvador hat, wird sie ihre Bereitschaft zur Zusammenarbeit zeigen, ihr Besitzverhältnis zum Konto aufgeben, eine breite Trägerschaft unterstützen und die Verbreitung in anderen Medien ermöglichen. Alle anderen Versuche sind ein Hinauszögern, Funktionalisieren und Instrumentalisieren des Waffenkontos für ihre Interessen.

„Wir salvadorianischen Demokraten und Revolutionäre erkennen, daß der Kampf gegen die ungerechten Schulden und der bewaffnete Kampf gegen den nordamerikanischen Imperialismus zwei Seiten der gleichen Medaille sind, Wege, die jedes Volk entsprechend seinen konkreten und besonderen Bedingungen gehen muß. Unser Beitrag zum Kampf gegen die Auslandsverschuldung ist die Befreiung El Salvadors.„

Guillermo Ungo, Präsident der Frente Democratico Revolucionario FDR, El Salvado

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