: Österreich kokettiert mit dem Anschluß
Rein in die EG oder nicht? Die Unternehmer wollen in den Binnenmarkt / Dagegen schließt die Regierung einen Vollanschluß aus: Sie befürchtet Bauernsterben, Krise der Schwerindustrie und eine schrittweise Eingliederung in das westliche Bündnis / EG lehnt Extrawürste wie „Quasi-Vollmitgliedschaft“ ab ■ Aus Wien Jürgen Langenbach
Eher kühl fielen die Begrüßungsreden aus, als Willy de Clerq, Kommissar für Äußere Angelegenheiten, Anfang April in Wien eine Botschaft der EG eröffnete. Selbst Österreichs Außenminister Mock, ansonsten in seiner Europa-Euphorie allenfalls durch die eigene Zunge zu bremsen, bilanzierte nüchtern, ein etwaiger Beitritt Österreichs zur EG hänge von der eigenen „Entschlußkraft sowie dem entsprechenden Echo aus Brüssel ab“.
Das Echo war schon da. De Clerq hatte ein Ende der Brüsseler Geduld mit den österreichischen Sonderwünschen signalisiert. Ihm sei „nicht vorstellbar, daß innerhalb der EG zwei verschiedene Kategorien von Mitgliedschaften geschaffen würden“, eine mit vollen Rechten und Pflichten, und eine, die aus dem Kuchen nur die Rosinen nasche.
Letztere heißt auf österreichisch „Quasi -Vollmitgliedschaft“ (Bundeskanzler Vranitzky) und ist der Versuch, einer höchst heiklen Lage wenigstens semantisch Herr zu werden: der Lage Österreichs zwischen den großen politischen und militärischen Blöcken.
Diese Lage gerät in der derzeit geschürten Beitrittshysterie gerne in Vergessenheit. Seit die EG in ihrer „Europäischen Einheitsakte“ (1986) ihre Integrationspläne fortschrieben und die Bildung eines Gemeinsamen Binnenmarktes für 1992 anvisiert hat, machen die österreichischen Unternehmerverbände, allen voran die Industriellenvereinigunng mit ihrem Generalsekretär Krejci, in Torschlußpanik. Ein vom Binnenmarkt ausgeschlossenes Österreich werde in ökonomischer „Mittelmäßigkeit am Rande“ versinken. Ein „Anschluß“ hingegen gehe zwar auch nicht ohne „Leichen am Straßengraben“ ab, aber gerade diese Kur sei erwünscht, um der schläfrigen Wirtschaft frischen Wind einzuhauchen.
Panikmache?
Diese Aufbruchstimmung kommt gut an in der von Skandalen und der Vergangenheit geschüttelten Republik. Plausibilität hat sie weniger, denn auf der einen Seite steht Österreich bislang außerhalb der EG gar nicht so schlecht da: Arbeitslosenrate 1986: 5,2 Prozent (EG: 11,2 Prozent), Steigerung der Industrieproduktion von 1973 bis 1986: 39 Prozent (BRD: 13 Prozent). Und auf der anderen Seite steht Österreich bislang überhaupt nicht außerhalb der EG, sondern ist mit 68 Prozent aller Importe und 63 Porzent aller Exporte stärker integriert als manches Mitgliedsland.
Ein formeller Beitritt würde an der Gesamtbilanz wenig ändern, wohl aber innerhalb der einzelnen Posten die Gewichte verschieben. Das Wirtschaftsforschungsinstitut prognostiziert einen Marktanteilsgewinn von 1,5 Prozent und einen Steuer- und Zolleinnahmeverlust in ähnlicher Höhe.
Die Panikmache der Industriellenvereinigung zielt also weniger auf das ökonomische Gesamtwohl als auf den Staat selbst und auf die hochsubventionierte verstaatlichte Schwerindustrie, eine der Bastionen des österreichischen Gewerkschaftsbundes und der SPÖ. Der zweite große Verlierer wäre die Landwirtschaft, das Beitritts-Bauernsterben wird auf 150.000 bis 200.000 Betriebe geschätzt. Da die Bauern zur Klientel der ÖVP gehören, herrschte bis Ende vergangenen Jahres innerhalb der SPÖ/ÖVP-Koalition Einigkeit darüber, daß einer Vollmitgliedschaft ein „global approach“ (Mock) vorzuziehen sei. Österreich solle sich vertraglich möglichst eng an die EG binden und alle EG-internen Regelungen nachvollziehen, aber draußenbleiben.
Zu Dreikönig hat sich die ÖVP unter dem Druck eines Wirtschaftsflügels eines anderen besonnen, nun steht die SPÖ allein als Bremser da. Zwar ist auch sie analytisch nicht mehr so sattelfest wie in den sechziger Jahren, als der damalige Parteivorsitzende Pittermann die EG das „Terrain des deutschen Monopol-Kapitalismus“ nannte. Aber ihr heutiger außenpolitischer Sprecher Jankowitsch erinnert doch bei jeder Gelegenheit an die „staatspolitische Verantwortung, die es gerade in diesem Bereich gibt“. Deutlicher wird er nicht. Deutlicher werden nur die Beitrittsgegner, die politisch marginale KPÖ und die Grünen. Und deutlicher wurde Mock (ÖVP), dem am 27. November 1987 zu später Stunde und deshalb kaum vermerkt im Parlament folgenes über die Lippen kam: „Eines können wir nicht erwarten, daß wir beitreten, und dann beschließen zwölf Mitgliedsstaaten, sie werden auch eine Sicherheitsgemeinschaft, und dann können wir uns wieder verabschieden.“
Neutralität gefährdet
Hinter einem Beitritt zur Wirtschaftsgemeinschaft winkt der Anschluß an ein Militärbündnis. Die „Europäische Einheitsakte“ spricht verschämt und darum um so deutlicher in ihrem Artiel 30 Absatz 6 von einer „engeren Zusammenarbeit in Fragen der europäischen Sicherheit“. Die Polizei ist damit nicht gemeint. Aber Österreich kann sich keinen kalten Anschluß an ein Militärbündnis leisten.
Denn die völkerrechtliche Grundlage der Republik Österreich ist ihre „immerwährende Neutralität“. Sie steht nicht nur im ersten Artikel der Bundesverfassung vom 26. Oktober 1955, sie steht auch im sogenannten „Moskauer Memorandum“ (Signatarmacht: UdSSR), das seinerseits die Vorbedingung für jenen „Staatsvertrag“ war (Signatarmächte: die vier Alliierten), der Österreich erst in die Souveränität entließ. Und „eine politische oder wirtschaftliche Vereinigung zwischen Österreich und Deutschland“ explizit verbietet.
Nun läßt sich unter Verfassungsrechtlern darüber streiten, ob eine Vereinigung mit Deutschland etwas anderes ist als eine Vereinigung mit einer von der BRD dominierten EG und ob ein Beitritt zur EG mit Neutralitätsvorbehalten möglich wäre.
Aber der Streit bleibt akademisch. Denn de Clerq hat klargemacht, daß die EG keine Extrawürste auf ihrer Einheitskarte führt. Und der zweite Wirt, ohne den die Rechnung nicht gemacht werden kann, sitzt in Moskau. Die Signatarmacht UdSSR hat nach jahrelangen vieldeutigen Signalen ihre Positionen Mitte Mai zu einem vernehmlichen „njet“ zugespitzt. Man hege den „aufrichtigen Wunsch“, erklärte G. Gerassimow, der Sprecher des Außenministeriums, „Österreich auch weiterhin als blühenden neutralen Staat zu sehen“.
Beruhigt hat die kalte Dusche die Gemüter nicht. Man sei schließlich „kein Satellitenstaat“, gab Außenminister Mock nach Moskau zurück, „Österreich ist souverän und kann sich nicht durch irgendein Veto beirren lassen“.
Die angestrebte Preisgabe der Souveränität durch eine Vollmitgliedschaft in der EG wird also mit einer Bekräftigung der Souveränität begründet. Die Lage ist verwirrend. Aber sie wird sich nach österreichischer Art klären. Das Problem wird von der Bühne der Öffentlichkeit ins Dämmerlicht einer Vielzahl interministerieller Kommissionen verschoben. Diese sollen bis Ende 1988 alle Aspekte eines möglichen Beitritts kleinarbeiten, auf daß die Bundesregierung 1989 entscheiden kann, ob sie nun in Brüssel anklopft oder nicht.
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