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Seh'n oder Nichtseh'n

■ ZDF-Kompaniechef Heck gab am Sonntag in der „Pyramide“ wieder ein‘ aus

„Grüß Gott, guten Abend“ - und da trampelt's im Saal. Tumultuöse Begeisterung erschüttert das Publikum. Es grenzt an Besinnungsverweigerung. Was ist geschehen?

Ein hellgrauer Anzug hat die Bühne betreten: Oben begrenzt von zwei triefenden Würsten aus altrosafarbenem Brät, die sich zuppend zum Gruße zerteilen; unten gesäumt von zwei schneeweißen Schuhen, die sich ein-über's andere Mal nach hierhin, nach dahin bewegen. Und in der Mitte - ja, dort, wo Fußballspieler ihr Zweitwichtigstes vor Freistößen schützen

-liegen zehn Finger übereinander, schützen ein Etwas, das sich dennoch wie zwanghaft aus dem hellgrauen Anzug inwendig nach oben und von dort hinaus durch die Bratwürste drängt: In verbalisierter Form erkennen wir im unten geschützten Organ des deutschen Spießers schmieriges Zotenhorn.

Zote und Organ - das sind die unveränderlichen Kennzeichen dieser Gestalt, die da auf dem Bildschirm von ihresgleichen umjubelt wird bei Fernsehsendungen wie dieser „Pyramide“, die man dem Genre „deutsche Unterhaltung“ zurechnen muß.

Und untrennbar verbunden ist die Zote mit dem Organ in einer weiteren Bedeutung: Jenes Organ, das da so trieb-zwanghaft und sozusagen vollinhaltlich als Zote nach außen drängt, gelangt akustisch vermittelt an unser Ohr - ebenfalls durch ein Organ: Die Stimme. Im Fall des Dieter Thomas Heck ist es die Stimme eines Offiziers, der vor der Kamera gerade und eben noch das schneidende Kommando-Organ zurückhält und sich des schneidigen, kasinohaften „Rührt-Euch„-Organs bedient.

Reserveoffizier Heck, die durchorganisierte Etappen-Wutz der Fernsehkompanie, hat also am Sonntag wieder mal für seine Mannschaft bunten Abend gemacht. Mit Carolin Reiber, „unserem charmantesten Tele-As“, weil er Frauen - und in so mancher Sendung auch kleine Mädchen - zum Betatschen braucht. Und richtig: Kaum steht sie auf der Bühne, grabscht er nach ihrer „kalten“ Hand: „So aufgeregt?“, trieft es ihm von den Bratwurst-Lippen. Dann rasch ein scheeler Frauenschänder-Blick in Richtung Kamera: „Jetzt ist der Poldi aber eifersüchtig. Höhö.“ Und da kreischt bereits wieder - Habtacht! - die ganze Kompanie und trampelt mit den Füßen.

Dazu hat Heckenschütze Dieter Thomas auch noch die Stimmungskanone Mike Krüger eingeladen, weil dem sein Organ gut sichtbar im Gesicht sitzt. Vor allem aber hat Krüger wieder mal ein schlüpfriges Trällerstückchen angefertigt, das im Kasino-Studio Lachsalven und Getrampel garantiert, weil es auch noch für den blödesten Kommißkopp als zweideutig identifizierbar ist: „Alle, alle tun es...“

Nein, natürlich nicht das, was jetzt alle denken sollen, sondern: „Wir alle, alle hören Radio“, heißt es erst ganz zum Schluß, als man schon nicht mehr aus und ein weiß.

Da braucht es zum Wörtererraten und -erklären nur noch die passenden Begriffe, um das Gegröle auf den höchsten Verklemmungspunkt zu bringen: „Was hat die Kuh hinten?“, fragt Carolin Reiber ihren Partner. „Schwanz“, sagt er, noch arglos. „Und der taugt nichts!“ “??? ...Schlappschwanz“, fällt es dem Bankangestellten endlich ein, und Heck, vor Speichel triefend, weiß fast nicht mehr, wohin mit seinen Händen: Reiben? Oder Organschutz treiben und sie vor seinen Gehirn-Ersatz in der Körpermitte legen? Die Kamera läßt uns im Ungewissen. Sie zeigt uns nur zwei Bratwürste kurz vor dem Platzen.

Sybille Simon-Zülch

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