: AufBruch ins SchädelHerz
■ Ein Orientierungsversuch
Nach seiner lyrischen Abrechnung mit dem Leben in der DDR präsentiert Thomas Günther mit seinem zweiten Gedichtband „AufBruch ins SchädelHerz“ nun den Versuch einer geistigen Standortbestimmung. Ein Versuch in drei Kapiteln.
Das erste, eine Sammlung von zumeist Prosagedichten mit dem Titel: „Aus dem Schließfach heraus“, erzählt von vermeintlichen und echten Helden, von Alltagsbildern aus dem Leben des Autors, dessen Blick sich schärft für literarische Vorbilder und Art-Genossen. Gegenentwürfe zu Kunerts „Abtötungsverfahren“, Gesten an Vian und Brecht sollen hier
-zwischen Alltags- und Liebesgeschichten - den Dichter ins rechte Licht rücken. Die Paten stehen ihm jedoch allzu bereitwillig zur Seite: neben Brecht und Vian finden wir Hölderlin, Goethe, Rimbaud und Stadler. Eine muntere Gesellschaft, die dem Leser als geistige Verbündete des Autors den literarischen und politischen Standort Thomas Günthers anzeigen soll. Aber hatten gerade sie sich nicht zusammengefunden, um den Dichter eines Besseren zu belehren? Stattdessen werden sie heranzitiert, um eine Absicht, eine Richtung zu signalisieren, die durch die Gedichte allein nicht ersichtlich wird.
Im zweiten Kapitel „Zwischen allen dreibeinigen Stühlen“ folgt eine Auseinandersetzung des Autors mit sich selbst, als Dichter, als Mensch und als Freund im Spiegel derer, die die DDR verlassen haben oder wollen. Eine Auseinandersetzung mit der kulturpolitischen Situation des Landes, präsentiert als Dialog zwischen Herz und Verstand, zwischen Traum und Realität von einem, der im Lande bleibt und für dieses Bleiben bei aller Resignation nach Gründen sucht. Das macht es leicht, ihn zu verstehen und gleichzeitig schwer, ihn zu kritisieren.
Das letzte Kapitel „In den Sommergrüften“ läßt den Leser Einblick nehmen in die Privatheit des Autors: Biographisches wechselt mit Urlaubsbildern und Erinnerungen. Die Distanz der Betrachtung aus den vorherigen Kapiteln wird gelöscht durch die Intimität der subjektiven Rückschau. Dann wieder: Gegenwartsbilder, manchmal hoffnungslos optimistisch, manchmal ironisch gezeichnet, schildern Momentaufnahmen aus dem zuweilen sehr schattigen Alltag.
„AufBruch ins SchädelHerz“ dokumentiert einen Orientierungsversuch, an dessen Ende für den Leser viele Fragen stehen. So bildhaft, so ehrlich und gleichzeitig zynisch die Sprache in vielen Gedichten eingesetzt wird, so sehr läßt sie eine klare Aussage vermissen. Oder war es gerade das, was beabsichtigt wurde:...„so wie diese Worte / hier ganz einfach stehen / ohne Anstrengung / auf kein Ziel zu / eben nur so“?
Hannah Meloh
Thomas Günther: AufBruch ins SchädelHerz, Gedichte, BrennGlas Verlag, 74 Seiten, 16 Mark.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen