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„Ganz private“ Professoren-Herrlichkeit

■ Sexuelle Belästigungen an der Universität / Vor Gericht steht die Studentin, nicht der Professor

Fast jede Studentin kennt eine Kommilitonin, der „so etwas“ auch schon mal passiert ist, dennoch ist das Thema immer noch ein Tabu: sexuelle Belästigung an der Universität. Die Täter sind honorige Herren mit Professorentiteln. Ganze fünf Fälle von sexueller Belästigung und Gewalt gegen Frauen weist die offizielle Statistik der letzten fünf Jahre an den Berliner Hochschulen aus. Und erst wenn einmal ein Fall vor Gericht ausgetragen wird, wird die Spitze dieses Eisbergs öffentlich sichtbar.

Vor einem Berliner Amtsgericht stehen sich seit letzter Woche ein Professor und eine Studentin der Freien Universität gegenüber. Es geht um sexuelle Belästigung an der Hochschule. Angeklagt ist jedoch nicht der Hochschullehrer, sondern die Studentin. Sie soll wegen Verleumdung und übler Nachrede belangt werden. Als Sprecherin in der „Frauengruppe Medizin“, einer Initiative von Medizinstudentinnen am Uniklinikum Steglitz, hatte sie im Juni letzten Jahres auf einer Sitzung des Fachbereichs gesagt, daß sich zahlreiche Studentinnen durch Verhalten und Äußerungen des Gynäkologieprofessors Horst L., 64, sexuell belästigt fühlten. Daraufhin erstattete der Professor Anzeige, und die Studentin bekam einen Strafbefehl über 300 DM. Sie legte Widerspruch ein, und so begann in der letzten Woche der Prozeß - unter starker öffentlicher Beteiligung.

Begonnen hatte die Auseinandersetzung am Uniklinikum Steglitz vor gut zwei Jahren auf einer Veranstaltung der „Frauengruppe Medizin“ zum Thema Frauenheilkunde. Eine Studentin berichtete spontan vor etwa 400 Anwesenden von einem unangenehmen Erlebnis in dem von L. angebotenen Kurs zur Selbstuntersuchung der Brust. Als sie da, zusammen mit anderen Studentinnen, mit nacktem Oberkörper vor einer Spiegelwand saß, habe der Professor sich ihr mit den Worten: „Mal sehen, ob man bei so großen Brüsten auch die Rippen fühlen kann“, von hinten genähert und ihre Brüste schmerzhaft gedrückt, ohne sie vorher zu fragen. Seine Bemerkung über ihre Brüste habe sie als herabwürdigend empfunden, sich jedoch nicht getraut zu reagieren. „Jedem anderen hätte ich eine gegeben. Von ihm habe ich mich so abhängig gefühlt.“

Mitglieder der „Frauengruppe Medizin“ besuchten daraufhin die Pflichtveranstaltung Gynäkologie I und waren entsetzt über Professor L.s deplazierte und sexistische Äußerungen. In seinen Vorlesungen zeige er Dias von weiblichen Geschlechtsorganen und Brüsten „unangemessen lange“. Viele dieser Dias waren Aufnahmen ehemaliger Studentinnen - von L. persönlich aufgenommen. Auch an seine Kommentare dazu erinnern sich die Studentinnen nur zu gut: „Ich muß Ihnen leider sagen, daß bei unserer Rasse eine solche Brust nur bei einer von hundertzwanzig vorkommt.“ - „Da hat mir mal eine Französin erzählt, daß man im Lido von Paris keine Anstellung kriegt, wenn man diese Brust nicht hat.“ „Schöne Brüste“ dagegen wurden von L. gelobt: „Sehen Sie, wie harmonisch das aussieht.“ Die Untersuchung bei großen Brüsten beschrieb der 64jährige als anstrengend: „Sie können sich vorstellen, bei einer so großen Brust sind Sie geschafft.“

Fühlt sich eine Studentin durch solche Äußerungen belästigt, so gibt es für sie an der FU Berlin bislang keinen offiziellen Beschwerdeweg. Auch keine Anlaufstelle, an die sich Frauen in solchen Fällen mit Aussicht auf Erfolg wenden könnten. Die „Arbeitsgruppe Sexuelle Belästigung“, vor einigen Jahren gegründet, nachdem ein busengrapschender Professor am Fachbereich Politische Wissenschaften für Schlagzeilen gesorgt hatte, bekommt von der Universitätsleitung wenig Unterstützung. Im Gegenteil. Eine von der Arbeitsgemeinschaft erarbeitete Definition sexueller Belästigung wurde dem Präsidenten der FU vorgelegt, von den zuständigen Gremien bislang aber weder verhandelt noch verabschiedet. Nach dieser Definition sind unter sexueller Belästigung sowohl anzügliche Bemerkungen und Witze als auch sachlich nicht gerechtfertigte Kommentare über Kleidung und Erscheinung zu verstehen, die provozierende Verwendung von Pin-ups und pornographischen Bildern oder die Benutzung diskriminierenden Lehrmaterials genauso wie das Fordern von sexuellen Gefälligkeiten und körperliche Angriffe. Die Frauengruppe Medizin bestimmt sexuelle Belästigung als unerwünschte sexuelle Aufmerksamkeit. Entscheidend sei dabei, was die betroffene Frau als unangenehm empfindet nicht, wie dritte darüber urteilen.

In der Folgezeit wurde die Frauengruppe zu einer Anlaufstelle. Immer wieder kamen Studentinnen, um vertraulich von Erlebnissen mit Professor L. zu berichten. Erzählt wurde von anzüglichen Bemerkungen über ihr Aussehen, unnötigen Berührungen, indiskreten Fragen nach ihrem Sexualleben. Vor Gericht berichtete eine Studentin folgendes Erlebnis: Nach einer Gruppenbesprechung über mögliche Doktorarbeitsthemen habe sie Professor L. noch etwas fragen wollen. Doch statt auf ihre Frage einzugehen, habe der von seiner Ehe und seinen Frauenbeziehungen erzählt. Die Atmosphäre sei immer vertraulicher und ihr unheimlich geworden. Schließlich habe er ihr das Du angeboten, sie zu küssen versucht und gesagt, er wolle mit ihr schlafen. Da habe sie die Flucht ergriffen.

Professor L. bot auch Kurse zur Selbstuntersuchung der Brust und zur gegenseitigen Vaginaluntersuchung an. In einem Artikel im 'Deutschen Ärzteblatt‘ 1985 nennt er sie den „Berliner Weg der frauenheilkundlichen Ausbildung“, als Ergänzung zu den Vorlesungen. Studentinnen untersuchen sich gegenseitig, männliche Studenten ihre Ehefrauen oder Freundinnen. Voraussetzung für die Teilnahme war, daß sich jede Studentin zuvor durch Professor L. persönlich untersuchen ließ - angeblich aus „versicherungstechnischen Notwendigkeiten“. Er müsse sich doch überzeugen, daß nicht etwa eine gefährliche Zyste vorliege, die bei unsachgemäßer Behandlung durch die unerfahrenen Studentinnen aufplatzen könne, erklärte L. Bescheinigungen anderer Gynäkologinnen akzeptierte er nicht. Vor Gericht bestritt L. jetzt, daß eine solche Voruntersuchung Pflicht war.

Als sich die Beschwerden häuften, forderte die „Frauengruppe Medizin“ einen von einer Frau geleiteten Untersuchungskurs. Doch weder bei der Fachbereichsleitung noch beim Direktor der Frauenklinik fanden die Studentinnen Gehör (zudem gibt es an der Universitätsklinik Steglitz keine einzige lehrberechtigte Frau für das Fach Gynäkologie). Der ehrenamtlichen Frauenbeauftragten des Fachbereichs standen nach eigenen Angaben zwar „die Haare zu Berge“ über das, was die Studentinnen berichteten, aber sie sah sich außerstande einzugreifen. Die Studentinnen wandten sich schließlich direkt an den Präsidenten der Freien Universität. In einem offenen Brief schilderten sie die Vorfälle und baten, den Vorwürfen gegen den Hochschullehrer endlich nachzugehen. Daraufhin begann eine universitätsinterne Untersuchung. Professor L. erhielt Gelegenheit zu einer ausführlichen Stellungnahme, doch von den betroffenen Frauen wurde keine gehört. Ende April verkündete dann FU-Präsident Heckelmann auf einer Sitzung des Akademischen Senats, man habe die Vorfälle mit der gebotenen Sensibilität recherchiert und „nicht den mindesten Anhalt für Verfehlungen irgendwelcher Art“ gefunden. Professor L. ist sich ohnehin sicher, nur Opfer einer von „Feministinnen“ angezettelten Kampagne zu sein. Während seiner über 20jährigen Lehrtätigkeit habe es noch nie Mißfallensäußerungen von Studentinnen gegeben. Er habe niemals „schlüpfrige Bemerkungen“ gemacht, und seine Kurse erfreuten sich auch weiterhin größter Beliebtheit. Keine Studentin brauche Repressalien zu befürchten, wenn sie eine „echte Straftat“ anzeigen wolle. Doch „Sprache, Mimik, Gestik“ zählen für ihn nicht zu sexueller Belästigung: Das wäre doch eine Verniedlichung des Begriffs. Jahrelang hatte keine der Frauen gewagt, offen gegen L. vorzugehen, da sie Nachteile während des Studiums und bei der Stellensuche befürchteten. Offenbar nicht zu Unrecht. Der vom Professor angezeigten Studentin kam inzwischen zu Ohren, ein Verantwortlicher am Fachbereich habe gesagt, sie werde nun „nichts mehr zu lachen“ haben.

Frauke Langguth

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