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Roma boykottieren „Einheitsbrei“

■ In Bremerhaven bekommen Flüchtlinge statt Sozialhilfe Großküchen-Essen / Jugoslawische Roma verweigern das „widerliche Essen“ / Sozialamts-Leiter: „Die haben's ja noch gar nicht probiert“

Zum Frühstück gibt es eine Scheibe Weiß-, eine Graubrot, einen Klecks Butter, einen Marmelade und einen Schlag Tsatziki; zum Mittagessen schwimmen auf einer roten Reissoße zwei Stückchen Fleisch; abends wieder zwei Scheiben Brot, ein Happen Nudelsalat, ein Häppchen Gurkensalat und eine Scheibe Käse - alles unter Plastikfolie eingeschweißt. Anfang Juli hatte es der Bremerhavener Magistrat beschlossen, seit Dienstag bekommen knapp 500 AsylbewerberInnen, die es nach Fischtown verschlagen hat, statt kärglicher

deutscher Sozialhilfe noch kärglichere deutsche Großküchenkost. Doch während gestern die Flüchtlinge in fünf Sammellagern in den „sauren Apfel“ bissen, haben sich die 100 in der Stormschule untergebrachten südjugoswischen Roma zum Widerstand entschlossen: Sie boykottieren den „Einheitsbrei“ unter der Plastikfolie.

„Zu wenig, ungesund und widerlich“ war die übereinstimmende Meinung der AsylbewerberInnen. Jetzt stapeln sich die grünen Styropor-Verpackungen des Plstik-Essens im kleinen Büro

der Stormschule. Drei Sozialarbeiter, die dort für die Betreuung der Flüchtlinge zuständig sind, unterstützen den Boykott und begannen schon am Dienstag mit der Organisation einer unabhängigen Lebensmittel-Versorgung. Denn gleichzeitig mit der Umstellung auf Großküchen-Essen wurde den Flüchtlingen die Sozialhilfe von 380 Mark monatlich pro Erwachsenem auf ein Taschengeld von 10 Mark pro Woche gekürzt. Für die Versorgung von Kleinkindern zahlt das Sozialamt zusätzlich 23,15 pro Woche - „das reicht noch nichtmal für die Windeln“,

weiß ein Sozialarbeiter.

Spontan schenkten Bäckereien 15 große Brote, der „Bäckereinkauf“ stiftete einen Zentner Mehl und Eduscho versprach Kaffee-Gutscheine. Benötigt werden für den Boykott jetzt vor allem frisches Gemüse, Obst und Fleisch. Helfen will auch die benachbarte Paulus-Gemeinde.

Sozialamts-Leiter Günther Jarchow wies gestern die SozialarbeiterInnen auf ihren Amtseid hin, der ihnen eine Unterstützung des Essens-Boykotts verbieten würde. Doch die sehen es genau umgekehrt: „Wir sind für die Flüchtlinge da“, meint Erwin Heider, einer von ihnen. Auch dem Wunsch des Sozialamts, Flüchtlinge zu melden, die beim Betteln beobachtet werden, um ihnen daraufhin das Taschengeld zu sperren, wollen die Sozialarbeiter nicht nachkommen. Angst vor Abmahnung oder Entlassung haben die drei nicht, schließlich sind sie nur befristet per ABM beschäftigt.

Sozialamtsleiter Jarchow wiederum versteht den Boykott nicht: „Die haben das Essen ja noch gar nicht probiert“. Mit neun Mark pro „Tages-Menu“ lasse sich Bremerhaven die Versorgung zudem etwas kosten - billiger als die zuvor praktizierte Selbstver

sorgung sei das jedenfalls nicht. Schließlich sei die Großküchen-Kost auch nur eine „Notlösung, zu der wir greifen mußten, weil wir vom Ansturm der Asylbewerber überrollt wurden“. Die Regelung solle nur vorübergehend und nur für diejenigen Flüchtlinge gelten, die noch nicht endgültig vom Zirndorfer Bundesamt einem Bundesland zugewiesen wurden. Auf diese Umverteilung warten die Flüchtlinge allerdings zwischen zwei und sechs Monaten.

„Das ist auf Mohammedaner abgestellt, wir haben sogar einen Koch aus Jugoslawien“ lobt sich der Hersteller das in Plastik eingeschweißten Essens, die Bremer Firma „Menke -Menue“. Da stört es nicht, daß unter den damit verköstigten Bremerhavener Flüchtlingen auch katholische Polen und hinduistische Tamilen sind. „Die Leute haben ja ganz andere Geschmäcker“, widerlegt Firmen-Chef Menke Zweifel an der Appetitlichkeit des Essens. Und mehr ließe sich für neun Mark am Tag nicht bieten.

In der Stormschule kochten die Roma gestern dicke Bohnensuppe, und aus dem Ofen dampfte es lecker von den in Knoblauch-Öl gebratenen Hähnchenkeulen.

Dirk Asendorpf

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