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„Töpfer schröpft die Haushalte“

■ Stefan Wellershaus, Mitglied der Aktionsgemeinschaft Nordsee, zum „Sonderopfer“

taz: Die vierköpfige Familie soll mit 300 Mark pro Jahr als Sonderopfer die Nordsee retten. Was halten Sie von Töpfers Programm?

Stefan Wellershaus: Töpfer traut sich nicht an die Ursachen ran. Er kuscht vor der Industrie. Der BP-Konzern hat passend dazu – am selben Tag angedroht, ins Ausland zu gehen, wenn die Belastungen zu hoch werden. Also werden diese Belastungen abgewälzt, und die Haushalte werden geschröpft.

14 Milliarden sollen die Haushalte bezahlen, fünf Milliarden die Industrie, die über eine Novellierung des Wasserhaushaltgesetzes zu Investitionen bei der Schadstoffrückhaltung gezwungen werden soll.

Die Abwasserreinigung der Industrie ist ein wichtiger Punkt. Aber sie ist streng genommen ein Kurieren von Symptomen. Der Hauptteil der chemischen Verschmutzung durch die Industrie geht auf Produkte zurück, die sie verkauft und auf den Markt bringt. Wenn die Schadstoffe durch milliardenschwere Technik zurückgehalten werden, verschwinden sie ja nicht. Sie sind in der Umwelt und belasten sie. Am Ende landen sie auf einer Deponie, die man nicht in Plastikfolie einschweißen kann. Solange Schadstoffe also nicht ausschließlich in geschlossenen Systemen bleiben, solange bleibt die Misere wie sie ist.

Das Verursacherprinzip ist inzwischen zum gesellschaftlichen Konsens in der Umweltpolitik geworden. Wie könnte man dieses Prinzip konsequent auf die Nordsee anwenden?

Also erstmal muß man sagen, daß die Sanierung der Nordsee nicht in der Nordsee anfangen kann. Die Verschmutzung findet an Land statt. Die hauptsächlichen Belastungswege sind die Flüsse und die Luft. Zweitens kann nur derjenige Verursacher sein, der die Schadstoffe herstellt, und nicht derjenige, der sie verbraucht.

Wie wären die Anteile der Sanierungskosten zwischen Industrie, Landwirtschaft und Haushalten gerecht zu verteilen?

Das ist falsch gefragt. Die Haushalte sind die Folgestufe der Industrie. Was dort nicht hergestellt wird, können Haushalte und Landwirtschaft nicht verbrauchen. Wir müssen hier wirklich bei den Ursachen ansetzen. Die Industrie muß zu einer neuen Technik kommen und zwar aktiv, also mit eigenen Anstrengungen. Die Industrie müßte schon aus Eigeninteresse diesen Prozeß beschleunigen, weil auch sie nur so überleben kann.

Können die Verbraucher diesen Wandel beschleunigen?

Es gibt einige Bereiche, wo es möglich ist, über Konsumverhalten die Produktion zu beeinflussen wie z.B. bei phosphatfreien Waschmitteln und bleifreiem Benzin. Auf der anderen Seite gibt es viele industrielle Prozesse, die für den Konsumenten überhaupt nicht erkennbar und beeinflußbar sind. Es gibt z.B. viele industrielle Zwischenprozesse, die niemand kennt.

Wie beurteilen Sie die Akzeptanz von Töpfers „Sonderopfer“?

Hier kann man nur spekulieren, wie weit sich die kleinen Leute ohne Protest zur Kasse bitten lassen.

Interview Manfred Kriener

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