piwik no script img

Zwangsräumung: „Plötzlich sind die Möbel weg“

■ In Bremen unterwegs: 26 Gerichtsvollzieher / Ergebnis vieler Vollstreckungen: Mobiliar geräumt, Sperrmüll wiederbekommen Zwangsräumer lassen von der Schmuckschatulle bis zum Müllberg alles verschwinden / Aber: Manch armes Schwein ist wirklich eins

Zwei Dinge möchte ich in meinen Leben nicht: Erstens zwangsgeräumt werden. Zweitens Mitarbeiter eines Unternehmens werden, das Zangsräumungen durchführt.

Die Geschichte, die Zwangsräumer und Zwangsgeräumte verbindet, ist fast immer die gleiche. Aus irgendwelchen Gründen bleibt der eine die Miete schuldig, Mahnungen gehen ein, Räumungsklage wird angestrengt, irgendwann ergeht der Räumungsbeschluß, der Gerichtsvollzieher droht die Zwangsräumung an, setzt den Räumungstermin fest

und steht schließlich pünktlich zum angekündigten Termin mit Schlosser, Lastwagen und ein paar Packern vor der Tür. Ein paar Stunden später ist die Wohnung leer, ihr ehemaliger Inhaber ein Fall fürs Obdachlosenasyl und sein Mobiliar entweder auf dem Sperrmüll oder in den Lagerhallen des Räumungsunternehmens untergestellt. Und wie alles im Leben hat auch diese Geschichte zwei Seiten.

Die 55jährige ehemalige Verwaltungsangestellte Ruth N. gehört auf die eine. Bis vor einem Jahr hat Ruth N. eine hübsche

Wohnung der ehemaligen Neuen Heimat und heutigen Gewoba in der Kulenkampfallee bewohnt. Im März letzten Jahres mußte sie ins Krankenhaus. Als sie Monate später wieder entlassen wurde, war die Wohnung leer. Zwangsgeräumt. Ihr Mobiliar, oder besser: Was davon übrig geblieben war, fand sie nach mühseligen Recherchen in der Lagerhalle eines Bremer Gerichtsvollziehers in der Richard-Dunkel-Straße wieder. In einem Zustand, der bei der immer noch gesundheitlich angeschlagenen Ruth N. einen Nervenzusammenbruch und einen Blutsturz auslöste. Ruth N.: „Ich fand nur noch einen Haufen Sperrmüll.“

In einer Kiste mit Lebensmitteln steckte die Klobürste, Polstersessel waren so übereinandergetürmt, daß die Sesselbeine die Polsterbezüge durchstoßen hatten, die Türen ihres altdeutschen Wohnzimmerschranks waren samt der Scharniere herausgerissen, das Furnier weggebrochen, die Kühlschranktür gerissen, die Waschmaschine verbeult. Fernsehgerät, Reiseschreibmaschine, Kamera, Diaprojektor, Toaster und Friteuse fehlten ganz. Obenauf auf dem Gerümpelhaufen fand Ruth N. ihre Schmuckschatulle - leer, bis auf eine Perlen

kette. Ruth N. schwört, vor dem Krankenhausaufenthalt und Zwangsräumung mehrere goldene Armbänder, Ohrringe, Anhänger und weiteren Perlenschmuck besessen zu haben. Auch auf den Besitz von 2.100 Mark, deponiert in dem jetzt ramponierten Schrank, legt Ruth N. jeden Eid ab. Auch vom Bargeld fehlt jede Spur.

Gegen Barzahlung von 240 Mark „Einlagerungsgebühr“ kann Ruth N. die Reste ihrer Habe in die inzwischen gefundene neue Wohnung abtransportieren lassen. Die Kosten der Zwangsräumung von 2231,66 bleibt sie einstweilen schuldig. Beschwerden beim an der Räumung beteiligten Gerichtsvollzieher bleiben erfolglos. Von einer Klage rät ein Rechtsanwalt wegen der Schwierigkeiten der Beweisführung ab.

Ruth N. ist kein Einzelfall. In Bremen führen 26 Gerichtsvollzieher jährlich rund 50.000 Zwangsvollstreckungen durch, darunter tausende von Zwangsräumungen. Rund 30 Dienstaufsichtsbeschwerden gegen Gerichtsvollzieher gehen jährlich beim Amtsgerichts ein. Fast alle verlaufen im Sande.

Auf der anderen Seite: Auch Gerichtsvollzieher sind nicht unbedingt um ihren Job zu beneiden.

Und noch weniger die Mitarbeiter der für die Zwangsräumungen angeheuerten Speditionsunternehmen. Denn unter den „armen Schweinen“ sind auch wirkliche: Offensichtlich sehen viele Leute nach der Androhung einer Zwangsräumung nicht mehr den geringsten Grund, den Gerichtsvollzieher freundlich in eine aufgeräumte gute Stube zu bitten. Im Gegenteil. Zur festen Arbeitsausrüstung der Packer gehören z.B. Gummihandschuhe und -stiefel. Häufig werden Atemschutzgeräte eingesetzt. 2.000 leere Bierflaschen, die ein Räum-Trupp jüngst

aus einem 1 1/2 Zimmer-Ap partment schleppte, gehören da fast zu den angenehmeren Tätigkeiten. Zum täglich Brot des Zwangsräumers gehört auch der Abtransport von Mülltüten-Bergen aus Abstellkammern und Kellerräumen. Als kleines Begrüßungsgeschenk für das Räumkommando hinterlassen Zwangsgeräumte auch schon mal vollgepinkelte Blumenvasen oder seit Wochen ungesäuberte Katzenklos.

Mit dem Gerichtsvollzieher hat man eben besser nichts zu tun. So oder so.

K.S.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen