: Tausendundein Buddha für Schottland
Im abgelegenden englisch-schottischen Grenzland wurde der größte buddhistische Tempel Europas eingeweiht / Mönche und Laien haben ihn in neun Jahren Kleinarbeit zum Spartarif errichtet / Exilierte Tibetaner pflegen die eigene Religion und frustierte Westler üben den spirituellen Ausstieg im schottischen Hügelland ■ Aus Eskdalemuir Rolf Paasch
„Paß auf, daß du sie nicht überfährst“, hatte der Wirt des „Hart Manor Hotels“ in Eskdalemuir mit leiser Stimme gewarnt. „Die laufen manchmal wie weggetreten in der Gegend herum.“ Rund anderthalb Meilen hinter dem 200-Seelen-Dorf zeigt ein Schild an, wo die meist in ockerfarbene oder dunkelrote Gewänder gehüllten Jünger herkommen. „Samye-Ling Centre“ steht auf dem Wegweiser geschrieben, der direkt zum größten buddhistischen Tempel Europas führt, zum genauer gesagt „Kagyu Samye-Ling Tibetanischen Zentrum“ des hochverehrten Akong Rinpoche, seines Zeichens der lokale Lama.
Wir befinden uns in den sogenannten „Debateable Lands“, dem zwischen Engländern und Schotten über Jahrhunderte umstrittenen und umkämpften Gebiet unweit des Hadrians Wall. Vorbei am „Hart Manor Hotel“ nahe Eskdalemuir windet sich die Straße weiter ins schottische Bergland hinauf. Von der Forstkommission gepflanzte Wälder wechseln sich mit der ursprünglichen Heidelandschaft ab. Die Sonne steht schon tief Anfang August, Fasane überqueren sorglos die kaum befahrene Straße. Und dann kommen sie. Zuerst einzeln, dann in kleinen Gruppen. Ihr merkwürdiger Gang, der gleichzeitig Schweben vortäuscht und Ungelenkigkeit offenbart, verrät, daß sie nicht aus der Gegend sind. Protestanten und Puritaner gehen anders.
Kurze Zeit später steht der Besucher vor dem Prachtsück tibetanischer Baukunst, dem dreigeschossigen, rund 50 Meter langen Tempel mit Wohnräumen und Reliquien in den oberen Stockwerken. Die Säulen mit Gold verziert und die Holzverzierungen knallig bunt angestrichen, paßt der Tempel in die natürliche Harmonie der schottischen Borderlands wie ein Legohaus ins Wildfreigehege. Vor dem Tempel herrscht rege Geschäftigkeit. Glattrasierte und gummibestiefelte Mönche schaufeln den Weg zum V.I.P.-Zelt für den morgigen Festtag frei. Neueintreffende Buddha-Sympathisanten werden zum Campingplatz weitergeleitet, wo mit Moody Blues und Räucherstäbchen die siebziger Jahre re-inszeniert werden; und trotz der sonst ungewohnten Hektik bleibt einigen Bewohnern der umliegenden Gästehäuser die Zeit zum Austausch spiritueller Gemeinsamkeiten. „Und wie bist du zum Buddhismus gekommen?“
Das Samye-Ling Zentrum gibt es seit 21 Jahren. Damals kam der 1959 von den neuen chinesischen Machthabern aus dem Tibet vertriebene Akong Rinpoche auf dem Umweg über Indien und Oxford hier in die schottischen Borders. Während der letzte 1981 verschiedene Chef der Kagyu-Tradition - einer von vier Schulen des tibetanischen Buddhismus - noch an seiner Reinkarnation arbeitet, hatte dessen irdischer Stellvertreter Jangon Kontrol Rinpoche unseren Akong zum Klosterboss ernannt. Woraufhin dieser hier in Eskdalemuir mit dem Aufbau des Zentrums und später mit dem Bau des jetzt fertiggestellten Tempels begann. All jene Mönche und Laien, die den Samye-Ling Tempel in neun Jahren mühevoller Kleinarbeit zum Discountpreis errichtet hatten, machte die religiöse Selbstausbeutung offenbar nichts aus. Ganz nebenbei die materielle Anreiz-Theorie des Thatcher -Kapitalismus wiederlegend, bot der Akong seiner buddhistischen „Freiwilligen-Brigade“ nichts als spirituelle Belohnung und ließ sie erfolgreich für ihn und sein Projekt schuften. „Erst hier in Samye-Ling“, sagt Jim aus Glasgow, der an Ort und Stelle vom trinkfesten schottischen Rabauken in einen kuchenbackenden Peacenik umgepolt wurde, „habe ich gelernt, meine Arbeit zu lieben.“ „Du hättest sehen sollen“, erklärt Magda, die seit Jahren aus Berlin hierherkommt, „wie Jim anfangs den Akong angebrüllt hat. Aber der kann auch streng sein.“ Während so die rund 100 festen Mitglieder der Gemeinschaft ihren geistigen Führer anhimmeln, ist dessen Stellung in der örtlichen Bevölkerung eher umstritten. „Einige mögen ihn, andere wieder nicht“, hatte mir die ältere Lady im Tourismus-Büro von Langholm zunächst diplomatisch berichtet. „Aber dann wollten die auch noch ein Krematorium bauen!“ Und bei der Vorstellung, die verbrannte Asche verschiedener Buddhisten hätte über ihrem Rosengarten abregnen können, war die presbyterianische Seele der Dame in Wallung geraten. Die wohl erste Bürgerinitiative in diesem Teil der Welt hatte den Plänen des Akong dann rasch ein Ende gesetzt.
Doch am Morgen des 8.8.1988, 1.000 Jahre nach der Geburt des Gründervaters der Kagyu-Tradition und 1.200 Jahre nach der Fertigstellung des ursprünglichen Samye-Ling Tempels in Tibet sind diese Auseinandersetzungen - zumindest vorübergehend - vergessen. 2.000 Besucher, Ehrengäste, neugierige „Locals“ und aus der Ferne angereiste Buddha -JüngerInnen haben sich zur Eröffnungszeremonie versammelt. Die Vertreter sämtlicher Kirchen preisen die Liberalität der Konkurrenzreligion, der Bezirksrat redet was vom Tourismus -Effekt für die Region, und der Abgeordnete des örtlichen Wahlkreises gibt sich gar durch die spirituelle Botschaft des Akong erleuchtet. Andächtig lauscht die Menge - lauter milde Menschen der Mittelklasse - den vorgetragenen Grußbotschaften und kann sich nicht einmal bei den Glückwünschen des südafrikanischen Botschafters zu einem Protest aufraffen.
Auch drinnen im Tempel drängelt sich das Volk, stehen die Mönche als Buddhismus-Experten geduldig-lächelnd Rede und Antwort. „Ja, 14 goldbesetzte Pfeiler, 400 mit Drachen und Vögeln aus dem Mythos bedruckte Seidenvorhänge und alle 108 Bücher der drei 'Vehikel‘ des Buddhismus“, referiert Tsering Tashi, der „Schrein-Koordinator“. Und wie ist er zum Buddhismus gekommen? Nun, seine Eltern seien Teil der „Sixties-Generation“ gewesen, er sei sozusagen ein britischer Buddhist der zweiten Generation. Während der riesige, wie eine Schokoladen-Figur in Gold verpackte Buddha und seine 1.000 kleineren Kollegen auf uns niederlächeln, erzählt mir Tsering Tashi von der für die Dame im Tourismus -Büro alarmierenden Tatsache, daß der Buddhismus Großbritanniens einzige Wachstumsreligion sei. „Die Briten“, so hatte mir Magda bereits vorher erzählt, „waren uns Deutschen spirituell gesehen schon immer voraus.“ Wie im Kolonialismus, möchte man ergänzen.
Und schließlich betritt der Ehrenwerte Akong höchstpersönlich das Rednerpodium. Im goldgelben Mantel dankt er allen und philosophiert sich zusammen, was dem im Geist der Aufklärung Geschulten wie eine Mixtur aus Nietzsche, Bergpredigt und alternativer Psychotherapie erscheint. Warum er ausgerechnet hier in Schottland sei? Das wisse er nicht. Dreihundert Jahre der Erfahrung lehrten ihn, daß die Feinde zu Freunden werden müßten. Denken sei Zeitvergeudung, Handeln im Kleinen und Dienen seien angesagt. Mitgefühl, Toleranz und Demut. Schließlich sei seine Heiligkeit, der Gyalwa Karmapa, in seinem ganzen Leben nie wütend gewesen. Als es mir entfährt, wie langweilig das gewesen sein muß, ernte ich von meinen Nachbarn nur mitleidig-milde Blicke. Und während zum Abschluß der Feierlichkeiten hunderte von Luftballons mit der Aufschrift „Om Mani Padme Solglaeroege“ in den blauen Himmel steigen, gibt man mir freundlich zu verstehen, daß mit meinem Tantra irgendetwas nicht in Ordnung sein muß.
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