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Adjutant aus dem KZ Majdanek vor Gericht

Der 77jährige Karl-Friedrich Höcker muß sich nach 44 Jahren wegen Beihilfe zum Mord verantworten  ■  Von GBockmann/B.Markmeyer

Bielefeld (taz) - Am kommenden Montag, den 8.August, beginnt vor dem Bielefelder Schwurgericht der Prozeß gegen den 77jährigen Karl-Friedrich Höcker aus Lübbecke-Gehlenbeck, der von Ende Mai 1943 bis Anfang April 1944 Adjutant des Kommandanten im Konzentrationslager Majdanek (Lublin, Polen) war. Höcker ist wegen Beihilfe zum Mord angeklagt. Dem damaligen SS-Untersturmführer wird vorgeworfen, an der Beschaffung von mindestens 8.100 Kilo Zyklon-B beteiligt gewesen zu sein. In Majdanek haben die Nazis mindestens 250.000, wahrscheinlich aber mehr als eine Million Menschen ermordet, vor allem Juden.

Der Justiz waren Name und dienstliche Stellung Höckers schon seit dem 14.September 1945 bekannt. Wie aus einem Vernehmungsprotokoll hervorgeht, das im Staatsarchiv Nürnberg liegt, hatte der SS-Mann Friedrich Wilhelm Ruppert an jenem Tag vor einem US-amerikanischen Untersuchungsoffizier seine Mordkomplizen in Majdanek, darunter auch Karl-Friedrich Höcker, namentlich genannt.

Höcker war im Mai 1945 bei Rendsburg (Schleswig-Holstein) in britische Kriegsgefangenschaft geraten, aus der er jedoch Ende Januar 1946 entlassen wurde, weil er seine SS -Zugehörigkeit verheimlichen konnte. 1952 erstattete er dann bei der Spruchkammer des Landgerichtes Bielefeld Selbstanzeige. Am 9. Januar 1953 verurteilte ihn das Gericht „wegen Zugehörigkeit zu einer als verbrecherisch erklärten Organisation (Waffen-SS)“ per Strafbefehl zu neun Monaten Haft, die er aber wegen einer allgemeinen Amnestie nicht verbüßen mußte. Am 1.April 1953 stellte die Kreissparkasse Lübbecke ihren ehemaligen Mitarbeiter, der inzwischen unter seinem richtigen Namen in seinen Vorkriegswohnort Engershausen zurückgekehrt war, wieder als Hauptkassierer ein.

Erst 1962 wurden die Justizbehörden erneut auf Höcker aufmerksam. Das Schwurgericht Frankfurt (Main) dehnte seine Voruntersuchungen im Rahmen seiner Ermittlungen gegen Mulka und andere wegen der in Auschwitz begangenen Verbrechen auch auf den Lübbecker Sparkassenangestellten aus. Höcker war dann einer der 22 Angeklagten des ersten Frankfurter Auschwitz-Prozesses, der am 20. Dezember 1963 begann. Man hatte inzwischen ermittelt, daß er als Adjutant in Auschwitz von Anfang April 1944 bis zur Evakuierung des Vernichtungslagers vor der anrückenden sowjetischen Armee im Januar 1945 dort ebenfalls „die rechte Hand“ des Lagerkommandanten war. Auf Antrag der Staatsanwaltschaft, die eine lebenslange Haftstrafe gegen ihn forderte, wurde Höcker am 25. März 1965 im Frankfurter Schwurgerichtssaal verhaftet. Am 19. August 1965 verurteilte ihn das Schwurgericht, dem nun auch Höckers „Tätigkeit“ in Majdanek bekannt war, „wegen gemeinschaftlicher Beihilfe zu gemeinschaftlich begangenem Mord“ an mindestens 3.000 Auschwitz-Häftlingen zu sieben Jahren Zuchthaus und fünf Jahren Verlust der bürgerlichen Ehrenrechte.

In den folgenden Jahren ermittelte die Zentralstelle für die Bearbeitung von nationalsozialistischen Massenverbrechen in Konzentrationslagern bei der Staatsanwaltschaft Köln wegen seiner Funktion in Majdanek weiter gegen Höcker. Doch wurden die Ermittlungen am 22. Juni 1976 eingestellt. Die Zentralstelle teilte dem Präsidium der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes (VVN)-Bund der Antifaschisten in Frankfurt auf Anfrage im Februar 1978 mit, daß man keinen hinreichenden Tatverdacht für Höckers Beteiligung an Einzel und Massentötungen habe.

Obwohl alle verfügbaren Originaldokumente über das System der Konzentrationslager - so auch die von der UdSSR dem Nürnberger Internationalen Militärtribunal zur Verfügung gestellte „Lagerordnung für Konzentrationslager“ - beweisen, daß in den Lagern praktisch nichts ohne Kenntnis des Adjutanten der jeweiligen KZ-Kommandanten geschehen konnte, begründete die Kölner Staatsanwaltschaft ihre damalige Verfahrenseinstellung damit, daß man dem Beschuldigten Höcker nicht habe nachweisen können, daß er „an der Weiterleitung von allen das Lager betreffenden Fernschreiben und Funksprüchen beteiligt war“. Durch den Zeugen Stäubner (SS), der in der Fernschreibstelle des KZ gearbeitet hatte, war jedoch bekundet worden, daß der Adjutant „in Eilfällen auch schon mal Fernschreibeanordnungen des Kommandanten gebracht hat“. Inhalte solcher Fernschreiben seien Exekutionsanordnungen oder auch Meldungen über die vergasung von Häftlingen gewesen.

Die nunmehr vom Schwurgericht des Landgerichtes Bielefeld zugelassene Anklage wegen Beihilfe zum Mord gründet sich auf Höckers mutmaßliche Beteiligung an der Beschaffung von Zyklon-B, die sich, so die Zentralstelle bei der Kölner Staatsanwaltschaft, durch Originaldokumente der Majdanek -Gedenkstätte belegen lasse. Die Volksrepublik Polen hat die Dokumente zur Verfügung gestellt.

Für den nächste Woche beginnenden Prozeß hat die Kölner Staatsanwaltschaft bisher 22 Zeugen benannt, von denen 14 in Polen leben. Einige sind jedoch bereits während der Ermittlungen gestorben. Außerdem liegen dem Gericht richterliche Vernehmungen von weiteren 15 Zeugen vor, die verstorben sind.

Der Co-Autor dieses Berichts, Götz Bockmann, Mitglied der VVN in Lübbecke, war es, der 1984 Karl-Friedrich Höcker ausfindig machte. Bei einer Meinungsumfrage war einer seiner Kollegen in Lübbecke auf Höcker gestoßen. Sofortige Recherchen ergaben, daß es sich um den ehemaligen SS -Sturmführer und Adjutanten verschiedener KZ-Kommandanten handelte. Bockmann stellte selbst weitere Nachforschungen über den Nazi-Verbrecher an und veranlaßte damit die Staatsanwaltschaft, die Ermittlungen gegen Höcker wieder aufzunehmen.

bm

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