: „Wir sind keine geschlossene Gesellschaft!“
Im hessischen Mühlheim trafen sich 8.000 Exil-Eritreer / Gemeinsamer Erfahrungsaustausch und Folklore-Programm / Kritik an bundesrepublikanischer Abschiebepraxis / Nur wenige Mühlheimer kamen ■ Aus Mühlheim Michael Blum
Aus dem Ghettoblaster tönt laute amerikanische Disco-Musik, die umstehenden Kids im modischen Sommerdress sind vergnügt. Wenige Schritte weiter bietet eine in weißes Tuch gehüllte ältere Eritreerin selbstgeschnitzte afrikanische Skulpturen feil.
Das Areal um das Bürgerhaus der 25.000 EinwohnerInnen zählenden Stadt Mühlheim war am Wochenende Treffunkt für eritreische Flüchlinge. Aus ganz Westeuropa sind rund 8.000 Exil-EritreerInnen in die zwischen Frankfurt und Hanau gelegene hessische Stadt gekommen. Die bundesdeutsche Sektion der „Eritreanischen Demokratischen Jugendunion“ hatte zum dritten „Eritreer-Treffen“ in eine Gemeinde des Landkreises Offenbach geladen.
„Durch die Militärherrschaft Äthiopiens sowie durch die Naturkatastrophen wurden viele Eritreer gezwungen, ihr Land zu verlassen. Rund eine Million der vier Millionen EinwohnerInnen Eritreas leben im Ausland, 10.000 davon alleine in der Bundesrepublik“, berichtet der Sprecher des Auswärtigen Amtes der eritreischen Befreiungsfront ELF, Gherzghiher Tewelde auf einer der zahlreichen Veranstaltungen.
Auf Vorträgen und Diskussionen zur aktuellen Lage in Eritrea und vor allem auf dem großen Fest mit Musik und kulinarischen Spezialitäten herrscht Wiedersehensfreude: „Viele Familien und deren Mitglieder haben sich seit ihrer Flucht aus Eritrea nicht mehr gesehen - zum Teil seit mehr als 20 Jahren“, sagt Sahle Tesfei. Der Vorsitzende der „Eritreanischen Demokratischen Jugendunion“ in der Bundesrepublik ist mit dem Treffen zufrieden: „Es sind viel mehr Menschen gekommen, als je zuvor.“ Mit regelmäßigen Treffen dieser Art will er die „Isolierung politischer Flüchtlinge“ überwinden und die „Identitätsfindung der Eritreer erleichtern.“
Einfach wird das nicht sein: Die Jugendlichen sind „europäisiert“, nur wenige beachten die Ausstellung über die Geschichte ihres Landes und Volkes im Foyer des mit der bundesdeutschen und der eritreischen Fahne beflaggten Bürgerhauses. Auf den Wiesen um das Gebäude hören sie westliche Musik. Die verbindet sie trotz der Sprachbarrieren - je nach Aufenthaltsland sprechen sie Niederländisch, Französisch, Englisch oder Deutsch. Währenddessen versorgen sich die Älteren mit Lesematerial und diskutieren in Gruppen.
„Die Asylpraxis in der Bundesrepublik wird für mein Volk immer schlechter: 1984 lag die Anerkennungsquote für Eritreer als politische Flüchlinge noch bei 87 Prozent, 1987 nur noch bei viereinhalb Promille“, erklärt Tesfei. Das ist nur möglich, weil die Menschen in der Bundesrepublik zu wenig über uns und den Krieg in Eritrea wissen.“
Die Abschiebung aus der Bundesrepublik wird nach Tesfels Informationen hauptsächlich damit begründet, daß die eritreischen Flüchtlinge in den befreiten Teilen ihres Landes bleiben könnten. Dort aber herrscht Krieg. Entscheiden sich die EritreerInnen zur Flucht, müssen sie auf dem Landweg in den Sudan einreisen: 350.000 von ihnen leben dort bereits, meist illegal, wie Tewelde berichtet. Der Sudan aber könne kaum seine eigene Bevölkerung ernähren. So blieb den EritreerInnen nichts anderes übrig, als dorthin zu gehen, wo sie überleben können.
Die Fraktionen der im Mühlheimer Parlament vertretenen Parteien (SPD, CDU und Grüne) hatten einstimmig zur Unterstützung der Veranstaltung votiert. Bei den Mühlheimern aber findet das Treffen der EritreerInnen nur wenig Resonanz: Die Einheimischen verlieren sich auf ihrem Rundgang durch die Essenszelte, in denen eritreische Speisen erhältlich sind, um dann doch vor der Gulaschkanone des Deutschen Roten Kreuzes in der Schlange Gleichgesinnter zu stehen. Das Geschäft ihres Lebens wittern Anlieger: ein Gebrauchtwarenhändler in direkter Nachbarschaft zum Veranstaltungsort hat eigens einen Biertresen aufgebaut, eine Tankstelle meldet bereits am Samstag nachmittag den Ausverkauf von Getränkedosen. Er herrscht jedoch jeden an, der die Tür zur Gastwirtschaft auch nur versehentlich öffnet - „geschlossene Gesellschaft.“
„Wir sind keine geschlossene Gesellschaft“, sagt Tesfel. „Jeder, der sich für unsere Lage interessiert, ist uns willkommen.“ Drinnen im Saal informieren eine Rechtsanwältin, Pfarrer und VertreterInnen anderer Organisationen über die Rechte von Asylanten. Der Sprecher von „Pro Asyl“, der Hofheimer Pfarrer Leuninger, fordert von der Bundesregierung, „Flüchtlingen die gleichen Chancen einzuräumen wie Aussiedlern.“ Die BRD dürfe ihre Grenzen nicht für Menschen aus Kriegs- und Notstandsgebieten verschließen, sagt er umjubelt; und überläßt für den Rest der Nacht die Bühne der Kultur.
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