: Zwischen Kohle und Koran
■ Marabouts, Korangelehrte, gibt es viele im Pariser Norden. Ihr Metier: Wahrsagerei, "weiße" Magie, die Herstellung von Amuletten und bei nicht wenigen ausgeprägter Geschäftssinn.Ein Besuch...
Frank Ballot ZWISCHEN KOHLE UND KORAN
Marabouts, Korangelehrte, gibt es viele im Pariser Norden. Ihr Metier: Wahrsagerei, „weiße“ Magie, die Herstellung von Amuletten und bei nicht wenigen ausgeprägter Geschäftssinn.
Ein Besuch bei einem islamisch
afrikanischen Wundertäter:
Professor Moussa Sylla. Berühmter afrikanischer Marabout und großes Medium. Löst alle Probleme, selbst hoffnungslose Fälle: Liebe zwischen Mann und Frau, Beruf, Examen, sozialer Aufstieg. Neutralisiert negative Einflüsse und macht ihre Zukunft sicher. Schnelle Erfolge, interessante Zahlungsbedingungen. Empfängt täglich von 8-20 Uhr.“
Der hochgewachsene Schwarze, der mir vor der Metrostation Barbes-Rochechouart diese Visitenkarte in die Hand gedrückt hat, sieht mit seinem „Boubou“ - dem weitgeschnittenen Gewand der westafrikanischen Muslime -, seinem weißen Leinenkäppchen und seinen Lederbabuschen aus, als sei er gerade aus Dakar oder Bamako angekommen. Wenn ihn dennoch kaum jemand beachtet, dann liegt das wohl daran, daß ein derartiger Aufzug hier im Pariser Norden mit seinen 20 Prozent Ausländeranteil - manche sprechen inzwischen schon abschätzig vom „schwarzen“ Pariser Norden - durchaus nichts Ungewöhnliches zu sein scheint. Jedenfalls nimmt sich die Menge, die da an dem Mann vorbei auf die Straße strömt, nicht weniger pittoresk aus als er selber: ehrwürdige Greise im Burnus, mit Stock, Bart und Fez; olivhäutige Halbwüchsige in Jeans und schwarzem Blouson; mit Tüten und Taschen bepackte Matronen, in Kopftuch und bodenlangem „Kaik“, manche nach Art der Berberinnen an den Lippen tätowiert; Afrikanerinnen im bunten Wickelrock, mit Badeschlappen und kunstvoller Zopffrisur, das schlafende Kind auf dem Rücken; schwarze Vorstadt-Dandies mit schweren Goldketten, blütenweißen Anzügen und spiegelblanken Plateauschuhen. Afro-arabisches
Lebensgefühl im
Pariser Norden
Fast alle schieben und drängen auf die gegenüberliegende Seite des Boulevard Rochechouart de la Chapelle, dorthin, wo gleich hinter den beiden Billigkaufhäusern „Tati“ und „Vanoprix“ mit ihren ständig umlagerten Wühltischen die „Goutte d'Or“ beginnt, das Herzstück des „schwarzen“ Nordens. Einst eine typische Pariser Arme-Leute-Gegend Emil Zolas sozialkritischem Roman „L'Assommoir“ hatte sie vor 100 Jahren als Kulisse gedient - ist die „Goutte d'Or“ heute zu mehr als zwei Dritteln von Ausländern bewohnt, die meisten von ihnen Nord- und Westafrikaner. Wie in einem nordafrikanischen „Souk“ ist hier auf engstem Raum alles das konzentriert, was zur Entfaltung des afro-arabischen Lebensgefühls notwendig ist: Islamische Metzgereien, in deren Schaufenstern sich die Hammelköpfe am (Automaten)Spieß drehen. Bäckereien, deren Auslagen überquellen von klebrig -süßem Halva und Baklava. Cafes, in denen man wie auf der anderen Seite des Mittelmeers in ausschließlicher Männergesellschaft stundenlang vor derselben Tasse sitzen bleiben kann; Imbißbuden, aus denen es nach Knoblauch und „Merguez“ riecht, den tunesischen Hammelwürstchen. Dazwischen Restaurants, in denen „Couscous“ serviert wird oder auch das senegalesische Nationalgericht „Thieboudienne“. Vor allem aber unzählige Geschäfte und fliegende Händler, deren Angebot von der Musikcassette aus Zaire über den Koran bis hin zur „Couscous„-Pfanne und sogar zur frisch aus Afrika eingeflogenen Kochbanane reicht.
Inmitten dieses Getriebes finde ich nach einigem Suchen schließlich auch das Haus, in dem „Professor“ Sylla laut Visitenkarte auf Ratsuchende wartet. Wie die meisten Häuser des Viertels macht es einen heruntergekommenen Eindruck. Im Erdgeschoß rechts eine kleine Reiseagentur - der Renner: preisgünstige Busreisen nach Mekka -, links daneben ein „Couscous„-Restaurant, ein langer schmaler Schlauch mit pastellgrün gestrichenen Wänden und einem Plakat des algerischen Rockstars Chep Khaled am Eingang. Im Treppenhaus riecht es muffig, die Stufen sind ausgetreten, das Geländer wackelt bedenklich. Hinter den Wohnungstüren schrille Frauenstimmen, klapperndes Geschirr, eine ratternde Nähmaschine. Von irgendwoher plärrt arabische Musik. Die Namensschilder sind mit der Hand geschrieben: Toure, N'Diaye, Diallo, Masmoudi. Dupont heißt hier niemand. Im dritten Stock, mit einem Stück Heftpflaster über die Klingel geklebt, die inzwischen schon bekannte Visitenkarte. Der junge Mann, der mir die Tür öffnet, ist mit seinem Lacoste -Hemd-Imitat und seinen Adidas-Schuhen allerdings eine Enttäuschung. Daß ein „berühmter afrikanischer Marabout und großes Medium“ so aussieht, hätte ich nicht gedacht. Zudem wirkt er äußerst mißtrauisch. Erst nachdem mein unbeholfenes Französisch mich als Nicht-Franzosen - und damit wohl auch als Nicht-Polizisten bzw. Nicht-Steuerfahnder - ausgewiesen hat, läßt er mich herein, verschwindet dann aber gleich wieder. Es dauert ziemlich lange, bis er endlich zurückkommt. Ja, der „Professor“ sei da und er könne mich auch empfangen. Im übrigen würde die „Konsultation“ 100 Francs kosten, die ich am besten gleich bereit halten sollte...
„Professor“ Sylla erwartet mich in würdiger Pose auf einem Diwan-ähnlichen Matratzenlager sitzend. Mein befangenes „Bonjour“ erwidert er nur mit einer kurz angedeuteten Verneigung. Hätte ich vielleicht besser mit „Salaam Aleikum“ grüßen sollen? Sein Aussehen entspricht jedenfalls ohne weiteres der Vorstellung, die man von einem muslimischen Marabout gemeinhin hat: weißer Bart, schwarzer Turban, ein „Boubou“ von enormer Weite, der der hageren Gestalt etwas Theatralisches verleiht und vor allem eine Gebetskette, deren Perlen er unablässig durch die Finger gleiten läßt. Lediglich die protzige Digitaluhr, die von Zeit zu Zeit unter dem rechten Ärmel zum Vorschein kommt, fällt etwas aus dem Rahmen. Mit einer gemessenen Handbewegung deutet er auf einen niedrigen Hocker, der in einiger Entfernung vor ihm steht und ich nehme Platz. Schweigend sitzen wir uns gegenüber, nur das gleichmäßige Klicken der Gebetskette ist zu hören. Nach einigen Minuten gebe ich als erster nach. Wegen „beruflicher Probleme“ sei ich gekommen, erzähle ich (nachdem ich „Liebe zwischen Mann und Frau“, das andere auf der Visitenkarte angegebene Spezialgebiet, als zu heikel verworfen habe): Für Sozialwissenschaflter gäbe es keine Arbeit in Deutschland und da hätte ich mich auf den Weg nach Paris gemacht, um hier mein Glück zu versuchen.
„Professor“ Sylla verzieht keine Miene. Nach wie vor schweigend steckt er die 100 Francs ein, die ich ihm diskret hinhalte, schlägt ein dickleibiges Buch auf - offenbar der Koran - und beginnt, nachdem er mir noch seine Gebetskette in beide Hände gedrückt hat, mit halblauter Stimme zu lesen. Seinen Oberkörper wiegt er dabei rythmisch vor und zurück. Nach etwa einer Viertelstunde klappt er das Buch zu und richtet zum ersten Mal das Wort an mich. In der Tat habe er viele Dinge „gesehen“, gute, aber auch weniger gute. Mehr könne er mir im Augenblick nicht sagen. Sicher sei jedoch, daß für mein Problem eine längere „Arbeit“ notwendig wäre, die er auch durchaus bereit sei zu übernehmen - gegen ein Honorar von 2.500 Francs, wie er nach einer kurzen Pause beiläufig hinzufügt. Jetzt bin ich es, der schweigt. Dann fasse ich mich, murmele etwas von „mir die Sache noch einmal überlegen“. Mit dem Versprechen, in den nächsten Tagen wiederzukommen, bin ich draußen. Spitzenverdiener
im Ausländermilieu
„Professoren“ wie Moussa Sylla gibt es viele in Paris, schätzungsweise mehr als tausend. Die meisten kommen aus dem Senegal und aus Mali, jenen Ländern also, in denen praktisch jedes Dorf „seinen“ Marabout hat.
An sich Korangelehrte, befassen sich die Marabouts aber hauptsächlich mit Wahrsagerei, „weißer“ Magie und der Herstellung von Schutzamuletten - schmale Papierstreifen, auf die Koranverse geschrieben sind und die in einem kleinen Lederetui um den Hals getragen werden. In einem gewissen Sinn bilden die Marabouts die Brücke zwischen vorislamischen Glaubensvorstellungen und islamischer Schriftgelehrtheit.
Nach Frankreich sind sie in den sechziger und frühen siebziger Jahren gekommen, als hunderttausende billiger Arbeitskräfte aus Nord- und Westafrika ins Land geholt worden waren. Ihre Stellung innerhalb der afro-arabischen Subkultur ist indessen recht ambivalent.
Dort, wo sie mit den „immigres“ noch in enger Gemeinschaft leben, wie etwa in den „foyers“, den staatlichen Wohnheimen, unterscheidet sich ihre Rolle kaum von der, die sie schon im heimatlichen Dorf gespielt hatten: sie sind Vertrauenspersonen, die wegen ihres Koranstudiums und ihrer „magischen“ Fähigkeiten ein hohes Ansehen genießen und an die man sich mit persönlichen Schwierigkeiten wendet. Natürlich können die Probleme, wie sie gerade für das französische Arbeitsexil typisch sind - der alltägliche Rassismus, die miserablen Wohnbedingungen oder die Entfremdung von der in der Heimat zurückgebliebenen Ehefrau
-weder durch fromme Koransprüche noch durch Amulette gelöst werden. Doch gilt ähnlich wie bei der europäischen Psychotherapie, daß oft allein schon der Glaube Berge versetzen, wenigstens aber ein neues Selbstvertrauen erzeugen kann. Zudem: Wem die „Arbeit“ des Marabout nicht geholfen hat, dem hat sie zumindest nicht geschadet. Denn bezahlt wird nur, wenn der „Patient“ zufrieden ist und auch dann nur entsprechend seinen finanziellen Möglichkeiten.
Anders sieht die Sache hingegen bei den „frei praktizierenden“ Marabouts aus. Zwar sind die meisten ihrem Selbstverständnis nach den traditionellen Glaubens- und Wertvorstellungen durchaus noch verpflichtet - abgesehen von ausgesprochenen Scharlatanen, die ihre fehlenden Koran -Kenntnisse hinter allem möglichen Hokuspokus verbergen doch läßt sich nicht übersehen, daß in der Praxis das Geld mehr und mehr in den Vordergrund rückt. Das zeigt sich schon allein daran, daß ihre Dienste unabhängig vom Behandlungserfolg und der Finanzkraft des Ratsuchenden (teuer) bezahlt werden müssen. Überdies werden nicht mehr nur die Angehörigen der eigenen Gruppe „behandelt“, sondern jeder, sofern er nur das notwendige Geld hat.
Der Zulauf, den diese „kommerziellen“ Marabouts haben, ist allerdings recht unterschiedlich. Während jemand wie „Professor“ Sylla noch um Klienten werben muß, haben andere das schon längst nicht mehr nötig. Wie bekannte Ärzte führen sie lange Wartelisten, und wenn sie auch nicht so viel einnehmen wie ihre Kollegen von der Medizin, so gehören sie innerhalb des Pariser Ausländermilieus doch zu den Spitzenverdienern.
Geschäftssinn weisen etliche Marabouts inzwischen zu Genüge auf. Manche sind sogar zu regelrechten Bankiers aufgestiegen. Viele ihrer Klienten - vor allem die „sans papiers“, die Illegalen - haben nämlich ein tiefsitzendes Mißtrauen gegenüber jeder Art von Verwaltung, die Banken eingeschlossen. Sie vertrauen ihre Ersparnisse daher lieber einem Marabout an. Bei hundert „Sparern“ kann dabei ohne weiteres eine monatliche Summe von 100.000 Francs zusammenkommen, was für den Marabout, der dieses Geld auf ein Sparkonto einzahlt, einen erklecklichen Zinsgewinn bedeutet. Dies umso mehr, als das Geld manchmal erst nach fünf Jahren zurückverlangt wird - natürlich ohne (die vom Koran verbotenen) Zinsen...
Einige Marabouts gehen in der Geschäftstüchtigkeit noch einen Schritt weiter und investieren das ihnen anvertraute Geld in der Heimat, indem sie dort Häuser bauen oder kaufen und dann lukrativ an ausländische Experten vermieten. Die so erzielten Einnahmen dienen dann wiederum dazu, die „Sparer“ nach und nach auszuzahlen.
Andere wiederum betätigen sich als große Händler: begehrte, aber rare Konsumgüter japanischer Herkunft wie Cassettenrecorder, Radios oder Autobatterien werden unter Einschaltung von Verwandten von Frankreich nach Westafrika exportiert und dort mit gutem Gewinn verkauft. Wundersame Vermehrung des Reichtums - immerhin.
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