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Jacksons Amerika gibt sich nicht geschlagen

Die Lichter in der riesigen Arena werden schwächer, zum erstenmal wird es leise im Saal. Der Anfang eines Jackson -Browne-Songs ertönt über die Lautsprecheranlage, auf dem überdimensionalen Videoschirm flimmern die ersten Bilder eines kurzen Films über Jesse Jacksons Kampagne. Bild und Text passen exakt; als Browne von der Regierung singt, die ihr Volk belügt, blitzen auf der Leinwand für Sekunden die Porträts von Oliver North und Edwin Meese auf. Dann ist der Moment gekommen, auf den Jackson und seine weit über tausend Delegierten unten in der Halle seit Monaten hingearbeitet haben. Minutenlang badet Jackson, halb Volkstribun, halb schon schwarzer Messias, im Jubel des Parteitags.

Von den Farmen Iowas und den Fabriktoren New Hampshires, bei den Vorwahlen im Februar, über die Schwarzenviertel New Yorks im April bis zu den Obstfeldern und den Aids -Hospitälern Kaliforniens hatten seine Delegierten für seine Kampagne gearbeitet. Es hieß immer nur: „Win, Jesse, win!“ Jacksons Rede in Atlanta am Dienstag abend bildet das Ende und den Höhepunkt dieser Kampagne, sie wird aber auch zum Höhepunkt dieses Parteitags und unterstreicht die explosive Kraft, mit der Jacksons Anhänger und Anhängerinnen, mit ihrem Meer von roten „Jesse!„-Plakaten, die Partei herausgefordert haben und ohne Zweifel weiter herausfordern werden. Nirgends ist dies sichtbarer als in der Halle von Atlanta. Die buntgekleidete und enthusiastische Jackson -Fraktion bestimmt die Atmosphäre viel stärker als das traditionelle Parteivolk mit seinen steifen Plastikhüten.

„Wenn ich von hier oben auf diese Versammlung herabschaue, sehe ich das Gesicht Amerikas“, beginnt Jackson. „Rot, gelb, braun, schwarz und weiß. Auch wenn ihr denkt, daß ihr sitzt, in Wirklichkeit steht ihr auf den Schultern anderer.“ Seine Hand streckt sich nach hinten, wo aus dem Dunkel des Podiums eine kleine weißhaarige Frau in den Scheinwerferkegel tritt. „Meine Damen und Herren: Rosa Parks.“ Frenetischer Beifall begrüßt die 75jährige Frau, deren Namen alle kennen. Sie war es, die vor 34 Jahren in einem Bus ihren Platz nicht für einen Weißen räumen wollte und damit den Startschuß für die schwarze Bürgerrechtsbewegung in Montgomery/Alabama gab. Sie ist auch heute noch eine Symbolfigur für den politischen Fortschritt in den amerikanischen Südstaaten, für die Einbeziehung der Schwarzen in den „Quilt“, den Flickenteppich, als den Jackson die amerikanische Gesellschaft beschreibt.

Doch der Flickenteppich muß erst noch zusammengenäht werden, macht Jackson den Delegierten klar: „Farmer, wenn ihr faire Preise fordert, habt ihr recht - aber euer Flicken ist nicht groß genug; Frauen, wenn ihr gerechte Löhne fordert, seid ihr im Recht, aber euer Flicken ist nicht groß genug; Schwarze und Hispanics, wenn ihr für Bürgerrechte kämpft, habt ihr recht, aber euer Flicken ist nicht groß genug; Konservative und Progressive, wenn ihr für eure Überzeugungen einsteht, habt ihr recht, aber euer Flicken ist nicht groß genug.“

Der gemeinsame Kampf für ein anderes Amerika könnte ein Mittel sein, das gesellschaftliche Patchwork zusammenzunähen. Bisher haben meist der Appell an den Nationalstolz und der Verweis auf den angeblich besonderen Charakter Amerikas als Leim herhalten müssen, um die Risse im sozialen Gefüge zu kitten. Dieser Trick funktionierte in Alabama noch einmal mit verblüffender Perfektion: Als kurz vor Jacksons Rede die Nationalhymne ertönte, stand die gesamte Halle, vom CBS-News-Guru Dan Rather hoch oben in seiner Übertragungsbox bis zur schwarzen New Yorker Aktivistin stramm, die Hand auf dem Herzen.

Im Verlauf seiner fünfzigminütigen Rede entsteht dann Jacksons Vision von der politischen und moralischen Herausforderung, der sich die Partei und das Land gegenübersehen. Es geht um viel mehr als einen Wahlsieg der Demokraten im November, es geht um einen „veränderten Kurs“ der US-amerikanischen Gesellschaft, um Fairneß, um Gerechtigkeit, um die Überwindung von ökonomischer Gewalt im Innern und militaristischer Vorherrschaft nach außen. „Mein Bemühen, Amerika stärker und besser zu machen, ist ebenso alt wie endlos. Gebt nicht auf, haltet durch, der Morgen ist nah.“

Es geht um das Recht auf Träume: Jackson transferiert Martin Luther Kings 25 Jahre alten Traum in die Realität der achtziger Jahre. „Wagt zu träumen, träumt von den Dingen, wie sie sein sollten. Stellt euch dem Schmerz, denn Liebe, Hoffnung, Glaube und Träume werden euch helfen, den Schmerz zu überwinden. Gebraucht Hoffnung und Einfallsreichtum als Waffen im Kampf ums Überleben und für Fortschritt. Träumt vom Frieden und von einem neuen Wertesystem.“ Es geht auch um das Ende einer „langen dunklen Nacht der Reaktion“, um eine Abkehr von „Reaganomics“ und um die „Opfer des Gemeinwohls für die Interessen einer kleinen Minderheit“.

Jackson und seine Anhänger werden eine wichtige Rolle spielen, wenn im Herbst versucht wird, „George Bush ins Privatleben zurückzuschicken“, auch wenn sie sich damit haben abfinden müssen, daß die neuen Bewohner des Weißen Hauses Michael Dukakis und Lloyd Bentsen heißen würden. Jackson macht Differenz und Gemeinsamkeit deutlich: „Es besteht ein großer Unterschied zwischen Brookline, Massachusetts“, wo Dukakis aufwuchs, „und der Haney Street in Greenville, South Carolina. Seine Eltern kamen in einem Einwandererschiff, meine Vorfahren wurden in einem Sklavenschiff nach Amerika gebracht. Doch nun sitzen wir im gleichen Boot.“

Der republikanische Gegner tauchte in Jacksons Rede nur am Rande auf. Voll ins Visier hatte ihn zuvor Ted Kennedy genommen: „Ronald Reagan akzeptiert wenigstens die Verantwortung für die Fehler wie auch die Erfolge seiner Amtszeit. Er schaut uns ins Auge. Anders George Bush, er vergräbt den Kopf in den Händen und versteckt sich vor der Bilanz der Reagan-Jahre. Immer heißt es, er sei nicht dabei gewesen oder könne sich nicht erinnern. Als der monumentale Fehler gemacht wurde, sich für den Waffenverkauf an den Iran zu entscheiden - wo war George? Als Geheimdienstberichte über die Drogengeschäfte General Noriegas kursierten - wo war George?“ Kennedy setzte diese Liste immer noch fort, während die Sprechchöre in der Halle immer frenetischer wurden: „Wo war George, wo war George?“

In Atlanta ist er draußen auf der Straße zu finden - dort, wo fliegende Händler Dukakis-Buttons und Jackson-Hemden verkaufen. Auf gelben Blechknöpfen heißt hier das Traum -Ticket: „Bush-Noriega“, knapp gefolgt in der Beliebtheitsskala von „Bush-Meese“.

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