„Das ist ein Dialog unter Taubstummen“

Jimmy Ounei, Vertreter der Kanakischen Befreiungsbewegung FLNKS in Paris, zum Referendum der Franzosen über Neu-Kaledonien  ■ I N T E R V I E W

taz: Was halten Sie von dem Rocard-Abkommen über die Zukunft Neu-Kaledoniens?

Jimmy Ounei: Rocard hat sich bemüht und guten Willen gezeigt, das muß man anerkennen. Aber auch er agiert im Rahmen der Staatsraison und der Interessen Frankreichs. In der französischen Presse ist das Abkommen als ein historischer Schritt dargestellt worden, so, als habe der heilige Geist das Amt des Premierministers erleuchtet. Aber die Geschichte zeigt, daß unsere Interessen und die Frankreichs unvereinbar sind. Für uns ist es auch deshalb schwierig, das Abkommen zu akzeptieren, weil viele von uns getötet worden sind. In meiner Heimat, auf der Insel Ouvea, gibt es 132 politische Gefangene, und auch hier in Frankreich sitzen 27 von uns im Gefängnis. Das können wir nicht vergessen. Deshalb fordern wir auch eine Amnestie, und zwar für alle Gefangenen, auch für die, die angeblich „blutige Verbrechen“ begangen haben.

Was halten Sie davon, daß ausgerechnet die Kolonialistent im Herbst in einem Referendum über das Rocard-Abkommen entscheiden - und nicht die Neu-Kaledonier?

Das ist eine Frage des Kräfteverhältnisses, der Ungleichheit. Frankreich spricht so viel von Menschenrechten, das ist schön für diejenigen, die nicht unter dem französischen Kolonialismus und Imperialismus zu leiden haben. Dennoch sind wir insofern einverstanden mit der Abstimmung, als wir wollen, daß die Franzosen ihre volle moralische Verantwortung für einen Weg in Richtung Unabhängigkeit und Entkolonialisierung übernehmen.

Glauben Sie, das Abkommen wird allen Menschen auf Neu -Kaledonien Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit bringen?

Nein. Das sind schöne Sprüche für Plakate. Wir nehmen es mit Bitterkeit zur Kenntnis, wenn Frankreich immer von Menschenrechten und Freiheit redet. Aber nächstes Jahr wird der 200.Jahrestag der französischen Revolution gefeiert, daran müssen wir anknüpfen.

In dem Abkommen ist die Rede von der unparteiischen Rolle des französischen Staates, der für ein Jahr die direkte Herrschaft auf Neu-Kaledonien übernehmen soll.

Was heißt hier unparteiisch? Der Staat ist kolonialistisch, imperialistisch, repressiv, er schickt seine Polizei und seine Armee gegen unsere Bevölkerung. Es gibt keine Justiz, keine Gerechtigkeit. Diejenigen, die am 10.Dezember 1984 zwei Brüder unseres Chefs Jean-Marie Tjibaou getötet haben, wurden wieder freigelassen.

Im Zuge der Bodenreform Anfang der achtziger Jahre hat die FLNKS die Rückgabe von über 267.000 Hektar Land gefordert. Ist das für Sie noch aktuell?

Das ist eine der Fragen, die eigentlich in dem Abkommen enthalten sein müßten - wie auch die Frage der politischen Gefangenen oder die der Beamten, die viel mehr verdienen als in Frankreich und dazu ein Auto und ein Haus gestellt bekommen.

Nach dem Abkommen soll Neu-Kaledonien in drei neue Regionen aufgeteilt werden, darunter eine Südregion, wo der Großteil der Europäer lebt. Befürchten Sie eine Teilung des Landes?

Genau. Das ist der schlechte Geist des Abkommens: in Richtung Teilung, Spaltung der Bevölkerung und Destabilisierung der FLNKS. Im Grunde handelt es sich um einen Dialog unter Taubstummen. Frankreich und die Kanaken müßten sich bei einer Tasse Kaffee oder Tee zusammensetzen wie zwei Menschen, die sich gegenseitig akzeptieren und anerkennen.

Im Abkommen heißt es, 1998 soll über „Selbstbestimmung“ abgestimmt werden. Heißt Selbstbestimmung für Sie Unabhängigkeit?

Wir verstehen unter dem Recht auf Selbstbestimmung unser Recht auf Unabhängigkeit. Die Frage der kanakischen Souveränität kann bei einer Lösung nicht ausgeklammert werden.