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Traum vom Euro-Geld

„Krönungs„- und „Grundsteintheoretiker“ im Streit / Konflikt um die Vormachtstellung der BRD-Ökonomie / Geringe Chancen für Gemeinschaftswährung  ■  Von Kurt Zausel

Das Europafieber ist ausgebrochen. Auf dem letzten EG-Gipfel in Hannover faßten die Regierungschefs den Beschluß, eine Kommission aus Notenbankern und Finanzexperten zur Entwicklung von Vorschlägen für eine europäische Wirtschafts - und Währungsunion (WWU) einzusetzen. Der für 1992 angestrebte einheitliche Binnenmarkt des EG-Europa soll durch eine gemeinsame Währung und eine gemeinsame Zentralbank vervollkommnet werden. Glaubt man den vollmundigen Worten der Politiker, dann ist dies nicht nur ein notwendiger Schritt im Aufbauprozeß eines gegenüber den japanischen und US-amerikanischen Konkurrenten handlungsfähigen europäischen Wirtschaftsblocks, sondern darüberhinaus auch eine - so etwa Bundeskanzler Kohl „wirtschaftlich logische“ Entscheidung.

Bei soviel Einigkeit gilt es, genauer hinzuschauen. Hinter den verbalen Nebelwerfern verbergen sich tiefgreifende ökonomische und politische Konflikte zwischen den EG -Partnern und vor allem eine übermächtige Furcht vor einer dann offiziell inthronisierten Hegemonialmacht Bundesrepublik im EG-Europa.

„Krönungs„- und

„Grundsteintheoretiker“

Vordergründig scheint allein der richtige Weg zu einer Wirtschafts- und Währungsunion und nicht das Ziel selbst umstritten zu sein. Die öffentliche Kontroverse wird von „Krönungstheoretikern“ und „Grundsteintheoretikern“ bestimmt. Letztere sehen den Weg zu einer europäischen Zentralbank und einheitlichen Währung im Aufbau eines Systems langfristig fixer Wechselkurse, durch das die nationalen Wirtschaftspolitiken nahezu gezwungenermaßen koordiniert und vereinheitlicht werden müßten. Dadurch würden sich die nationalen Inflationsraten dauerhafter angleichen und so eines der gravierendsten Hindernisse einer Währungsunion überwunden werden. Weil gegenwärtig die Unterschiede der nationalen Preissteigerungsraten, zumindest der größeren EG-Partner, relativ gering seien, könne eine einheitliche europäische Währung schnell eingeführt werden.

Den „Krönungstheoretikern“ wiederum geht das viel zu schnell. Sie fordern, zunächst einmal die nationalen Geld und Finanzpolitiken zu vereinheitlichen, daraufhin eine europäische Regierung mit echten Entscheidungsbefugnissen wählen zu lassen und dann - als Krönung des Ganzen - ein System fester Wechselkurse zu etablieren. An eine gemeinsame Währung und eine europäische Zentralbank ist, wenn überhaupt, sehr viel später zu denken.

Die Erfahrungen mit der währungspolitischen Praxis der EG sprechen für die Krönungstheoretiker. Die WWU steht nämlich schon seit langer Zeit auf der Tagesordnung europäischer Einigungspolitiker. In dem 1970 veröffentlichten Werner -Bericht findet sich eine Definition dessen, was Krönungstheoretiker noch heute unter einer Währungsunion verstehen: Sie erfordert die vollständige und irreversible Konvertierbarkeit der Währungen, die Beseitigung von Währungsparitäten sowie die vollständige Liberalisierung aller Kapitaltransaktionen. Erst wenn diese Voraussetzungen erfüllt sind, so schon der Werner-Bericht, könne an die Einführung einer gemeinsamen Währung gedacht werden. Seit der Veröffentlichung dieses Berichts haben sich die währungspolitischen Bedingungen gravierend geändert allerdings nicht unbedingt zugunsten einer Währungsunion.

Zwar gibt es als eine Reaktion auf den Zusammenbruch des Weltwährungssystems von Bretton Woods seit 1979 ein Europäisches Währungssytem (EWS). Doch von den EG-Ländern zählen Großbritannien, Spanien, Portugal und Griechenland bis heute nicht zum EWS. Italien wiederum ist zwar Mitglied des EWS, doch nimmt es dort einen Sonderstatus ein. Während die Wechselkurse der anderen Mitgliedsländer innerhalb einer Bandbreite von plus/minus 2,5 Prozent um eine fixe Parität schwanken, beträgt die Schwankungszone für Italien sechs Prozent. Dank dieser Sonderstellung ist es Italien möglich, sich den - vor allem preispolitisch - disziplinierenden Wirkungen des Fixkurssystems weitgehend zu entziehen.

Darüberhinaus steht es im Belieben jeder einzelnen Regierung, über die Anpassung des Wechselkurses der nationalen Währung selbst entscheiden zu können. Im Rahmen des EWS wurde die Entscheidungsbefugnis über EWS-interne Wechselkursanpassungen deshalb nicht auf supranationale Organe übertragen, weil jede nationale Regierung diesen wirtschaftspolitischen Freiheitsgrad für sich reservieren wollte und konnte. Diese Souveränität der Wechselkursanpassung erlaubt es den Regierungen nämlich, im Falle von Ungleichgewichten der Leistungsbilanz anstelle von möglicherweise konfliktreichen Änderungen der Wirtschaftspolitik mit politisch bequemen Wechselkursmaßnahmen zu reagieren. Die Möglichkeit einer klassischen „beggar-thy-neighbour„-Politik hat bis heute wesentlich dazu beigetragen, daß die nationalen Geld- und Finanzpolitiken nicht koordiniert erfolgen.

Dennoch ist seit einigen Jahren eine gewisse Angleichung der nationalen Wirtschaftspolitiken zu verzeichnen. Diese erfolgt aber nicht durch Koordination und einvernehmliche Abstimmung, sondern allein durch die faktische Kraft der Verhältnisse. Das Regelsystem des EWS bringt es nämlich mit sich, daß die jeweils stärkste ökonomische Macht des Währungsblocks den anderen Mitgliedsländern die wirtschaftspolitischen Spielräume diktiert. Der Mechanismus ist recht einfach. Das Land mit den höchsten Exportüberschüssen und damit den höchsten Deviseneinnahmen innerhalb des Währungsblocks ist in der Lage, einen Teil seiner finanziellen Ressourcen zur Finanzierung der Defizitländer bereitzustellen. Diese Geldkapitalmittel fließen aber nur in die Defizitökonomien, wenn das Zinsniveau in diesen Ländern lukrative Gewinne für die Vermögensbesitzer verspricht. Die Regierungen der Defizitländer werden also ihre Leitzinsen erhöhen, und damit das inländische Wachstum drosseln.

Vormacht BRD

Genau in diesem Mechanismus liegt des Pudels Kern der anvisierten europäischen Wirtschafts- und Währungsunion begraben. Die stärkste Ökonomie des EG-Europa ist die Bundesrepublik Deutschland, die nicht allein das höchste Exportvolumen der kapitalistischen Welt, sondern auch stetige Handelsbilanzüberschüsse aufweist. Grundlage dieses „Exportwunders“ ist eine Kombination aus hohen Zuwachsraten der Arbeitsproduktivität und relativ geringen Wachstumsraten der Nominallöhne, die die Lohnstückkosten nur langsam ansteigen lassen.

Abgesichert wird diese Erfolgskombination durch eine rigide staatliche Wirtschaftspolitik, die eine Umverteilung der Einkommen zugunsten des Unternehmenssektors mit einer scharfen Antiinflationspolitik verbindet und dem Beschäftigungsziel eine nachgeordnete Bedeutung beimißt. Auf diese Weise wird von der Bundesrepublik, und zwar bereits seit der Schmidt/Genscher-Regierung, eine systematische Unterbewertung der D-Mark verfolgt, die die anderen EWS -Mitglieder zu einer Übernahme des restriktiven wirtschaftspolitischen Kurses zwingt. Die bundesdeutsche Ökonomie hat von diesem Mechanismus bis heute profitiert, weil der auf einer Unterbewertung der Währung beruhende Handelsbilanzüberschuß auch immer zugleich einen Export von Arbeitslosigkeit miteinschließt.

Wäre aufgrund anderer institutioneller Regelungen die staatliche Wirtschaftspolitik gezwungen, ein Handels- und Leistungsbilanzgleichgewicht anzustreben, wäre dieser strategische Vorteil verloren. Weil aber die Bundesregierung verständlicherweise nicht als Bremser der währungspolitischen Einigung EG-Europas dastehen will, wurde die Strategie eingeschlagen, die zukünftigen Strukturen einer WWU zugunsten der Bundesrepublik zu gestalten.

Bundesbankpräsident Karl Otto Pöhl hat die Marschrichtung bereits angegeben. In einem Beitrag für das 'Wall Street Journal‘ bestimmte er als zentrale Aufgabe einer zukünftigen europäischen Zentralbank die Sicherung der Geldwertstabilität, der alle anderen wirtschaftspolitischen Zielsetzungen unterzuordnen seien. Die gegenwärtige ökonomische Dominanz des BRD-Kapitalismus im EG-Europa soll im Regelwerk einer europäischen WWU festgeschrieben werden. Daß die anderen EG-Partner mit einem solchen Verfahren nicht einverstanden sein werden, ist Teil des taktischen Kalküls. Ein Scheitern der WWU-Pläne kann immer der wirtschafts- und vor allem stabilitätspolitischen Nachlässigkeit der anderen EG-Partner in die Schuhe geschoben werden - und vom Status quo profitiert schließlich nach wie vor die BRD-Ökonomie. Auf eine gemeinsame europäische Währung wird man noch lange warten müssen.

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