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Alles legal: High Tech im Bauch

■ In Bonn wird ein Gesetz geplant, das Forschung am Embryo grundsätzlich verbieten soll / Aber die Befruchtung im Reagenzglas, Einfallstor für die Gentechnologie beim Menschen, wird nicht angetastet / Von Gunhild Schöller

Happy birthday, Louise Brown! Kein Blatt der Regenbogen -Presse versäumte, ihr zum Geburtstag zu gratulieren: Louise Brown, als erstes Kind außerhalb des Mutterleibes im Reagenzglas gezeugt, wurde vor kurzem zehn Jahre alt. Auch seriöseren Blättern war das zehnjährige Jubiläum eine Meldung wert - häufig verknüpft mit einem kurzen Abriß all der „ethischen“ Probleme, die mit der Anwendung der Fortpflanzungs- und Gentechnologien verknüpft sind. Denn erst seit in vitro, im Reagenzglas, befruchtet werden kann, stehen Embryonen zum Forschen und Experimentieren zur Verfügung. Sind dies Menschenversuche am „ungeborenen Leben“ oder sind es nur Experimente an einer „Zellgruppe“? In allen Industrieländern wird momentan versucht, Gesetze zu schaffen, die den rechtlichen Rahmen für die Gen- und Reproduktionstechnologien abstecken. Wo ist Forschung sinnvoll und wo beginnt Menschenzüchtung und der Versuch, die Fortpflanzung zu einem technischen-industriellen Prozeß zu machen?

In den Ländern Westeuropas wird die Frage, was „ethisch“ noch vertretbar oder was strafrechtlich zu verbieten sei, sehr unterschiedlich eingeschätzt. Das restriktivste Gesetz, v.a. im Bereich der Fortpflanzungsmedizin, wird voraussichtlich in der Bundesrepublik geschaffen. Die CDU/CSU, ganz dem Schutz sowohl des „ungeborenen Lebens“ als auch von „Ehe und Familie“ verpflichtet, legt Wert darauf, an diesem Punkt nicht unglaubwürdig zu wirken. Anfang '88 wurde dem Kabinett in Bonn vom Justizministerium ein Bericht vorgelegt, in dem die Vielzahl der Gen- und Reprotechniken erläutert, ethisch-moralisch bewertet und Vorschläge unterbreitet wurden, was zu verbieten und was zu erlauben sei. Mit einem Gesetzentwurf, der vom Justizministerium in Zusammenarbeit mit dem Hause Süßmuth und dem Ministerium für Forschung und Technologie erstellt wird, ist im Herbst zu rechnen.

Verboten werden soll nach diesem ersten Kabinettsbericht die Forschung an Embryonen. Diese Festlegung ist von zentraler Bedeutung, denn die Forschung am Embryo ist das Einfallstor für alle weiteren „Fortschritte“ im Bereich der Gen-und Reprotechniken, z.B. für Forschungen, die die „Vollkommenheit“ des zukünftigen Erbguts zum Ziel haben.

Ein „Embryonenschutzgesetz“ ist geplant, um dieses Verbot, das auch mit Strafgesetzen bewehrt sein wird, zu definieren. Dabei wird genauso wie in den Diskussionen um den §218 und das Beratungsgesetz argumentiert: Das „menschliche Leben“ beginne mit der Verschmelzung der beiden Kerne von Ei- und Samenzelle. Sei es im Uterus oder im Reagenzglas - die sich teilende Zelle ist von Anfang an „menschliches Leben“.

„Überzählige“ Embryonen

Deshalb wird sich strafbar machen, wer Embryonen gezielt erzeugt, um sie für Forschungszwecke zu verbrauchen. Dieses Verbot zu umgehen, dürfte für interessierte Ärzte- und Forscherteams allerdings nicht schwierig sein. Ständig fallen schon heute in den gynäkologischen Abteilungen der Krankenhäuser „überzählige“ Embryonen an: bei den Versuchen, Frauen mit einer in-vitro-Fertilisation zu einer Schwangerschaft zu verhelfen, werden häufig mehr Embryonen im Reagenzglas gezüchtet, als später in den Uterus eingesetzt werden können. Was tun mit diesem „überzähligen menschlichen Leben“ im Röhrchen? Vernichten, bei minus 196 Grad Celsius tiefgefrieren oder doch mit ihnen experimentieren? Zu diesem Problem wird in den Papieren des Justizministeriums lediglich vorgeschlagen, eine Tiefkühllagerung zu vermeiden und nur soviele Eizellen zu befruchten, wie in die Gebärmutter der Patientin eingesetzt werden können. Aber zahlenmäßig festlegen will man sich nicht, das sei „nicht sachgerecht“. Die Gründe liegen auf der Hand: eine Vorschrift wird faktisch nicht durchzusetzen sein. Wer dagegen ist, daß an „überzähligen“ Embryonen experimentiert wird, muß sich grundsätzlich gegen die in -vitro-Fertilisation als Behandlungsmethode gegen Unfruchtbarkeit aussprechen. Aber ein „Nein“ aus Bonn zur in -vitro-Fertilisation ist nicht zu erwarten. Zwar wird im Kabinettsbericht zu Beginn erwähnt, daß „eine rein medizinisch-technische Behandlung ungewollter Kinderlosigkeit den leib-seelischen Beziehungen nicht gerecht (wird)“, aber dieser Gedanke wird nicht weiter verfolgt.

Es wird zwar appelliert, künstliche Fortpflanzung „nicht unkritisch“ anzuwenden, aber „auf die Möglichkeiten der modernen Fortpflanzungsmedizin kann nicht verzichtet werden“. Man beugt sich der Macht des Faktischen - das Angebot in den Kliniken hat längst die Nachfrage nach dieser medizinisch-technischen Behandlungsmethode geschaffen.

Eine Quälerei für Frauen

Dabei gäbe es gute Gründe, auf die in-vitro-Fertilisation zu verzichten. Die Erfolgsraten sind äußerst gering, dafür ist sie das entscheidende Einfallstor für die Anwendung der Gentechnologie beim Menschen. Und sie ist eine Quälerei für die Frauen, die ganz traditionell die Last einer Unfruchtbarkeitsbehandlung tragen. Die Biologin Helga Satzinger, Mitarbeiterin bei FINRRAGE, dem internationalen feministischen Netzwerk gegen Gen- und Reprotechniken beschreibt die Prozedur so: „Die Eierstöcke der Frau werden mit Hilfe eines Hormongemisches stimuliert, um Eizellen zum Reifen zu bringen. Die Eierstöcke können dabei durchaus kokosnußgroß werden. Zumindest eines der verwendeten Hormone steht unter Verdacht, bei den damit behandelten Frauen und ihren Kindern Krebs auslösen zu können. Während der Eireife wird mehrmals täglich mittels Blutabnahmen und Urinprobe der Hormonspiegel kontrolliert, mit Ultraschall wird das Wachsen der Eibläschen verfolgt. Sind die Eier reif, werden sie 'geerntet‘, dazu narkotisiert man die Frau und pumpt ihr den Unterleib voll Gas, die Bauchdecke wird aufgeschnitten und die Eier werden abgesaugt. Preiswerter, da die Vollnarkose entfällt, ist die 'Eierernte‘ durch die Vagina, dabei kann es allerdings zu Stichverletzungen von Blase und Blutgefäßen kommen.“ Im Kabinettsbericht wird kein Wort über diese Tortur verloren. Die Grünen und FINRRAGE fordern das Verbot der extrakorporalen Befruchtung. Weniger wegen ethischer Probleme rund um den Embryo, sondern wegen der Experimente, die dabei an Frauen gemacht werden. Experimente, die das Ziel haben, die Fortpflanzung, die jetzt noch zu einem großen Teil in der Macht der Frauen liegt, technisch herzustellen und manipulierbar zu machen. Auf diese Problematik und Gefahr wird im Bonner Kabinettsbericht nicht eingegangen. Auch eine Arbeitsgruppe „Fortpflanzungsmedizin“ aus Vertretern der Länder und des Bundes, die eineinhalb Jahre tagte, hatte zu dieser zentralen Fragestellung nichts Substantielles sagen. Statt dessen beschäftige man sich sehr ausführlich mit den Problemen des Kindes, dessen sozialer Vater nicht der genetische Vater ist. Von schweren „Krisen“ und „Lebenslügen“, die das Kind und das Ehepaar mit einer solchen Elternschaft bedrohen, ist da die Rede. Fragt sich nur, ob die „Lebenslüge“ nicht schon viel früher beginnt: bei der Vorstellung, mit Naturwissenschaften und Technik überall zu siegen, wie mann es will.

Teil II nächsten Donnerstag über England: Forschung am Embryo stützt Thatchers Familienideologie

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