: Öffentliches Leben in Rangun lahmgelegt
■ Proteste und Demonstrationen gegen das neue birmanische Regime dauern an / Zahlreiche buddhistische Mönche unter den demonstrierenden Studenten / US-Diplomat von Soldaten beschossen / Der Polizei und dem Militär werden Waffen gestohlen
Bangkok/Rangun (ap/afp) - Die andauernden Proteste und Demonstrationen gegen den neuen birmanischen Staatschef Sein Lwin haben das öffentliche Leben in der Hauptstadt Rangun am Mittwoch zu einem großen Teil lahmgelegt.
Demonstranten steckten Fahrzeuge und Geschäfte in Brand. Ausländische Diplomaten in Rangun meldeten Demonstrationen in mehreren Teilen der Stadt. Viele Geschäfte blieben geschlossen, der öffentliche Nahverkehr funktionierte nur teilweise, die meisten Botschaften unterhielten nur einen Notdienst, da viele einheimische Angestellte daheimgeblieben waren. Ein Diplomat sagte, die birmanische Hauptstadt arbeite nur „mit halber Kraft“.
Bei den Demonstrationen vom Montag und Dienstag, der bei weitem stärksten Protestwelle seit der Abschaffung des demokratischen Systems in Birma vor 26 Jahren, waren nach offiziellen Angaben 36 Menschen von den Ordnungskräften erschossen und 92 verletzt worden.
Ausländische Beobachter sprachen allerdings von möglicherweise mehr als 200 Toten. In manchen Fällen hätten Demonstranten getötete Kameraden in den Protestmärschen mitgetragen. Ein Korrespondent der Florentiner Tageszeitung 'La Nazione‘, der die Auseinandersetzungen bei der Sule -Pagode in Rangun am Montag abend als Augenzeuge miterlebt hatte, gab 'ap‘ am Mittwoch eine Schilderung der Ereignisse. Danach hätten sich an dem buddhistischen Heiligtum rund 30.000 Demonstranten versammelt, darunter viele buddhistische Mönche.
Anrückende Truppen hätten die Menge unter Androhung von Schußwaffengebrauch zum Auseinandergehen aufgefordert. Viele hätten daraufhin den Platz verlassen, doch sei „ein sehr großer harter Kern“ geblieben. Viele Jugendliche hätten sich flach auf die Erde gelegt, um die Truppen am Vormarsch zu hindern. Die Soldaten hätten dann geschossen, zuerst in die Luft und dann gezielt. Von dem oberen Stock eines naheliegenden Gebäudes habe er viele Menschen auf der Straße liegen sehen, doch könne er nicht sagen, ob sie tot oder nur verwundet gewesen seien. „Ich habe nicht eine einzige Waffe in der Hand eines Demonstranten gesehen, nicht einmal einen Stock“, sagte der Journalist.
Der ungezügelte Einsatz des Militärs hat die Demonstranten offenbar nicht eingeschüchtert. Im Gegenteil, wie gestern der Auslandsdienst der BBC berichtete, sollen im Laufe der Demonstrationen immer öfter bei Militär und Polizei Waffen gestohlen werden. So sei zu erwarten, daß die Demonstranten in Kürze auch zurückschießen werden.
Wie die französische Nichrichtenagentur 'afp‘ ergänzend meldet, haben birmanische Soldaten in Rangun auf den Wagen eines amerikanischen Diplomaten geschossen. Der Diplomat soll versucht haben, einem bedrohten Demonstranten zu helfen, berichteten diplomatische Kreise in Bangkok am Mittwoch. Der Diplomat sei bei dem Vorfall am Dienstag jedoch nicht getroffen worden. Den Angaben nach ist die US -Botschaft in Rangun derzeit geschlossen, da sie wegen der anhaltenden Demonstrationen und Straßensperren nicht erreicht werden könne. Das birmanische Außenministerium soll alle Diplomaten aufgefordert haben, nur mit äußerster Vorsicht auf die Straßen zu gehen.
Unterdessen hat die Regierung Massenverhaftungen vornehmen lassen. Das staatliche Radio berichtete am Mittwoch, daß bei den Krawallen innerhalb von zwei Tagen fast 1.500 Personen festgenommen worden sind. Die vor allem gegen den Staats und Parteichef Sein Lwin gerichteten Unruhen, die schon in der vergangenen Woche aufgeflackert waren, hatten sich am Montag verschärft. Sein Lwin, der am 23. Juli General U Ne Win abgelöst hatte, wird von der Bevölkerung für die scharfe Repression in Birma verantwortlich gemacht.
An der Spitze der Demonstranten stehen nach Angaben von Augenzeugen neben Studenten auch zahlreiche buddhistische Mönche. Die Demonstranten haben den Angaben nach einen immer größeren Rückhalt in der Bevölkerung. Neben den politischen Forderungen wie Aufhebung des Kriegsrechts, Freilassung der Gefangenen und Zulassung eines unabhängigen Studentenverbandes wird auf den Kundgebungen auch gegen die ständig steigenden Lebenshaltungskosten protestiert.
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