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Der Fall Nigeria

■ Kredite und 'perverses Wachstum‘: keine Fortschritte, aber Lasten für alle

„Let them eat fly-overs“ - Laßt sie doch die Autobahnbrücken essen, hieß eine der Schlagzeilen in der nigerianischen Tagespresse, als die einheimische Elite sich anschickte, die 25jährige Unabhängigkeit des Landes zu feiern. Die Masse der Bevölkerung freilich hatte nichts zu jubeln. Denn „ein Vierteljahrhundert Uhuru“ bescherte ihnen Gehaltskürzungen und eine Verteuerung der Grundnahrungsmittel. Und dies, obwohl schon zuvor die Löhne der kleinen Angestellten und der Arbeiter unter dem Existenzminimum gelgegen hatten. Im Jahr 1985 war es endgültig aus mit dem Ölboom, und die schwindenden Petromilliarden zwangen den Wirtschaftsgiganten und das OPEC-Land Nigeria in die Knie.

Um Zinsen und Tilgungen für die Auslandsschulden wenigstens teilweise bezahlen zu können, verfügte die Militärregierung ein drastisches Sanierungs- und Sparprogramm. So verhängte sie beispielsweise ein Importverbot für Mais und Reis. Entwicklungspolitisch war dies eine durchaus sinnvolle Maßnahme, um der Landwirtschaft in der potentiellen Kornkammer Westafrikas nach jahrelanger Vernachlässigung endlich unter die Arme zu greifen. Aber der abrupt verfügte Zwang zur Selbstversorgung ließ die Preise für die Alltagskost der Armen in die Höhe schnellen, und das sind allein in Lagos mindestens zwei Millionen Menschen. Im Jahr 1985, zum Silberjubiläum seiner Unabhängigkeit, belief sich die Verschuldung Nigerias auf etwa 20 Milliarden Dollar; Anfang 1988 war dieser Betrag gar auf 24 Milliarden angewachsen. Dabei hätte das Land genug Ressourcen gehabt, um sich aus eigener Kraft zu entwickeln: Von 1970 bis 1988 exportierte es Erdöl im Wert von rund 180 Milliarden Dollar; zeitweise lagen die Ausfuhrerlöse sogar über denen des 'reichen‘ Südafrika. Die herrschende Elite, aber auch die Kreditgeber hatten nicht damit gerechnet, daß der Strom der Ölgelder einmal versiegen könnte.

Als die Front des OPEC-Kartells durch das Billigöl aus Großbritannien und Norwegen zerbrach, traf der Sparkurs der nigerianischen Regierung die gesamte Bevölkerung, obwohl sie vom Ölboom und den per Auslandskredit finanzierten Investitionen nicht profitiert hatte. Die verdienten wie geliehenen Gelder waren in ehrgeizige Industrialisierungsprojekte (z.B. Stahlwerke, Autofabriken) und in kostspielige Infrastrukturmaßnahmen geflossen. So verfügt allein der Großstadtbereich von Lagos (Einwohnerzahl: sechs bis acht Millionen) über ein Autobahnnetz von gut 200 Kilometer Länge. Wieviele Milliarden dessen Errichtung auf dem sumpfigen Lagunengrund verschlungen hat, ist unbekannt: es müssen astronomische Summen gewesen sein.

Im Fieber des Ölrausches verlor die nigerianische Elite jeden Bezug zu den Realitäten ihres Landes. Die Korruption blühte in einem nie gekannten Ausmaß, die Vergeudung nahm absurde Formen an: Als Ende der siebziger Jahre der Hafen von Lagos hoffnungslos verstopft war - 300 bis 400 Schiffe lagen im Meer vor Anker -, wurden die Teile für die Produktion im Peugeotwerk per Luftfracht ins Land geholt. Noch kurioser allerdings ist der Bau der neuen Hauptstadt Abua. Die soll im Herzen des Landes liegen, im ethnischen Vakuum zwischen den Siedlungsgebieten der dominierenden Völker Nigerias und nicht wie Lagos im Yoruba-Land. Eigentlich kein schlechter Gedanke, um die Nationbildung der mehr als 250 verschiedenen Völker zu fördern, wäre da nicht die Gigantomanie des Projektes. Am grünen Tisch geplant, soll eine Stadt für zwei Millionen Menschen aus dem Boden gestampft werden: im Zentrum mit einer kreuzungsfreien 13spurigen (!) Verkehrsführung und einem unterirdischen Schnellbahnsystem.

Dies sind nur wenige Beispiele für die technokratische Großmannssucht in der bereits im Bau befindlichen Hauptstadt. Nicht einmal die Bundesrepublik könnte ein solches Projekt finanzieren. Realisiert aber wird es in einem Staat, in dessen ländlichen Regionen es weder fließendes Wasser noch Elektrizität gibt, wo die Lepra noch wütet, weil ein paar Millionen Dollar zu ihrer Bekämpfung fehlen. Wie soll denn eine neue Hauptstadt der Nationalbildung dienen können, wenn die Masse der Bevölkerung den Staat nur als Steuereintreiber kennt, nicht aber als eine Institution, auf deren Dienstleistungen sie sich verlassen kann; nicht als ein Organ, das sich die Verbesserung der Lebenssituation der Armen auf die Fahnen geschrieben hat?

Oft wird argumentiert, Großprojekte wie der Autobahnbau oder die Errichtung von Fahrzeugfabriken würden Arbeitsplätze und dadurch Einkommen für vorher Mittellose schaffen. Das ist in gewisser Weise zutreffend. Nur: In Nigeria steht die geringe Zahl der neu entstandenen Arbeitsplätze in keinem Verhältnis zu der Höhe der Investitionsausgaben. Vor allem aber: Die Arbeitskräfte erhalten Löhne, mit denen ein menschenwürdiges Leben nicht zu bestreiten ist. Die Situation der Arbeiterfamilien ist eben nicht besser - oftmals eher schlechter - als diejenige der Kleinbauern auf dem Lande.

Dies ist nicht nur in Nigeria der Fall, sondern praktisch in allen Ländern Schwarzafrikas. Von den per Exporterlös oder per Kredit finanzierten Investitionen hat die Masse der Bevölkerung im Sinne eines Entwicklungsfortschrittes nichts abbekommen. Sie wird aber dennoch von den Sparmaßnahmen hart getroffen, die aufgrund der gestiegenen Zins- und Tilgungszahlungen in ganz Schwarzafrika von den Regierungen verfügt bzw. von außen - sei es durch IWF oder Weltbank den Ländern auferlegt worden sind.

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