: Chile-betr.: "Opposition: Nein zu Pinochet", taz vom 11.7.88
betr.: „Opposition: 'Nein zu Pinochet'“, taz vom 11.7.88, S.
Das Rediske-Interview zu Chile bestärkt voll den von den BRD -Medien in der letzten Zeit vermittelten Eindruck, daß mit der Entscheidung nun auch der Führung der Kommunistischen Partei, zur Teilnahme am von der Diktatur veranstalteten Plebiszit aufzurufen, jetzt die chilenische Opposition geschlossen diese Linie als die einzig realistische gegenüber der Diktatur verfolge.
Tatsächlich bestimmt auch in Chile selbst das Plebiszit die durch die Medien, die fast durchgehend der bürgerlichen bzw. reformistischen Opposition nahestehen, vermittelte politische Auseinandersetzung und die Diskussion fast sämtlicher Parteiführungen. (...) Eine grundlegende Ablehnung des Plebiszits als Betrugsmanöver des Regimes, das allein auf dessen Legitimierung und Fortführung mit einigen kosmetischen Veränderungen an der Oberfläche abzielt, vor zwei Jahren noch gmeinsame Position fast des gesamten Oppositionsspektrums, wird heute in Chile mit einer Repression, die an Brutalität die vor acht Jahren herrschende noch in den Schatten stellt, unterdrückt und dort wie hier verschwiegen.
Ohne Zweifel dominiert heute in Chile die Position die (zugelassene) Öffentlichkeit, die massive Beteiligung am Plebiszit eröffne die Möglichkeit einer wirklichen gesellschaftlichen Veränderung: die legalisierte „Partei für die Demokratie“ (PPD) verkündet es auf der Straße; der christdemokratische Parteivorsitzende Aylwin, der 73 den Militärputsch mit vorbereitete, verspricht es im Fernsehen. (...)
Die, die das mit guten Argumenten als Augenwischerei entlarven könnten, haben keine Öffentlichkeit, bzw. müssen sie jeden Tag neu erkämpfen: durch Sprühen, Verteilen von Flugblättern, Herstellung und Verkauf illegaler Zeitungen oder die Organisierung von Stadtteilversammlungen und deren Schutz vor der Repression: Die StudentInnen, zum größten Teil aus der kommunistischen Jugend, aber auch aus MIR, der Sozialisten Partei oder der christlichen Linken, die bei den diesjährigen „Trabajos Voluntarios“ in der Kohlestadt Lota mit den dort von der Unterdrückung und Ausbeutung besonders hart Getroffenen gelebt und gearbeitet, über die Betrugs -Farce des Plebiszits informiert und die schwierigen Ansätze lokaler Organisierung unterstützt haben; die Jugendlichen einer Poblacion in Santiago aus verschiedenen Jugendverbänden, die gemeinsam mit Barrikaden die Durchführung einer Kundgebung zum Jahrestag der Ermorderung zweier MIR-Milizionäre ermöglichten; die Frauen in einer anderen Poblacion, Mitglieder in der KP und einer Textilarbeiterinnen-Gewerkschaft sowie des Stadtteilkomitees, die sagen, daß keine zehn Pferde sie zur Einschreibung in die Wahlregister und der Beteiligung am Plebiszit kriegen würden, weil klar wäre, daß das nichts an ihrer Situation ändern würde; die Mitglieder des FPMR, die daran arbeiten, die Fähigkeit zu Selbstverteidigungspraktiken zu verbreitern, Enteignungs und Verteilaktionen organisieren und das Regime und seine Repräsentanten bewaffnet angreifen; die Frauen und Männer, die in den Menschenrechts- und Angehörigen-Gruppen gegen die seit Monaten drohende Bestätigung und Vollstreckung der Todesstrafen gegen drei politische Gefangene des MIR, gegen Folter und Repression in den Gefängnissen und die wiederaufgelebte Praxis des „Verschwinden-Lassens“ von Oppositionellen kämpfen, und die besorgt feststellen, daß in den Erklärungen des Parteibündnisses für das „Nein“ offenbar kein Raum mehr für Menschenrechte, politische Gefangene und Folteropfer ist; oder die Tausende Frauen, die in der Woche vor dem und am 8. März trotz Splatung der Opposition, geschwächter Massenmobilisierung und massiver Repression ihren Widerstand gegen die Diktatur auf der Straße zum Ausdruck gebracht haben, und viele andere mehr.
Nicht sie, die aus verschiedenen politischen Richtungen kommen und sich unterschiedlichen Oppositionsparteien verbunden fühlen - unabhängig von ihrer Zustimmung oder Ablehnung zu einzelnen Aspekten von deren jeweiliger Politik, bestimmen das hier herrschende Bild von der chilenischen Opposition, sondern die um das Plebiszit kreisende „Realpolitik“ der Parteiführungen.
Es wäre wohl naiv, von der taz oder irgendeiner anderen bürgerlichen Zeitung das Gegenteil zu erwarten (solange der alltägliche Widerstand des kämpfenden Chile nicht spektakuläre Erfolge bietet).
Rainer, Berlin 36
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