: Würgredner und Glotzköppe
■ „Weißer Fleck“, Nord III, Di, 20.15 Uhr
Diese Sendung hat bestimmt kein Mensch verfolgt, und das ist gut so. Sie versammelte alles, was uns am und im Fernsehen so nachhaltig anekelt, in trauter Runde: Lummer, Glotz, Lueg, Obermann, Haussmann, Appel und weitere 140 dieser Zu -oft-gesehen-und-für-zu-lau-befunden-Visagen (Ausnahme: J.Dittfurth). Hätte ein gnädiger Terrorist ein Bömbchen dort plaziert, das Deutsche Fernsehen wäre mit einem Schlag um zehn Grad erträglicher geworden. Titel dieser Studienrats und ZEIT-Leser-Sendung: Zwischen Gefälligkeit und Selbstdarstellung. Zur politischen Gesprächskultur im Fernsehen. Genauso war's: Von nichtendenwollender Geschwätzigkeit.
Ein Redezusammenschnitt eines Medien-Seminars des Süddeutschen Rundfunks gemeinsam mit der Katholischen Akademie der Diözese Rothenburg-Stuttgart. Reicht das? Frau Nachbarin, Euer Kotzkübelchen: Anlaß war „das 20. Bestehen“ von Pro und Contra, jawoll, mit Emil O., dieser Dumpfbürste, die unsere Sprache be-„frägt“, bis sie kracht.
Den „Moderator“ spielte ein greisig wirkender Mensch namens Jürgen Appel; sollte das etwa schon der Sohn sein von ZDF -Chef Reinhard Appel? Zuzutrauen wär's denen: Das Deutsche Fersehen als dynastische Nachwuchs-Stammel-Anstalt. Ede-XY -Zimmermann mit seiner noch untragbareren Tochter hat das ja bereits vorexerziert und wirkt damit auch auf diesem Gebiet grenzüberschreitend.
Mancher Intendant fragt sich noch, warum wir lieber SAT 1 sehen als SFB Nord III. Wenn sie schon auf allen Kanälen TV zum Sedativ machen, dann bevorzugen wir eben die Droge pur. In der irrealen Abgehobenheit amerikanischer Serienwelten sieht man wenigstens noch manchmal die politische Wirklichkeit aufblitzen, wenn auch in ideologischer Verkehrung. Zum Beispiel war Raumschiff Enterprise vom Montag (SAT1) einfach zauberhaft: Sie landen im 20. Jahrhundert und verhindern den Atomkrieg (SDI 1968). Das ist jederzeit der durchgängigen Verlogenheit vorzuziehen, die die Öffentlich-Rechtlichen produzieren; verlogen ist vor allem ihr Anspruch auf institutionalisierte Redlichkeit, also: weil etwas in der ARD erscheint, sei es schon „seriös“, der hochbezahlte Apparat ihrer Politikredaktionen bürge per se für Nachrichtensicherheit. Das Gegenteil ist der Fall: Keine einzige der großen Skandalenthüllungen der letzten Zeit wurde durch das Fernsehen befördert, weder Barschel, noch NUKEM, noch U-Boot-Handel. Das einzige, was 'Monitor‘ wirksam anprangern durfte, waren die Würmer im Fisch.
Aus Bonn und Mainz gebe es braven „Verlautbarungs -Journalismus“, zu dem wenigstens das ZDF sogar rechtlich verpflichtet sei, d.h. der eigentliche Sendeauftrag ist Parteienwerbung, nicht Information. Das wußte man vorher so genau gar nicht. Die Diskutanten stritten derweil ernsthaft, ob „Herr Lüg“ in der Bonner Runde schärfer fragen oder die Politiker weniger ausweichend antworten sollten. Als ob deren Ziele nicht hinreichend bekannt wären. Was Zuschauer vermissen, sind Journalisten, die widersprechen, aufgrund eigener Kenntnisse Unwahrheiten enthüllen, Kritik üben. Aber nirgendwo herrscht offenbar größere Dunkelheit als im innersten Kern der manipulierenden Macht selbst: Über 54 Prozent der oberen TV-Chargen sind Parteimitglieder und mit Leuten wie Vogel oder Gauweiler oder Möllemann in der derselben Partei. Und genauso schreiben, filmen, recherchieren sie dort.
Gegen Ende der Sendung doch noch ein kluges Wort: Niemand sonst hat so viel Glaubwürdigkeit verloren wie die Atomindustrie und die öffentlichen Sender. Gab es ein Tschernobyl des Fernsehens? Gerade weil das TV keine Störfälle produziert, ist es so lähmend überflüssig. Rutscht dagegen mal ein brisanter Beitrag ins Nachtprogramm, wie letzte Woche der aufregende Film von Klee/Petrich über Kirchenschuld am Behinderten-Massenmord im Dritten Reich, so schreien die Sender-Zensoren und die in schöner Wörterverdrehung nun plötzlich „betroffenen“ CDU- und Kirchenvertreter gleich Zeter und Mordio.
Der G.A.U. der demokratischen Öffentlichkeit: Das ist das Fernsehen selber.
Dr. Seltsam
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