piwik no script img

Zwischenbilanz eines Dialogs

■ Ein paar RAF-Gefangene und ein paar Autoren und Politiker waren zu einem Dialog bereit. Siehe den heutigen Inland-Hintergrund. Auf dieser Seite, im Magazin, schreibt Antje Vollmer ihre Version der Geschichte.

Antje Vollmer

„Schreiben Sie einfach die Geschichte auf“, sagt Hans Magnus Enzenberger. „Die lange oder die kurze Fassung“, frage ich.

„Wir werden schlicht den Dialog fortsetzen“, sagt Martin Walser, „und wir haben doch Zeit.“

„Ich bin alt und zornig“, sagt Ernst Käsemann, „und schon sehr müde.“

Hier ist also die Geschichte:

17 Mai 1987:

In einer Münchnener Wohnung treffen sich Konstantin Wecker, Wolf Biermann, Fritz Rau und ich (Martin Walser konnte nicht kommen). Wir überlegen, ob wir gemeinsam den Versuch machen können, die starren Fronten zwischen den RAF-Gefangenen, den staatlichen Instanzen und der Gesellschaft aufzubrechen. Zehn Jahre nach dem Deutschen Herbst und den Toten in Stammheim. Welche Überlegungen auch immer diskutiert werden, so sind doch alle von einem Überzeugt: die Zeit ist reif für eine solche Initiative. Vielleicht nicht in Bonn und sicher nicht in den Isolationstrakten, wo die Zeit künstlich angehalten wird. Aber die meisten Menschen wollen diese alte Auseinandersetzung hinter sich bringen. Unser Versuch lebt davon, daß er sich machen läßt - daß das Desertieren aus den Schützengräben der Hardliner einen unwiderstehlichen Reiz hat.

Wir versuchen eine Erklärung zu formulieren, die die politische Verantwortung für das, was mit den Gefangenen geschieht, endlich wieder der Öffentlichkeit zurück gibt, die im Deutschen Herbst atemlos oder applaudierend, eingeschüchtert oder aggressionsgeladen Zuschauer war. Es sind Bedingungen zu suchen, daß Politiker endlich andere Entscheidungen suchen, daß sich wenigstens einige Gefängnistore öffnen, daß die unwürdige Forderung nach Abschwörritualen aufgegeben werden.

Unser Versuch, dies alles so zu formulieren, daß es sowohl für die Inhaftierten wie für die staatlichen Stellen eine unausweichbare Perspektive darstellt, kann nicht gelingen. Wolf Biermann schreibt stattdessen immer wieder an einem langen Brief an die Gefangenen. Martin Walser kommt schließlich auf den einfachen Gedanken: Wir können nicht für die Gefangenen sprechen, bevor wir nicht mit ihnen selbst geredet haben. Wir müssen ihnen einen gesellschaftlichen Dialog anbieten, einen Dialog mit offenem Ende.

August 1987:

Die Fünzehn-Jahrs-Entlassung von Klaus Jünschke wird vom Oberlandesgericht abgelehnt. Wegen „der Schwere der Schuld“ sei eine solche Entlassung „der Öffentlichkeit nicht verständlich zu machen“, heißt es.

13. Oktober 1987:

Während einer öffentlichen Debatte der Grünen Bundestagsfraktion über die „offenen Fragen und die politischen Lehren aus dem Deutschen Herbst“ stellt Martin Walser den von ihm, Ernst Käsemann und mir formulierten Vorschlag vor, der als Brief an alle Gefangenen von der RAF und der Bewegung 2. Juni, an den Justizminister und an den Generalbundesanwalt geht: Einmal im Vierteljahr sollen sich in einer Justizvollzugsanstalt die Gefangenen, die an solchen Gesprächen teilnehmen wollen, mit einem Kreis von Besuchern von außen treffen können. Für das Gespräch darf es keine Vorbedingungen geben.

Die organisatorische Vorbereitung (welche Besucher sollen teilnehmen? worüber soll gesprochen werden?) soll von einer „staatsunabhängigen Instanz“ (z.B. den Kirchen) übernommen werden.

Ihre grundsätzliche Bereitschaft an solchen Gesprächen teilzunehmen erklärten außer den schon genannten: Inge Aicher-Scholl, Horst-Eberhard Richter, Karl Bonhoeffer, Margarete von Trotta, Volker Schloendorf, Kurt Scharf, Christa Nickels, Ulli K. Preuß, Hans-Magnus Enzensberger, Rene Böll, Erich Fried, Wolfgang Niedeken, Carola Stern, Helmut Simon. Beide Kirchen sind bereit, die Vermittlung zu übernehmen, falls das gewünscht würde. Kurt Scharf schreibt einen Brief, in dem er die staatlichen Stellen bittet, „das Risiko dieses Versuches einzugehen, selbst wenn ihnen das etwas zumute.“

November 1987

Am 2. November fallen die Todesschüsse an der Startbahn -West. In Bonn wird über die Notwendigkeit neuer Sicherheitsgesetze diskutiert. Die Praxis ist manchmal schon weiter.

Herr Rebmann hat in einem Brief den Walser-Vorschlag eindeutig abgelehnt. Justizminister Engelhard formuliert erhebliche Bedenken, bietet uns aber trotzdem ein Gespräch an.

Am 22.11. schreiben Ralf Reinders und Roland Fritzsch von der „Bewegung 2. Juni“ eine ausführliche und äußerst kritische Stellungnahme zu dem Dialog-Angebot. „Sofern es unter den gegebenen Umständen überhaupt ernst gemeint sein kann, vermittelt es eher den Eindruck eines alternativen Gehirnwäscheprogramms“. Aber: sie antworten.

24. Februar 1988

Im Justizministerium in Bonn findet 4 1/2 Stunden lang das Gespräch zwischen Minister Engelhardt, den Staatssekretären Jahn und Kinkel und Ernst Käsemann, Martin Walser und mir statt. Von Seiten des Ministeriums gibt es erhebliche Einwände. Wir betonen, daß der Gruppencharakter des Gesprächs die entscheidende Voraussetzung ist, um - wenn auch zunächst nur symbolisch - die Isolation zu durchbrechen und den berechtigten Wunsch der Gefangenen nach einer Debatte untereinander aufzunehmen. Ein schwieriges Gespräch, das schließlich mit der gemeinsamen Erklärung endet, die wie ein dünnes weißes Rauchzeichen ist: „Das Gespräch nahm einen positiven Verlauf.“

Es hat sich tatsächlich etwas bewegt. Am Ende haben wir die Zustimmung, daß wir mit diesem Dialog-Versuch in einem Bundesland „anfangen“ können. Voraussetzung ist erstens: Verschwiegenheit (woran sich alle Beteiligten in den kommenden Wochen und Monaten eisern halten - was gar nicht einfach ist bei einer Initiative, die so stark auf ein öffentliches Akzeptiert-Werden und das Begreifen vieler Menschen angewiesen ist); Voraussetzung ist zweitens: keine politische Vermarktung (was sowieso niemand vorhatte, weil so etwas nur Aussicht auf Erfolg haben kann, wenn es parteiübergreifend zumindest toleriert wird); und schließlich: wir müssen ein Bundesland finden, das bereit ist, einen solchen Versuch mitzumachen.

Wir entscheiden uns für Nordrhein-Westfalen. Warum? Weil hier die meisten Gefangenen inhaftiert sind, dazu in unterschiedlichen Haftanstalten, so daß für dieses Gespräch ein Stück „Zusammenlegung“ erfolgen müßte. Nicht zuletzt: wir wollen schließlich den Erfolg. Es ist Realpolitik auf der Nadelspitze. Um sie abzustützen, finden sehr viele Gespräche statt - mit den unterschiedlichsten Leuten.

17.März 1988

Was wir drei an jenem Termin nicht wußten: Inzwischen hatte sich die RAF gemeldet. Aus der Gruppe der Besuchswilligen hatten sie sich einen als ihren Gesprächspartner ausgesucht. Hans-Magnus Enzensberger besucht Helmut Pohl in Schwalmstadt. Im Auftrag von zwanzig Gefangenen wurde ihm ein Interesse an dem Dialog-Projekt signalisiert.

„Der Sinn des Ganzen soll in erster Linie eine Art Realitätsüberprüfung sein. Denn im Laufe der Jahre ist wahrscheinlich das Bild, das sich die Außenwelt von den Gefangenen macht, ebenso unzureichend geworden, wie umgekehrt das Bild der Gefangenen von der Gesellschaft draußen ein Defizit aufweist. Man müßte also zuerst einen Kontakt 'ohne Tagesordnung‘ aufnehmen. Wieweit es dann zu einer politischen Diskussion kommen kann, müßte diese Kontaktaufnahme ergeben. Zu vermeiden sind 1. ein Medienspektakel, 2. die politische Instrumentalisierung des Gesprächs, 3. eine „Konferenzsituation“, bei der sich beide Seiten gewissermaßen am grünen Tisch gegenübersitzen. Zur Wiederherstellung des Realitätskontakts gehört nach Ansicht der Gefangenen, daß sie sich auch untereinander sehen können. Das war in vielen Fällen über einen Zeitraum von zehn Jahren nicht der Fall. Die Gefangenen schlagen daher vor: ein erstes Treffen aller Gefangenen (aus dem engsten Kreis), das sind etwa zwanzig, mit der 'Außengruppe‘. Dabei sollte es sich nicht um eine einzige 'Sitzung‘ handeln, da sich eine brauchbare Gesprächssituation erst bei mehreren Begegnungen herstellen läßt. Es wäre daher eine zweitägige Begegnung zu organisieren, mit Pausen zwischen den Gesprächen...“ (aus einem Brief von H.M.Enzensberger.)

7.April 1988

Erstes Gespräch im Justizministerium Nordrhein Westfalen. Tausend Fragen zu bedenken. Wie reagieren die anderen Bundesländer? Was ist von den Beamten zu erwarten? Welche Sicherheitsrisiken bestehen? Wie reagiert Rebmann? Ist ein solches Gespräch geheimzuhalten?

Bedenkzeiten. Neue Gespräche. Abklärungen.

16. Mai 1988

Das Ergebnis der Verhandlungen in Nordrhein Westfalen: den betroffenen Gefangenen, sieben sollten es sein, soll dieMöglichkeit dieses ersten Dialogs angeboten werden, ein Schritt, dem weitere folgen können. Für das Gespräch sind vier Stunden vorgesehen, ohne Trennscheibe. Die Vermittlung soll eine nicht-staatliche Stelle übernehmen. Die korrekte Einhaltung der Zusagen wird zugesichert. Dieser Vorschlag wird übermittelt.

Welche Glaubwürdigkeit werden die Gefangenen dem zubilligen? Welchen Maßstab für eine politische Entwicklung hat einer unter den Bedingungen der Isolation? Bei dieser vorsichtigen Vor-Gesprächs-Brücke fehlt ein Glied in der Kette. Oder besser: es hängt sozusagen im Beton fest.

16. Juni 1988

Klaus Jünschke wird (endlich) von Bernhard Vogel begnadigt. Der Präses der Evangelischen Kirche von Westfalen übermitelt in persönlichen Briefen das Dialogangebot an die Gefangenen.

Das Gespräch mit Enzensberger, das im Juli stattfinden sollte, wird abgesagt. Unklar warum.

5. August 1988

Am folgenden Montag wird in der taz eine öffentliche Antwort von Mitgliedern der RAF zu dem NRW-Vorschlag erscheinen. Ich kenne nicht den Text, noch weiß ich, was und wieviel in dieser Antwort vom Stand der Gespräche stehen wird. Es ist gegen die Absprache.

Wird damit die geringe Chance zerstört? soll sie zerstört werden? Wird sich das politische Gespinst als zu dünn erweisen für den herrschenden Beton? Oder: wird durch die Veröffentlichung die Geschichte auf den Weg gebracht? Unnötig zu spekulieren. Eine Antwort ist Teil eines Dialoges, egal, wie sie aussieht. Zeit jedenfalls, die bisherige Entwicklung zu bilanzieren, auch öffentlich zu bilanzieren, denn das Interesse an Mißdeutungen ist groß genug.

Bielefeld, 5. August 1988

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen