piwik no script img

1:0 zum Nulltarif

125 Jahre: Bayer-Konzern feiert Jubiläum mit einem Wadenballett für ausgesuchte Mitarbeiter  ■  PRESS-SCHLAG

Die Angst geht um in der Bundesliga: Nach alarmierend geringen Zuschauerzahlen bei der Meisterschafts-Ouvertüre drohen schwere Zeiten. Doch während andernorts noch über die Ursachen für die Fußball-Müdigkeit gestritten wird, haben die Chemiker der Bayer AG ein Mittel gegen die Krankheit gefunden. Zum Freundschaftspiel gegen den PSV Eindhoven kamen nicht weniger als 24.000 Zuschauer.

Der Stadionsprecher durfte vom „absoluten Zuschauerrekord“ jubilieren, das Wort „ausverkauft“ mußte er sich verkneifen: Für das Match mit dem Europapokalsieger der Landesmeister hatte der UEFA-Cup-Sieger keine einzige Karte verkauft. Vielmehr spendierte der sportwerbungsbegeisterte Konzern zum 125. Firmenjubiläum dieses Präsent für ausgesuchte Mitarbeiter. Statt Spießbraten und Freibier gab es stramme Waden auf grünem Rasen.

Und weil Fußballspiele heutzutage nicht gute Unterhaltung versprechen, organisierte Bayer bierselige Fröhlichkeit gleich mit. Alle zehn Minuten animierte die Anzeigetafel zum Fähnchenschwingen. 24.000 Fähnchen bekamen je einen Werksangehörigen zugeteilt, und artig wedelten diese beim Ansturm der Rot-Weißen auf die Weiß-Roten. „Einer geht noch, einer geht noch...“ krähte der Lautsprecher zum Mitsingen, wenn mal ein Betriebssportler Richtung Tor ballerte.

Schon beim Rahmenprogramm gab's beachtliche Höhepunkte. Vor der großen Partie absolvierten die Kicker ein Warming up (früher Aufwärmen), und in der Halbzeit schoß der Betriebsratsvorsitzende Elfmeter (nicht auf die Herren vom Aufsichtsrat). Die Kollegen waren begeistert. „Happy Birthday, dear Bayer“ wurde angestimmt und alle durften sich hinterher freuen: 1:0 für die Kollegen schlußendlich - auch wenn zum Abpfiff bereits die Hälfte der Belegschaft das Stadion verlassen hatte: „Schließlich müssen wir morgen alle wieder arbeiten.“

Bei dieser Mischung aus tiefer Freude und strenger Disziplin beliebte selbst ein ansonsten eher knorziger Rinus Michels zu scherzen. Von der Hoffnung war die Rede, daß es „mit dieser großartigen Ambiance auch in Zukunft so weiter geht“. Sollte der Europameister mit seinen Biedermännern nicht wie erwartet um den Titel spielen, wird man das Publikum dann per kostenlosem Transfer von Haus- zur Stadiontür plus Lunchpaket anlocken?

Nicht nur der Trainer hofft in Leverkusen, daß alles so weiter geht, Vertragspartner KRONOS schließt sich gerne an: auf blauen Werbetafeln wurde von den berüchtigten Umwelttechnikern mitgefeiert. Das gilt ja auch für den Gastgeber: (Ver-)Klappern gehört zum Geschäft.

Willi Mossop

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen