: Gentechnologie soll den Aufschwung bringen
Marburger Tochter des Pharmamultis Hoechst plant den Einstieg in die gentechnologische Produktion / Werkserweiterung soll 1.200-1.500 Arbeitsplätze bringen ■ Aus Marburg Antje Friedrichs
Eine für September geplante Änderung des Bundesimmissionsschutzgesetzes löst gegenwärtig hektische Betriebsamkeit aus, insbesondere in der Pharmaindustrie. Einige Unternehmen versuchen noch auf den profitträchtigen Zug der großtechnischen Anwendung gentechnologischer Verfahren aufzuspringen, bevor nach der Gesetzesänderung im Herbst öffentliche Anhörungsverfahren bei derlei Plänen zwingend vorgeschrieben werden sollen.
Ein entsprechender Konzessionsantrag zum Einstieg in die Gentechnologie liegt seit April auch beim Regierungspräsidenten in Gießen auf dem Tisch - und sorgt in der hessischen Universitätsstadt Marburg für Turbulenzen. Antragsteller sind die Behringwerke, ein Tochterunternehmen des Pharmamultis Hoechst. Noch vor Monatsfrist teilten Unternehmensvertreter den Marburger Grünen mit treuem Augenaufschlag mit, der Antrag befinde sich zwar im Stadium der Vorbereitung, beim Regierungspräsidenten eingereicht, nein, das sei er noch nicht.
Pro-Front von SPD und CDU
Es geht um den massiven Einstieg der Behringwerke in die gentechnisch-pharmazeutische Produktion, und dieser Umstand beschäftigt nicht nur die Marburger Grünen, sie aber vor allem.
Acht Zukunftsprojekte werden derzeit bei Behring bearbeitet, darunter die Herstellung von Erythropotin (kurz „Epo“) für die pharmazeutische Erprobung im Krankenhaus. Der Stoff regt die Bildung roter Blutkörperchen an und wird vor allem von Dialyse-Patienten, die unter Blutarmut leiden, benötigt. Weiterhin bemüht sich der Konzern um sogenannte Transminogenaktivatoren (kurzTPA), eine Stoffgruppe zur Förderung der Blutgerinnung. Mit der Anwendung der Gentechnologie sowie dem Bau einer Übergangsanlage wird man nach den Vorstellungen der Unternehmensleitung die großtechnische Produktion von Epo, TPA und GMCSF einsteigen. Mit GMCSF („Granulozyte Makrophages Colonie Stimulating Faktor“) sollen die körpereigenen Makrophagen (Freßzellen) dazu stimuliert werden, sogenannte unspezifische, also nicht -körpereigene Stoffe oder Viren anzugreifen und zu vernichten. In der Krebs- und Aidstherapie wird das Mittel bereits klinisch erprobt.
Von den ab September dieses Jahres vorgeschriebenen öffentlichen Anhörungen bei Genehmigungen gentechnologischer Produkte erwartet die Pharmaindustrie nichts Gutes. Kein Wunder also, daß die Behringwerke - trotz gegenteiliger Beteuerungen - bereits einen Konzessionierungsantrag für die geplante Erweiterung gestellt haben und sich so noch eine Chance für eine Genehmigung unter Ausschluß der Öffentlichkeit ausrechnen. Die Stadt Marburg zumindest reagierte auf die Pläne des Konzerns alles andere als ablehnend. Stadtrat Prof. Jürgen Gotthold (SPD), zuständig für Wirtschaftsförderung, feierte das Vorhaben des Pharmaunternehmens noch im März überschwenglich als „sechs Richtige im Lotto“.
Seit 1985 amtiert im Marburger Rathaus eine rot-grüne Koalition. Dennoch ließen SPD und CDU bereits im vergangenen Jahr die Zeiten der großen Koalition Wiederaufleben und stimmten gemeinsam einem Pauschalantrag zu, in dem der von sozialdemokratischer Seite eingebrachte Entwurf eines Bauleitplans für die Unternehmenserweiterung gebilligt wurde. Ob diese Abstimmung überhaupt rechtens war, wird derzeit von den Grünen im Hessischen Landtag geprüft. Denn einige SPDler waren, so die Abgeordnete Irene Solwedel, gar nicht stimmberechtigt, weil sie bei Behring beschäftigt sind.
Das Arbeitsplatzargument
Unisono argumentieren nun die Marburger CDU und die Konzernleitung, die Grünen gefährdeten mit ihrer Haltung 1.500 bis 2.000 neue Arbeitsplätze. Auf den ersten Blick kein unwesentliches Argument für eine Kleinstadt, deren Studentenzahlen rückläufig sind und deren Universität der größte Arbeitgeber ist. Ein Argument, das aber auch erheblichen Anlaß zum Zweifel gibt. Denn, so Irene Solwedel, „die Gentechnik ist eine Rationalisierungstechnologie der Chemieindustie“ und verweist dabei auf ein aktuelles Beispiel: Beim Mutterunternehmen Hoechst, das vor kurzem 50 Millionen Mark in eine Anlage zur Herstellung von Human -Insulin investiert hat, wird derzeit Personal abgebaut.
In der Universitätsstadt tut sich unterdessen einiges: Mitte des Monats gründete sich die Bürgerinitiative „Gentechnologie“, die im Herbst eine breit angelegte Veranstaltungsreihe zum Thema durchführen will. Dabei werden sie kräftig von den Marburger Grünen unterstützt, die ihrerseits eine verstärkte Öffentlichkeitsarbeit angekündigt haben. Die Landtagsfraktion der Grünen wiederum fordert in einem Offenen Brief an den ehemaligen Behring-Sprecher und künftigen Hoechst-Manager, Prof. Ernst-Günther Afting, eine Stellungnahme zu den widersprüchlichen Stellungnahmen der Konzernleitung zum Konzessionsantrag. Auch die SPD ist nicht untätig: Sie will Anfang September ein Hearing mit ihrem Parteigenossen und ehemaligen Vorsitzenden der Bundestags -Enquete-Kommission Gentechnologie, Wolf-Michael Catenhusen, veranstalten.
Die Behringwerke halten sich unterdessen den Weg einer Standortverlegung ins Ausland offen. Falls sich, was unwahrscheinlich genug ist, dennoch eine Mehrheit der Marburger Stadtverordneten gegen die Erweiterungspläne aussprechen sollte, sind diese für den Konzern damit noch lange nicht gestorben. Denn die Stadt wird beim Genehmigungsverfahren ohnehin nur „gehört“ werden. Die endgültige Entscheidung treffen Land und Bund. Und warum sollten die dem Unternehmen die Genehmigung verweigern? Analoge Projekte bei Thomae in Biberach, Invitron - einer Briefkastenfirma mit britischem Management in Hannover - und bei Hoechst in Frankfurt (Human-Insulin-Produktion) gingen jedenfalls problemlos über die Bühne.
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