: REVOLUTIONÄRE IDYLLE
■ Statt Musik Seilbahnmusik in der Winterfeldtstraße 25
Es gibt Ereignisse, die von der Umgebung abhängig sind und sich nicht an andere Orte übertragen lassen. Wenn auch die Seilbahnmusik von Rolf Langebartels in verschiedenen Szenarien denkbar ist, im 2. Hinterhof der instandbesetzten Winterfeldtstraße 25, zwischen „Portal3“ und „Portal4“, zwischen Wänden, auf deren neuen Putz Ziegelsteine und abgeblätterter Putz aufgemalt sind, zwischen angelegtem, die Wände emporwucherndem Grün, zwischen Wäscheleinen, Blumenkübeln, Dusche, Feuchtbiotop und Bier- und Wein- und Saft- und Seltersverkaufsstand, zwischen allerlei Kamerateams zu ebener Erde und Parterre, zwischen dichtgedrängten Musikenthusiasten, Kindern, kopulierenden Hunden, die Geschmack beweisen, weil sie nicht jeden Langhaarigen an sich heran lassen, zwischen Hausbewohnern, die froh sind, daß die Zeit der nervenden Proben vorbei ist, zwischen all den Menschen, die beim Ende der Vorstellung begeistert klatschen den Unbilden zum Trotz, die das von den Organisatoren zwar zur Kenntnis genommene, aber als Lärmquelle schwächer eingeschätzte Fest der Skate und Roller auf dem Winterfeldtplatz verursachte, so daß die Seilbahnmusik nur mit gutem Willen zu hören war.
Eigentlich sollte zum Konzert auch noch eine Seiltänzerin aus der DDR auftreten, die aber aus hier unwesentlichen Gründen nicht kommen konnte und ersetzt wurde durch eine Frau im schwarzen Trikot, die zu gegebener Zeit mit einem Fuß auf ein im ersten Stock gespanntes Drahtseil trat, in deren Mitte der Balancierstab Ruhe bewahrte.
An zwei anderen Drahtseilen hingen über den Köpfen zwei unterschiedlich große Plastikkanister, die über das Drahtseil mit elektrischen Schwingungen versorgt wurden, deren Ergebnis von Kontaktmikrofonen aufgenommen wurden und die an einem weiteren Seil hin- und her- und her- und hingezogen werden konnten. Und wie es in den Kanister hineinschallte, so schallte es auch hinaus als Piepsen und Knarren, als Fiepsen und Schnarren, als Musik, das den idyllbewohnenden Instandbesitzern wie vom anderen Planeten erscheinen mußte.
Es hatte etwas von der bekannten Eulenspiegelei, das ernsthaften Elektronikfans im Geiste die Schuhe auszog, auf einen Haufen warf und sie keine Schwierigkeiten hatten, die ihren wiederzufinden, weil sie elektronisch gekennzeichnet sind, und der moderne Mensch sich schließlich nicht an der Nase herumführen läßt von Künstlern, die ihr Handwerk verstehen.
Qpferdach
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