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Trampen: Ökologisch und sozial einfach genial

Zwei Studenten machten aus ihrem Hobby eine wissenschaftliche Arbeit: Trampen - eine umweltplanerische Untersuchung / Drei Monate auf dem Daumen durch Europa / BRD und Polen sind Spitze / Ungelöste Versicherungsfrage hält viele AutofahrerInnen davon ab, TramperInnen mitzunehmen  ■  Aus Hamburg Axel Kintzinger

Die Geschichte vom Trampen ist die Geschichte von schier endlosen, verregneten Nachmittagen an abgelegenen Autobahnauffahrten, von gleißender Sonne auf einer südfranzösischen Landstraße. Die Geschichte vom Trampen ist aber auch die Erfahrung von Euphorie, wenn man in fast auswegloser Situation auf der Raststätte Hamburg-Stillhorn den „Super-Lift“ nach Toulouse bekommt, in einem Rutsch also mehr als 1.000 Kilometer hinter sich bringt - neben einem netten LKW-Fahrer, der gute Musik im Recorder und einen Joint im Handschuhfach hat. Und: Die Geschichte vom Trampen ist die einer Fortbewegungs-Möglichkeit, die, unter ökologischen, sozialen und verkehrspolitischen Aspekten betrachtet, einige Pluspunkte verbuchen kann.

Das zumindest behaupten die beiden hannoverschen Landespflege-Studenten Ursula Trescher und Hermann König. Für eine Projektarbeit sind sie nicht in die Bibliothek, sondern auf die Straße gegangen. Insgesamt drei Monate waren sie, mit dem Daumen im Wind, in ganz Europa unterwegs. Von Hannover aus trampten sie über Frankreich nach Italien, dann nach Griechenland und durch Bulgarien, von dort über Jugoslawien, Österreich und die CSSR nach Polen. Der Fähre über die Ostsee folgten Finnland, Nordschweden, Norwegen und Dänemark, bevor die Reise am Ausgangspunkt endete. „Wir wollten am Ende unserer Studiums nicht etwas Gewöhnliches machen, sondern etwas, das uns auch Spaß bringt“, erklärt Hermann König den persönlichen Aspekt dieser ungewöhnlichen Forschungsarbeit. Es sollte mit der Studie aber auch, fügt Ursula Trescher hinzu, dem Vorgehen von Verkehrs- und Umweltinitiativen entgegengewirkt werden, „daß das Trampen mit dem Autoverkehr unter einen Hut gesteckt und damit abgelehnt oder ignoriert wird“. Anders begründet liest sich die Motivation in ihrem Buch „Trampen - bekannt, unbekannt, verkannt“ so: „Es geht um ein Thema, bei dem das objektiv Richtige mit dem subjektiv Leidenschaftlichen zusammenfällt.“ So war denn vielleicht schon vor Reisebeginn klar, was später wissenschaftlich belegt werden konnte: „Trampen ist eine der einfachen Sachen in der Welt. Die freien Plätze in Kraftfahrzeugen werden ohne bürokratischen Aufwand genutzt.“ Und „die Lösung besticht: sie ist ökologisch und sozial beinahe genial.“

Für dieses Resumee waren Trescher und König 51 Tage „on the road“, 11.781 Kilometer wurden bewältigt. Die registrierten Tagesleistungen dokumentieren das Wechselbad der Gefühle von Trampern: Schafften sie an einem Tag 700 Kilometer, waren es an einem anderen nur fünf. Das gleiche Ergebnis bei den Wartezeiten: Einmal dauerte es keine Minute, dann wieder fast zehn Stunden, bis ein freundlicher Autofahrer anhielt Autofahrerinnen waren kaum darunter, nur einer von zehn Mitnehmern war eine Frau, in Süd- und Osteuropa nur einer von Hundert. Dafür werden Frauen, so ergaben Umfragen bei anderen Trampern, eher und schneller mitgenommen als Männer.

In der BRD kommt man

am schnellsten voran

Ein wichtigerer Faktor als das Geschlecht scheint jedoch das Land zu sein, in dem man trampt. Interessant: In der unwirtlichen BRD kommt man noch am schnellsten weg, annähernd gut läuft es für Anhalter auch in Polen - und das, obwohl die Verkehrsdichte in diesem Land wesentlich geringer ist als in Westeuropa. „Dort trampen selbst alte Frauen“, erinnert sich König. Ursula Trescher erklärt sich den Unterschied zwischen Polen und anderen Ländern damit, daß in der BRD „die Ideologie herrscht, daß das Auto eine Mobilität ermöglicht, die frei macht“. Die Überzeugungs-Tramper König und Trescher wollen exakt das Gegenteil: „Ich bin nicht auf das Auto angewiesen, weiß mir zu helfen und komme da hin, wo ich hin will“ - egal, ob zu Fuß, mit dem Bus, dem Fahrrad oder eben einem gestoppten Auto. Dem Trampen eile zudem das Negativ-Image voraus, ein Fortbewegungsmittel armer Leute zu sein. Ein Polizeihauptkommissar Karl-Ernst Kettner aus Hannover schrieb denn auch noch 1969 im Fachblatt 'Die Polizei‘ unter dem Titel „Zur Bekämpfung des Anhalterunwesens“, daß „der gefährlichen Unsitte“, die „als eine besondere Form der Bettelei angesehen werden kann“, eine „Kampfansage auf breiter Basis“ gemacht werden müsse. Ein Hamburger Regierungsdirektor wollte Trampen zu Beginn der sechziger Jahre gar noch als Straftatbestand gewertet sehen. Dennoch: Hierzulande wird man noch heute am schnellsten mitgenommen, auch wenn „das Yuppie-Zeitalter schon die Provinz erreicht“ habe und die Autofahrer noch ein bißchen sturer an den Anhaltern vorbeibretterten als zuvor.

Prinzipiell gegen das Trampen ist, sagt Hermann König, nur eine gesellschaftliche Gruppe: die Polizei. Sie scheint dem Autostopp, analysierten die beiden Studenten, „eine besondere Rolle im Bereich Gewaltdelikte zuzumessen, denn es wird in der Broschüre 'Vorbeugen‘ (herausgegeben vom baden -württembergischen Innenministerium) als einzige Gefahrensituation mit einem eigenen Abschnitt im Kapitel 'Gewalttaten‘ behandelt“. In Broschüren und Flugblättern unterstreicht die Polizei dabei besonders die Gefahr von Vergewaltigungen - eine Bedrohung, die durch Untersuchungen des Bundeskriminalamtes jedoch nicht bestätigt wird. Unter den erfaßten Vergewaltigungen finden sich vergleichsweise wenige in Autostopp-Situationen.

Wenn Anhalter nicht als Opfer dargestellt werden, dann als Täter - eine in der Kriminalstatistik allerdings unerhebliche Größe. Die Probleme des Trampens sehen Trescher und König daher woanders, in der ungelösten Versicherungsfrage etwa. Die Gefahr, bei einem Unfall auch für eventuelle Verletzungen von Trampern aufkommen zu müssen, hält viele Autofahrer davon ab, Anhalter einsteigen zu lassen. In Belgien hat man sich etwas einfallen lassen, seit nunmehr zehn Monaten führt das Genter „Zentrum für positive Anwendung“ die „Aktion Taxistopp“ durch. Die hannoverschen Tramp-Forscher beschreiben, wie das geht: „Für umgerechnet etwa 20 Mark kann der Anhalter bei Taxistopp für ein Jahr Mitglied werden. Dadurch ist er gegen etwaige Personenschäden und Schäden, die der Anhalter z.B. am Auto verursachen könnte, versichert. Der Anhalter erklärt sich damit einverstanden, an den Fahrer pro Kilometer etwa fünf Pfennig zu bezahlen.“ „Taxistopp„-Mitglieder erhalten für den Mitgliedsbeitrag auch ein zusammenklappbares Schild mit dem reflektierenden Schriftzug „Taxistopp“. Zudem existieren in Belgien über 160 amtliche Anhaltestellen in 55 Gemeinden.

Ähnliche Modelle laufen auf Versuchsebene seit drei Jahren auch in den dünnbesiedelten deutschen Kreisen Cloppenburg und Berleburg im Rothaargebirge - Gegenden, in denen sich die Versorgung mit öffentlichem Nahverkehr in den letzten Jahren rapide verschlechtert hat. Als nahezu vorbildlich gilt Polen. Schon seit 1958 existiert dort ein „Sozialkomitee für Autostopp“, das sich aus Vertretern verschiedener gesellschaftlicher Gruppen und Institutionen zusammensetzt. Wer über 17 Jahre alt ist, kann, auch als Ausländer, in etwa jeder zweiten Stadt ein Autostopp -Büchlein des Komitees erwerben, in dem neben Tips und Adressen auch Kontrollabschnitte für insgesamt 2.000 Kilometer zu finden sind, die je nach Länge des „Lifts“ an den Autofahrer abzugeben sind. Der Clou: Mit diesen Zettelchen können die Mitnehmer an einer Lotterie teilnehmen, für Landwirte, die Tramper auch noch bei soch übernachten lassen, wurde eine zusätzliche Lotterie eingerichtet. Besitzer des Autostop-Büchleins sind gegen die Folgen von Unfällen versichert.

Obwohl Trescher und König bei dem Gedanken an eine Institutionalisierung des Trampens Bauchweh bekommen, attestieren sie dem polnischen Modell: „Durch die offizielle Unterstützung rückt das Fahren per Anhalter aus dem Bereich des Ungewöhlichen und Suspekten heraus und erscheint als eine Angelegenheit durchschnittlicher Menschen.“

Verbesserungsvorschläge planerischer Art bieten Ursula Trescher und Hermann König in Hülle und Fülle. So plädieren sie für Haltestellen an Ausfallstraßen, für die Anbindung von Autobahnraststätten an den öffentlichen Nahverkeht und für eine bessere Ausschilderung von Anhalterstellen. Neben Vorschlägen für rechtliche Veränderungen bieten die beiden Studenten aber auch eine stattliche Liste von „Tips für AnhalterInnen und AutofahrerInnen“ - fein unterteilt für Anfänger und Fortgeschrittene. Das wohl Wichtigste aber kann man in keine Verhaltensregel packen: Am schönsten ist Trampen, wenn man nicht unter Zeitdruck an einen bestimmten Ort kommen will. Ausreichend Zeit und die Flexibilität, auch andere Routen als die vermeintlich schnellste in Kauf zu nehmen, versüßt so manches lange Warten am Straßenrand.

Das Buch „Trampen - bekannt, unbekannt, verkannt“ ist über Ursula Trescher, Theodor-Krüger-Straße 10 in 3000 Hannover 1 zu beziehen. Preis:

12 Mark.

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