piwik no script img

Sabotage-Beweise aus dem Mülleimer gefischt

■ 1.000 Gründe gegen die Zwangsarbeit und einer dafür: ein bißchen Eigengeld

Obwohl oder gerade weil meine Hand lädiert ist und das Schild an meiner Tür „verschuldet ohne Arbeit“ inzwischen in „nichtverschuldet“ umgeändert wurde, schreib‘ ich also was über Zwangsarbeit:

Ich begann meine insgesamt dreiwöchige Zwangsarbeitskarriere hier in Plötze, denn eine der wichtigsten Errungenschaften des „psycho-architektonischen Glanzwunders Plötzensee“ (außer dem dekorativen Betonspringbrunnen auf dem Gelände) sind ja schließlich und endlich Arbeitsplätze für alle. Fortschrittliche Arbeitsplätze. Arbeitsplätze, wo jede frau „entsprechend ihren geistigen und körperlichen Fähigkeiten (zum Putzen in der Putzkolonne, Waschen in der Wäscherei, Nähen in der Schneiderei, Unkrautzupfen in der Gärtnerei, zum Teddybären -stopfen, Schrauben, Stecken, Zählen oder Eintüten) eingesetzt wird, es sich sogar manchmal aussuchen kann und Leistungsstriche kriegt, wenn sie überm Pensum, und Lohnabzüge, wenn sie unterm Pensum arbeitet.

Ich stellte einen Antrag für die Ziegnerstiftung (dem einzigen nichtfrauen-spezifischen Betrieb mit Tischlerlehrgang als gleichzeitiger Alibifunktion). Der wurde abgelehnt, erst weil meine Strafe zu lang, dann, weil sie zu kurz war - im Endeffekt aber, weil A. dort schon arbeitete und man „Widerstandspotential“ lieber getrennt hält - und weil Ziegner laut Arbeitsverwaltung eine freie Stiftung sei, die wirtschaftlichen Interessen der Anstalt dort zu kurz kämen und man mich lieber profitträchtiger unterbringen würde.

Profitträchtiger hieß in meinem Fall „Unternehmerbetrieb“. Hier ließ unter anderem auch PanAm früher arbeiten (bis nach einer Zettelaktion, während unseres Hungerstreiks letztes Jahr, 20.000 Tütchen auf der Suche nach „Bitte bewahren sie die Ruhe, dies ist eine Flugzeugentführung„-Hinweisen und Erklärungen zu HS und Zwangsarbeit, wieder aufgerissen werden mußten - und in Frankfrut Frauen ein Pan Am-Büro besetzten).

Bei einem Tageslohn von ca. 5,60 DM werden bei „Unternehmers“ für verschiedene Firmen von ca. 15 Frauen stumpfsinnige, monotone Arbeiten im Akkord verrichtet (Muttern auf Schrauben stecken, Schrauben in Tüten, etc.), Arbeiten, die auf Augen, Rücken und Gehirn schlagen. Ich klebte gerade Adressen auf Umschläge, dachte an die Arbeiterinnen einer Hamburger Siliconfabrik, die irgendwann ausrasteten und mit wachsender Begeisterung Siliconbrüste um sich warfen, als ich zur Arbeitsverwaltung beordert wurde da ich mich „mit meiner wiederholten Weigerung, die Arbeitskittel zu tragen (die gleichen wie die Schließerinnen, nur in lila) - Unruhe in den sonst ruhigen Betrieb gebracht hätte“.

Während man mir nun dort mit „Ablösung“ drohte, dursuchte man indessen den Mülleimer an meinem Arbeitsplatz und beförderte sechs corpus delictis zutage (wer keine treffsicheren Argumente findet, zieht sie auch mal aus dem Müll): sechs unbrauchbar zerstörte Adressen. Sechs von 1.000, genug um mich verschuldet abzulösen, weil ich Unruhe in den Arbeitsbetrieb gebracht, Arbeitsmaterial zerstört und bewußt unter pensum gearbeitet hätte.

„Verschuldet ohne Arbeit“ heißt gleichzeitig Arbeits- und Einkaufssperre. Außerdem wurden bei der Strafvollstreckungskammer Haftkosten gegen mich beantragt.

Nun lieg ich also statt zu arbeiten bis Feierabend in meiner Zelle unter Verschluß, kann lange lesen, schlafen, schreiben, kluge Sachen denken, was mir äußerst gut gefällt.

Bloß ... ich bin leider ein Konsumkind. Was mir fehlt außer der „Freiheit, die wir meinen“ samt Bio-Müsli, Erdnußbutter, Sekt und Nougatriegeln ist zumindest das lächerliche bißchen Einkauf einmal im Monat für die hart oder nicht verdienten 5,60 DM Tageslohn.

Aber jetzt bin ich ja krankgeschrieben und kann für 43 Mark einkaufen. Am 8.8. könnte ich nun sogar bei Ziegner anfangen, damit ich geistig und körperlich nicht unterfordert bin - und weil A. inzwischen nicht mehr dort arbeitet. Aber, da ist ein Schild an meiner Tür: „Unverschuldet ohne Arbeit“. Und Sehnenscheidentzündungen heilen selbst ohne mein Zutun langsam. Also arbeite ich bis auf weiteres nur an mir selbst.

Es gibt 1.000 Gründe gegen die Zwangsarbeit und nur einen dafür: das miese bißchen Einkauf. Ich wünschte mir, ich wär Nichtraucher wie Klaus oder Asket wie Michael Jackson.

Silly Vanilli, Berlin-Plötzensee

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen