Fans und Archetypen: "Matter of Heart" - Herzenssache

(„Matter of Heart - Herzenssache“, Di., WDR, 21.45 Uhr) Unbeständig in seinen Ansichten, aber auch wunderbar einfühlsam - besonders in Frauenseelen - und mit prophetischen Fähigkeiten begabt: Karl Gustav Jung, Schweizer Psychotherapeut und selbsternannter Entdecker der „Archetypen“ und des „kollektiven Unbewußten“.

In Europa erst in jünster Zeit im Zuge der New Age-Bewegung wiederentdeckt, stößt Jungs Lehre in den USA seit jeher auf großes Interesse. So ist es kein Zufall, daß der erste große Film über Leben und Werk des Begründers der „Analytischen Psychologie“ eine amerikanische Produktion ist, die auf Initiative des Jung-Instituts Los Angeles entstand. Aus umfangreichen, in zehnjähriger Arbeit gesammeltem Bildmaterial ist ein eineinhalbstündiger Film entstanden, in dem ehemalige Patienten, Schüler und Mitarbeiter in persönlichen Erinnerungen an den Meister schwelgen und bedeutsam über seine Lehre plaudern.

Für manchen wird das nur selten von Verschnaufpausen unterbrochene Gerede der Damen und Herren, die da zu Wort kamen, recht strapaziert haben. Doch wer genau hingeschaut und die Ohren gespitzt hat, der bekam einen lebendigen Eindruck von der Atmosphäre, die im Zürcher Jüngerkreis des zu Lebzeiten des „weisen Alten“ geherrscht haben muß.

Jungmädchenhaftes Leuchten malte sich auf den faltigen Gesichtern der Bewunderinnen von ehedem. Im herben Schweizer Englisch erinnerten sie sich an die überwältigende Ausstrahlung des großen Mannes, ließen ahnen, welche persönliche Aura ihn umgab. Daß er Bewunderung wohl auch genossen hat, war auf den alten Amateuraufnahmen, die Jung im Kreise seiner Mitarbeiter und Vertrauten zeigten, unschwer zu erkennen.

Die da zu Wort kamen, verstanden sich als Sachwalter der Lehre, predigten die Bedeutung von Ganzheitlichkeit, Individuationsprozessen und Selbstfindung. Inhaltsschwer ging an uns der Aufruf zu einer Wiederbelebung des „primitiven Aberglaubens“, wurden wir ermahnt zur Rückbesinnung auf unsere mythischen Wurzeln.

Kritik? Man erwartete sie vergeblich. Es fehlte jeglicher Hinweis auf persönliches Versagen Jungs, aber auch werkkritische Stimmen ließen sich nicht vernehmen.

Die im Film so überschwenglich positiv dargestellten Verbindungen Jungs zur Ehefrau Emma und der Geliebten Toni: Sie sind so harmonisch nicht gewesen. Die letzten Lebensjahre Toni Wolffs waren überschattet von Krankheit und den Leiden einer abgeschobenen, weil gealterten Frau. Jungs Versuch einer theoretischen Begründungen seiner beiden Beziehungen, die er mit der Doppelnatur des geistig tätigen Mannes legitimierte, der des Mütterlichen ebenso bedürfe wie der inspirierenden Muse, erübrigt jeden Kommentar. Bezeichnend für einen Mann, der sich als Verdienst anrechnete, die Triebtheorie seines Lehrmeisters Freud entschärft zu haben. Die überragende Rolle, die Freud der Sexualität zuschrieb, ging dem Pastorensohn nämlich zutiefst contre coeur. Stattdessen zauberte Jung lieber seine Archetypen aus dem Hut, ein Vorgang, den der aufmerksame Zuschauer im Film selbst beobachten konnte, als Jung anhand eines Falles seine Methoden der Traumanalyse vorführte.

So manchen mögen solche Anmerkungen nur läßliche Sünden des großen Mannes benennen, der ihn tief überzeugt hat mit seiner prophetischen Vorausschau zukünftiger von Menschenhand herbeigeführter Weltkatastrophen. Wen stört da noch, daß plötzlich wieder das dämonisch Böse beschworen und ein Geraune von den Schatten aus der Tiefe sich vernehmen läßt, wo doch die Alchimie den Weg zur Heilung weiß.

„Die großen Ereignisse der Weltgeschichte sind im Grunde von tiefster Belanglosigkeit, wesentlich ist in letzter Linie nur das subjektive Leben des einzelnen.“ Wieviele Zuschauer im Banne des New Age werden dieses Zitat aus Jungs Schriften im Film überhört haben? Solches schrieb nicht zufällig jemand, der - wenn auch nur vorübergehend - seine Affinität zu den Nazis unzweifelhaft bezeugt hat, ein Faktum, das das amerikanische Mammutwerk wohlweislich unterschluckt. Der WDR hat sich allerdings bemüht, wenigstens diesen Fehler des Films auszugleichen. In einem im Anschluß gesendeten Interview berichtete der Kölner Analytiker Gerhard Zacharias über Jungs Tätigkeiten und Stellungnahmen im Dritten Reich.

Wer tatsächlich eineinhalb Stunden durchhielt und zuhörte, der erfuhr manch Wissenswertes über den Mann, den Ernst Bloch den „faschistisch schäumenden Psychoanalytiker“ genannt hat. Denken mußte man beim Zuschauen allerdings selbst. (wer immer du sein magst: ein solches verreißen der sendung als auch der person C.G. Jung ist meiner meinung nach dasselbe wie die von dir angeprangerte bewunderung: das eine wie das andere sind nur die beiden seiten der gleichen münze, d. s-in)

taz