: Erholung ohne Langeweile in Neunburg
Neunburger Verkehrsamt beruhigt besorgte Urlauber / 80.000 Übernachtungen pro Jahr / Stadt seit 1982 gegen die WAA / Erfolgreiche Industrieansiedlungen / SPD hat nichts gegen DWK-Gelder / Jahrhundertgeschäft der Gastronomie bleibt aus ■ Von Bernd Siegler
Neunburg vorm Wald (taz) - „Können wir denn noch nach Neunburg fahren, gibt es dort keine Krawalle?“ Bis zu fünfmal am Tag muß Wolfgang Bayerl, Chef des Verkehrsamtes der oberpfälzer Stadt Neunburg vorm Wald, derartige Anrufe entgegennehmen. „Nein, beim WAA-Erörterungstermin spielt sich alles in der Halle ab“, versucht er den Anrufer zu beruhigen, „bei uns gibt es keine Chaoten.“ Glücklich ist Bayerl, Mitglied des Bundes Naturschutz und WAA-Gegner, nicht, daß auch der zweite Erörterungstermin in Sachen Wiederaufarbeitungsanlage Wackersdorf in der Stadthalle von Neunburg über die Bühne geht. „Man will doch, daß sich die Gäste hier wohlfühlen“, erklärt er und beklagt im gleichen Atemzug die „massive Polizeipräsenz“. Da traue sich ja keiner mehr, „einen über den Durst zu trinken“. Neunburgs SPD-Stadtrat Helmut Mordanow sieht hauptsächlich Urlauber aus Berlin und norddeutschen Großstädten in Gefahr. „Wir wissen doch, wie bevorzugt die Polizei gerade Kraftfahrzeuge mit derartigen Kennzeichen durchsucht.“
Viel steht auf dem Spiel für die Stadt. Stolze 80.000 Übernachtungen pro Jahr hat der fast 1.000 Jahre alte Ort im Schwarzachtal aufzuweisen, der laut Eigenwerbung „Erholung ohne Langeweile abseits der großen Touristenströme“ bietet. Die nahe Bundeswehrkaserne wird in den bunten Prospekten ebensowenig erwähnt wie der KZ-Friedhof am Rande der Stadt.
Selbst Bürgermeister Sepp Manlik befürchtet, daß sich das Leben in der „bisher ruhigen, gefahrlosen Umgebung in Zukunft anders gestalten könnte“, sollte die WAA in Betrieb gehen. Damit es aber mit der „wohltuenden Ruhe und der intakten Natur“ (Eigenwerbung) so bleibt, hat die CSU -regierte Stadt sich von Anfang an gegen die WAA ausgesprochen. Manlik reklamierte beim Erörterungsverfahren sogar eine „Sonderstellung der Stadt“ unter den übrigen 880.000 Einwendern.
Das gesamte Wasser bezieht die Pfalzgrafenstadt aus dem Bodenwöhrer Becken direkt unter der WAA. Die 7.500 Einwohner zählende Gemeinde liegt genau im Osten der geplanten Anlage. Bei überwiegenden Westwinden ziehen radioaktive Stoffe und Abgase aus dem 220 Meter hohen Abluftkamin der WAA in Richtung Stadt.
Edda Rettelbach von der Neunburger Bürgerinititiative gegen die WAA hat nachgerechnet, daß bei einer Windgeschwindigkeit von nur vier Meter pro Sekunde die Schadstoffe das nur 14 Kilometer entfernte Neunburg schon innerhalb einer Stunde erreichen. Entsprechende Warnungen - zum Beispiel nach einem Störfall - kämen dann viel zu spät, um noch etwaige Vorsorgemaßnahmen einleiten zu können.
Mit 19:0 Stimmen hat denn auch der Neunburger Stadtrat im November 1983 Einwendungen gegen die erste Teilerrichtungsgenehmigung der WAA erhoben. Nach der Erörterung im Februar 1984 stellte das Gremium fest, daß „die vorgebrachten Bedenken gegen den Bau einer WAA nicht ausgeräumt sind“. Schon 1982 hatte der CSU-dominierte Stadtrat den Standort Wackersdorf als „grundsätzlich ungeeignet“ abgelehnt.
Das Arbeitsplatzargument besitzt in Neunburg nicht die Zugkraft wie in anderen vergleichbaren Oberpfälzer Städten. Allein im Industriegebiet am Rand der Stadt sind 1.500 Arbeitsplätze vorhanden, laufend melden sich ansiedlungswillige Unternehmen im Rathaus. Mit „guten Beziehungen nach München“ will SPD-Stadtrat Mordanow, Rechtspfleger am Amtsgericht Burglengenfeld, die erfolgreiche Industrieansiedlungspolitik der Stadt nicht erklären. „Wenn wir solche hätten, hätten wir einen höheren Gewerbesteueranteil aus der WAA erhalten.“
Mit Enttäuschung wurde in Neunburg das Ergebnis des Gerangels um die erwartete Gewerbesteuer aus der WAA aufgenommen. Nur zehn Prozent des Kuchens fallen an die Stadt, mit mindestens 20 Prozent hat man gerechnet. Der Löwenanteil geht nach Wackersdorf. Doch auch eingefleischte WAA-Gegner und Mitstreiter in der örtlichen BI, wie z.B. SPD -Mann Mordanow, haben keine Bedenken gegen Finanzspritzen für den städtischen Haushalt vonseiten der WAA -Betreiberfirma DWK. Viermal schon flossen jeweils 244.000 Mark als „zinslose Darlehen“ der DWK in die städtischen Kassen. Später sollen die Summen mit der Gewerbesteuer verrechnet werden.
Im Dezember erwartet die DWK die Erteilung der zweiten Teilerrichtungsgenehmigung, die gerade in der Stadthalle erörtert wird.
Nachdem der Andrang der insgesamt über 880.000 Einwender bereits nach dem dritten Tag stark nachgelassen hat, hält sich das erhoffte Jahrhundertgeschäft für die Gastronomie in Grenzen. Selbst das werbewirksame Schild „Königlich -Bayerischer Lieferant der Neunburger BI gegen die WAA“ bringt dem Wurstbrater direkt gegenüber der Halle keine Vorteile. „Jeweils ein Hals- und ein Bauchsteak sowie zehn Paar Bratwürste“ lautet seine Tagesbilanz. Fast hätte er es vergessen: „Die Hälfte davon habe ich selbst gegessen.“
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