piwik no script img

Bremen, wie es ißt

■ Mit offenem Mund über den „Bremer Internationalen Sommer“: Neokoloniales für TouristInnen, Verwaltungs- und Büromenschen / Auch Südafrika-Obst dabei

Von Vorteil ist der zweite „Internationale Bremer Sommer“ für alle, die sowieso die Innenstadt bevölkern. Die Cafe -Tische vor dem Deutschen Haus am Markt sind nicht mehr ganz so voll mit TouristInnen wie sonst, weil auf einer ebensogroßen Fläche vor dem Eingang zur Böttcherstraße auch Eduscho den Kaffee open air serviert. Die Verwaltungsleute, die mittags bei Kiefert oder Karstadt zu essen pflegen, können eine Woche lang Spezialitäten aus vierzigerlei verschiedenen Ländern, Staaten und Regionen dieser Erde antesten - kostet auch alles um die sechs Mark. Schicke Büromenschen lehnen um eins in der Hitze mit einem Champagner-Glas in der Hand am Frankreich-Stand, plauschen und goutieren gefüllte Champignons. Ein Herr vom Stadt- und Polizeiamt kündigt an, die Autos der „Sommer„-Beschicker abschleppen zu lassen.

Bremen wie es ist und ißt, zwanzig Bier- und Schmuckstände dazwischen. Gerade aus einem kulinarisch eher kärglichen Hochgebirge zurückgekehrt, vermute ich, daß die mexikanischen, zypriotischen oder kolumbianischen Speisen rund um den Roland ebenso „original“ sind wie der Pyrenäen -Käse, der in solchen Mengen an TouristInnen verscherbelt wird, daß die Berge eigentlich gedrängelt voll mit Vierbeinern stehen müßten. Egal: Wer eines der Länder, die auf dem Marktplatz „repräsentiert“ werden, kennenlernen will, besorge sich die passenden Pro

spekte im Reisebüro, und wer essen will, soll essen. Wenn was übrig bleibt, gibt's schlechtes Wetter, und das dritte Finnlachs-Brötchen ist noch immer Bremer Recht.

Mit einem kleinen historischen Vortrag bot Außenhandelssenator Kunick dazu sozialdemokratische „Denkanregungen“ an - daß nämlich Außenhandel und Politik viel miteinander zu tun hätten und gerade in Bremen schon seit den Zeiten der Hanse hatten, über den unterschiedlichen Lebenstandard in den Industrie- und Drittwelt-Ländern und über den „Frieden zu den günstigen Bedingungen für diejenigen, die ihn herstellen“ - und das seit 500 Jahren. Sagte der Senator in der rappelvollen Unteren Rathaushalle, in der während des „Sommers“ eine Import-Export-Ausstellung mit Ständen von zwanzig Bremer Firmen und Einrichtungen stattfindet.

Der „Sommer“ hat nämlich ein Konzept, und das ist deutlicher auszumachen als auf so manch‘ anderen Schauen in Bremen: Die „Leistungsfähigkeit bremischer Außenhandelswirtschaft“ soll dargestellt werden. In der Halle stehen die Im-, Ex- und Transporteure, und auf dem Marktplatz gibt's die Genußmittel, die sie für die bremischen Gaumen heranschaffen. Das ist natürlich ordentlich verlogen, weil die Folgen und Hintergründe unterschlagen werden, und bietet einen hübschen Lehrpfad durch den bremischen Anteil am Neokolonialismus, Kunicks „historisch

entstandenes Macht- und Währungsgefälle“. Und prompt werden auf dem großen Obstverkaufsstand der 18 Bremer Wochenmärkte kistenweise die „Granny-Smith„-Äpfel aus Südafrika angeboten, deren Herkunft auf den Preisschildern unterschlagen wird.

Fehlen tut noch mehr. Der rotgestrichene Stand, an dem nur das „Yin-und-Yang„-Symbol und sonst überhaupt nichts prangt,

wirbt nicht etwa für Südkoreanisches, sondern für Schmuck aus Taiwan. Politischer wird's wieder ganz in der Nähe der Bühne, die die ganze Woche lang vor der Bürgerschaft steht: Auf einem Stand ist der Name „Israel“ nur auf ein paar verblichenen Luftballons der Fluggesellschaft El Al zu lesen - ansonsten wird Wein und Essen unter einer ungleich harmloser wirkenden Bezeichnung angeboten: „Heiliges Land“.

mc

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen