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Auf den Knien zum Weltrekord

■ Deutsche Leichtathletikmeisterschaften in Frankfurt / US-Olympiaqualifikation in Indianapolis

Berlin (taz) - Zugegeben, es ist ein wenig gemein, die Errungenschaften der frischgekürten bundesdeutschen LeichtathletikmeisterInnen mit denen der US-SportlerInnen bei ihrer Olympia-Qualifikation zu vergleichen. Doch die Olympischen Spiele von Seoul stehen vor der Tür und unseligerweise besteht diesmal nicht die geringste Aussicht, daß die USA sie boykottieren könnten.

Zur Weltmeisterschaft im letzten Jahr war der Deutsche Leichtathletikverband noch mit 71 AthletInnen nach Rom gereist, die Ausbeute war dürftig, das Geschrei hinterher groß. Eine ähnliche Blamage soll in Seoul vermieden werden, die DLV-Delegation dort nur aus rund 45 Mitgliedern bestehen. Doch auch deren Aussichten stehen nicht sonderlich gut, obwohl die Meisterschaften von Frankfurt in einigen Disziplinen Resultate brachten, die sich durchaus sehenlassen können.

Die deutschen Meister Rolf Danneberg (67,20 m im Diskuswerfen), Heinz Weis (79,58 m im Hammerwerfen), Peter Blank (80,84 m im Speerwerfen) hätten die entsprechenden Wettkämpfe von Indianapolis gewonnen, ebenso Torsten Zervas das 20-km-Gehen und Patriz Ilg den 3.000 m Hindernislauf. Unter den ersten Drei und damit qualifiziert wären in Indianapolis auch Dieter Baumann (5.000 m) und Ralf Salzmann (10.000 m) gewesen.

Bei den Frauen liegen die US-Schwächen ebenfalls eindeutig dort, wo Kraft gefragt ist: Die Ladies Ramona Pagel, Donna Mayhew und Connie Price wären gegen ihre BRD-Konkurrentinnen im Kugelstoßen (Claudia Losch/19,84 m), Speerwerfen (Ingrid Thyssen/66,00 m) und Diskuswerfen (Dagmar Galler/62,60 m) hoffnungslos unterlegen gewesen. Qualifiziert hätten sich auch Heike Redetzky mit ihren 1,97 m im Hochsprung und Claudia Zaczkiewicz, der als einziger ein Einbruch in die läuferische Übermacht der USA gelang. Ihre 12,87 Sekunden über 100 m Hürden hätte auch in Indianapolis zum Sieg gereicht.

Ansonsten aber sieht es düster aus. Harald Schmid, mit 48,23 Sek. über 400 m Hürden immerhin in europäischer Jahresbestzeit, wäre mit dieser Leistung kaum beim Endlauf gegen die Herren Moses, Phillips und Harris dabei gewesen. Ulrike Sarvari (11,28 über 100 m) fragte sich, was sie „neben einer wie Florence Griffith-Joyner im Startblock verloren“ habe.

Diese hätte mit ihrem neuen Weltrekord von 10,49 Sek. in Frankfurt auch den Titel bei den Männern gewonnen. „Ich kenne diesen Mann nicht“, sagte sie, auf den neuen Deutschen 100-Meter-Meister Andreas Maul (10,50 Sek.) angesprochen, „aber ich weiß, daß der Olympiasieger nicht aus Deutschland kommt.“ Eine Einschätzung, die DLV-Leistungssportdirektor Blattgerste nur teilen kann: „Bei diesem Niveau ist eine Entsendung von Sprintern zu den Sommmerspielen nicht zu vertreten.“ Selbst der neue Deutsche Rekord von Florian Schwarthoff über 110 m Hürden (13,50 Sek.) verblaßt gegen den Endlauf von Indianapolis. Dort konnten sich so große Namen wie Greg Foster, Renaldo Nehemiah, Al Joyner und Andre Phillips nicht qualifizieren. Der in Athletenkreisen nicht sehr beliebte Weltmeister Foster hatte sich zweieinhalb Wochen zuvor den Unterarm gebrochen und ging mit zwölf Schrauben und vier Platten im Arm und Schmerzen, „absolut an der obersten Grenze“, an den Start. Bei der siebten Hürde stolperte Foster, gab auf und kündigte an, jetzt Sommerferien machen zu wollen. Sieger Roger Kingdom (13,21 Sek.) meinte lapidar: „Wir haben ein großes Team, auch ohne Mister, na sie wissen schon, wen ich meine.“

Al Joyner, Dritter im Bunde des Joyner-Clans neben Schwester und Siebenkampf-Weltrekordlerin Jackie, die sich mit 7,45 m auch im Weitsprung qualifizierte, und Ehefrau Florence, die auch den 200 m-Lauf - ohne Weltrekord gewann, verpaßte nach Dreisprung und Weitsprung die letzte Chance für eine Fahrkarte nach Seoul. „Wir werden nicht feiern, wir werden mit Al trauern“, kündigte der Vierte im Joyner-Bunde an, Bob Kersee, Jackies Ehemann und Trainer aller drei. Möglicherweise hätte Florence vorher doch noch mal ihren persönlichen Ratgeber konsultieren sollen. Ihre Leistungsexplosion mit 28 erklärte sie folgendermaßen: „Ich bin auf die Knie gefallen und habe Gott nach dem Weg gefragt. Er hat ihn mir gezeigt.“ („Nicht zu verfehlen, immer geradeaus, bis zur Ziellinie“, vermuten wir mal.) Vielleicht sollte auch das bundesdeutsche Team auf dem Weg nach Seoul einen kleinen Abstecher machen: nach Altötting, auf den Knien, versteht sich.

Matti

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