: Neuköllner (Irr-)Wege
■ In Neukölln gibt es immer noch 20.000 Bruchbuden / Hypothek des Kahlschlags im Rollbergviertel / Gemischte Bilanz von 25 Jahren Stadterneuerung
Noch vor dem Bezirk Wedding hält jetzt in diesem Monat Neukölln als anderer großer Arbeiterbezirk in Form einer Ausstellung, Besichtigungen und Diskussionen Rückschau auf 25 Jahre Stadterneuerung. In der reichlich dürftig geratenen Ausstellung im zweiten Stock des Rathauses informiert dabei die Eigentümer-Beratungs-Gesellschaft BSM auf Stelltafeln in knappen Erläuterungen und Fotos über ihre derzeitigen Verfahrensgrundsätze, ohne auf die mannigfaltigen Interessenkonflikte zwischen Mietern, Bezirk und Eigentümern näher einzugehen.
Mehr Aufschluß wenigstens über die Knackpunkte der abgeschlossenen Sanierung verspricht ein angesetzter „Rundgang durch die Rollberge“ sowie eine Diskussion mit Interessierten über „(Irr-?) Wege der Stadterneuerung am Beispiel Rollbergviertel“ im Gemeinschaftsraum der Wohnbau -Gesellschaft Stadt und Land. Im Ergebnis der vor einem Vierteljahrhundert eingeleiteten und wohl umfassendsten Kahlschlagsanierung in Berlin gibt es in dem Quartier nach Angaben Baustadtrates Branoners (CDU) von den ursprünglich vorhandenen gut 5.200 Wohnungen nur noch etwa 2.300, von denen ca. 2.000 neu errichtet wurden. Nur zehn von rund 70 Gewerbebetrieben überlebten. „Kein Erfolg, man wurde der damaligen Situation nicht gerecht“, bewertete Branoner gestern im Gegensatz zu den Weddingern kürzlich diese Art des Flächenkahlschlags kritisch. Es gebe Bewohnerklagen über die fehlende Sicherheit vor Kriminellen in den langen Fluren der Blocks und - seinem Eindruck nach unberechtigte Beschwerden über zu kalte und zugige Wohnungen. Indes sei man beim Bausenator dabei, die Defizite aufzulisten und auch die planenden Architekten wollten sich der Kritik der Anwohner stellen.
Inzwischen sei schon vor zehn Jahren auch in Neukölln die Wende hin zur behutsamen und kleinteiligen Stadterneuerung erfolgt, hob der ehemalige persönliche Referent des reformfreudigen Ex-Bausenators Rasstemborski befriedigt hervor. Da in dem von grauen Häuserfassaden und Hundescheiße auf den Gehsteigen nach wie vor äußerlich geprägten Bezirk trotzdem weiter Versäumnisse aus der Vergangenheit aufgeholt werden müßten, rangiert Neukölln dem CDU-Stadtrat zufolge momentan bei der Verteilung der Modernisierungs- und Instandsetzungsmittel an zweiter Stelle hinter Kreuzberg.
Rund 20.000 der etwa 160.000 Neuköllner Wohnungen haben immerhin nur ein Außenklo und sind ohne Bad, so Branoner. In dem Zusammenhang beklagte er, daß wegen fehlender Umsetzwohnungen etwa zehn bis zwölf Sanierungsprojekte „mit steigender Tendenz nach oben“ nicht begonnen werden könnten. Dies bereitet, so der Stadtrat besondere Probleme, weil aus den verkommenen Häusern des Spekulanten Sommer zum Teil Großfamilien mit bis zu 18 Personen ausquartiert werden müssen. Besser klappt es nach Angaben von Vertretern der BSM -Gesellschaft mit der Kontrolle der Abrechnung von Stadterneuerungsvorhaben in Neukölln.
So seien durch die nachträgliche Prüfung rund 40 Millionen DM eingespart worden. Mit diesem Betrag könne man zusätzlich jährlich 400 bis 500 Wohnungen erneuern.
thok
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