: Keiner will von mir ein Stück
■ Am heutigen Montag - Tag der Frau des Wassers und der Wiederkehr -, um drei Uhr früh, wurde Karlheiz Stockhausen sechzig Jahre alt. Gespräch
Clair Lüdenbach
Es war nicht immer so, daß er sich „für die ganze Menschheit“ interessierte. Während seines Studiums an der Kölner Musikhochschule befaßte sich Karlheinz Stockhausen vorwiegend mit den Werken von Bartok und Hindemith. Auf seinen eigenen Wweg brachten ihn dann seine Lehrer und Mitschüler in Paris. Durch Olivier Messiaen, Rene Leibowitz, Pierre Boulez. Pierre Henry und die „musique concrete“ von Pierre Schaeffer wurde ihm gezeigt, wohin die Reise gehen mußte. Die Ideen dieser Leute „und wenn man dann noch hinzutut, was ich noch als halbes Kind hinzugetan habe, nämlich die neue Konzeption der Klangfarbenkonzentration“, begründeten eine völlig neue Auffassung vom Komponieren. Besessen von der Idee, niegehörte Klänge durch synthetische Klangerzeuger zu erschaffen, eilte er nach Köln zurück und nahm bald Besitz vom elektronischen Studio des WDR. Dem intensiven Hineinhorchen in die Natur der Klänge folgten nicht die erhofften Klangsensationen, sondern Stockhausen wurde darüber ein Perfektionist der musikalischen Mikro- und Makrostruktur. Von der Zeugung „musikalischer Organismen wie Lebewesen“ war es - inspiriert durch einige Asienreisen nicht weit zu einer kosmischen Philosophie, die Stockhausen auf ein Werk hinführte, das ihn insgesamt 20Jahre beschäftigen wird: Seit 1977 komponiert er aussschließlich an dem siebentägigen Zyklus „Licht“, dessen vorläufig letzter Teil die Oper „Montag“ - der Frauentag -, vor einigen Monaten in Mailand uraufgeführt wurde. Den „Montag“ gestaltete er als bunten Befruchtungs- und Gebärritus, bei dem, wie im richtigen Leben, nicht immer alles auf Anhieb klappt. Im Jahre 2002 sollte der „Licht„-Zyklus abgeschlossen sein.
taz: Bedeutet es Ihnen etwas, 60Jahre alt zu werden?
Karlheinz Stockhausen: Ja. ich habe mich auf jedes Lebensjahr innerlich eingestimmt, habe erfahren, daß der Siebener-Jahreszyklus in meinem Leben sinnvoll gewesen ist. Nach den sieben Jahren des Hauses des Todes, in denen ich auch Samstag aus Licht komponiert habe, kommt das Haus der Aufgabe, in dem ich jetzt bin. Und ich spüre sehr deutlich, daß ich im wesentlichen alles mehr aus der Vogelperspektive betrachte, was wichtig ist, nachdem ich den Planeten verlassen habe, was überpersönlich ist. Also, ich interessiere mich im zunehmendem Maße nur für etwas, was die ganze Menschheit betrifft, und beurteile auch meine eigene Arbeit danach. Ich habe gerne voriges Jahr, als ich entscheiden mußte, ob ich all die Konzerte annehme im Jahre 1988 und bis Mitte des Jahres 1989, diese Angebote angenommen, auf dem ganzen Planeten Konzerte zu geben und praktisch nichts mehr zu komponieren, sondern nur ein paar Skizzen zu machen.
Also ist das für Sie eine Art Abschluß?
Nein, ich bin jetzt mitten drin im Hause der Aufgabe, in dem man sich selbst aufgibt, aber auch eine größere Aufgabe noch anerkennt als die Erfüllung des eigenen Talentes. Man fragt sich immer, wozu habe ich jetzt 38 Jahre lang komponiert und nichts anderes gemacht, als immer wieder musikalische Experimente und Proben und Aufführungen durchgeführt, Partituren ediert, unsagbar viel Zeit in Korrekturen von Aufführungsmaterial und von Partituren gesteckt habe? Insofern stimmt das schon an sich. Ich bin einverstanden damit, daß ich jetzt über ein Jahr lang nicht komponieren kann, sondern ausprobiere, wie ich überhaupt stehe mit all den Interpreten, die seit so vielen Jahren mit mir zusammenarbeiten.
Ist das für Sie einfach eine interessante Erfahrung?
Eine wichtige Erfahrung. Wie kann meine Musik leben, wenn ich tot bin? Was wird aus der Musik? Die Musik löst sich ja von der Person. Ein früherer Komponist ist für die gesamte Menschheit ja nur noch ein Name. Das Entscheidende ist: Wie kann das Werk leben? Ich habe mein ganzes Leben für das Werk gelebt, eigentlich kaum ein Privatleben gehabt. Diese Explosion
Seit etwa 40 Jahren werden Sie aufgeführt. Nach dem Krieg gab es einen Neuanfang, und es gab außer dem ökonomischen auch einen musikalischen Neuanfang. War das für Sie klar, daß es so sein mußte?
Nun, da konnte ich gar nichts dran ändern, daß eine Musikepoche wirklich zu Ende ging, nicht nur durch die radikale Veränderung der Sprache, die in den verschiedenen Bereichen der Musik stattgefunden hatte, nämlich einmal in der neuen Wiener Schule, zum andern aber auch selbstverständlich durch Komponisten wie Varese, die ganz anderen Aspekten der Musik große Bedeutung gaben, sehr viel Schlaginstrumente verwendeten, Geräusche einbezogen. Dasselbe trifft zu für sehr unregelmäßige Rhythmen im Werk Strawinskys und bei Bartok. Das war so eine letzte Synthese sublimiertester Volksmusik mit der Kunstmusik. Und dann kam diese Explosion, die einfach historisch reif war, daß man die neuen elektrischen Geräte als Instrumente für Musik verwenden konnte. Studios wurden gegründet, es gab auf einmal Magnetophone, also Speichermöglichkeiten, Mehrspurmagnetophone wenige Jahre darauf. Und die neuen Gsetzmäßigkeiten der Akustik waren während der ersten Studienjahre in der Musikhochschule in Köln wirklich unbekannt. Das waren phänomenale Neuentdeckungen, ähnlich wie in der Atomphysik, ähnlich wie in der neuen Genetik, in der Biologie. Wir sind Kinder eines riesigen Umschwunges von Bewußtsein, und dazu gehört die Musik natürlich auch.
In den Fünfzigern war die Elektronik relativ primitiv, aber heute, mit Kathinkas Gesang, haben Sie mit dem 4X (einem Real-Time-Computer) gearbeitet und können ganz andere Klänge produzieren. Sehen Sie jetzt die Voraussetzungen geschaffen, wirklich „neue“ Klänge zu machen?
Ich glaube, es fängt jetzt in noch sehr viel größerem Maße an als in den letzten 35 Jahren, weil seit zwei, drei Jahren ständig neue mobile Synthesizer auch käuflich erwerbbar sind und die Möglichkeit geben, ohne die ökonomischen Begrenzungen eines Studios und eines Rundfunks zu forschen. Da geschieht jetzt die nächste Revolution, daß man eben eine sehr viel elegantere Methode gefunden hat, neue Klangwelten für ganz bestimmte Kompositionen oder Abschnitte von Kompositionen zu schaffen, Synthesizer, die Klänge komponieren auf eine schnellere Weise als je zuvor im Studio, und vor allen Dingen auch in großer Reichhaltigkeit. Es gibt da viel zu wünschen, was zur Zeit nicht möglich ist und was im Studio möglich war, wenn auch mit enorm zeitraubender Methode, nämlich zum Beispiel die Lautstärke während der Realisation von Musik mit neuen Synthesizern sehr viel differenzierter zu formen. Man bräuchte doch eine Skala auf Fernsehschirmen, auf denen man sofort die Anzeige sehen kann, wie das in modernen Studios schon ist mit Lichtsäulen, wie stark eine Schallschwingung ist, die man in den Raum schickt, so daß man auch viel genauer die Lautstärke komponieren kann; dasselbe trifft auch zu für die Klangfarbe. Grenzenlos differenziert
Aber wird das nicht ein Hörproblem für die Zuhörer, all das noch in seiner Feinheit wahrzunehmen?
Der Mensch ist absolut unbegrenzt. Es gibt überhaupt keine Grenzen der Wahrnehmung. Die scheinen einem nur so; aber was ich heute schon hören kann, nach 40 Jahren Arbeit, vor allen Dingen nach all diesen tausenden Stunden in Studios, das ist unvergleichlich mit dem, was irgendein Musiker hören konnte vor 30, 40 Jahren. Wer öfter solche Musik hört, die differenziert ist, der wird auch differenziert. Ich sehe da überhaupt keine Grenzen. Und wenn die Grenzen halt im Körper gegeben sind, ja dann besorgen wir uns halt noch feinere Kopfhörer oder irgendwelche anderen Hilfen, wie wir auch Brillen tragen oder mittlerweile Ferngläser haben oder alles mögliche. So werden wir uns auch akustisch Hilfen bauen, wenn unsere körperlichen Sinne nicht scharf genug sind.
In den Sechzigern machten Sie Ihre ersten Konzertreisen nach Asien. War das nicht ein ganz wichtiger Zeitpunkt, als diese Erfahrung mit anderen Kulturen und Religionen Ihr ganzes Denken umformte?
Das ist immer noch so. Also da ist ja auch dieses wunderbare Geschehen in meinem Leben, daß ich zu einer Generation gehöre, die zum ersten Mal Flugzeuge zur Verfügung hat, die zum ersten Mal die Chance hat, überhaupt einmal einen Planeten wie ein Zuhause zu erfahren. Das ist sehr, sehr wichtig, daß man diesen ganzen Planeten als seine eigene Kultur auffaßt.
Auf der anderen Seite hat dieses Weltgefühl, diese Möglichkeit, überall zu leben und von anderen zu lernen, auch dazu geführt, daß viele Kulturen, die noch viel Ursprüngliches hatten, kaputtgingen.
Das sehe ich nicht negativ. Ich glaube auch, in einem Moment, wo die Menschheit explodiert wie jetzt, ist der eigentliche Sinn, daß der Mensch so fertig ist mit dem Planeten, daß er abhaut, und tatsächlich sind die ersten Anzeichen da: erst zum Mond, und jetzt wollen sie zum Mars, und das kostet 800 Milliarden, unvorstellbar. Was ich damit sagen will: Die Raumfahrt beginnt, und es ist so ähnlich wie im 15.Jahrhundert, als in Europa die scheußlichste Situation überall war, daß die ersten nach Amerika emigrierten und man Amerika entdeckt hat, so wird man jetzt andere Bereiche des Universums entdecken. Die Angst ist gewachsen, die damit zusammenhängt, daß die Menschheit sich unerwartet vermehrt hat. Das Kindervermehren nicht
der Dritten Welt überlassen
Das hat doch Folgen für die Kultur.
Das ist ganz natürlich. Das ist ein Tierniveau, das müssen wir jetzt lernen. Es hat auch keinen Sinn, daß hier keine Kinder mehr entstehen und man das Kindervermehren den Südamerikanern oder den Indonesiern überläßt. Sondern es muß so sein, daß man, so rapide wie es geht, nur durch Bewußtseinerhöhung alle Menschen zu der Verantwortung bringt, daß jeder für den ganzen Planeten verantwortlich ist.
Also Sie sehen nicht das Ende der Menschheit?
Aber überhaupt nicht. Selbst wenn alle heute Nacht explodieren würden durch irgendein Unglück, so ist das ja nur was Positives, denn die Geister würden frei und würden sich sofort woanders hin begeben, wo ihre Existenz neue Körper aufnimmt. Die Matrix des Menschen ist ja eine geistige Matrix, nicht nur eine physische. Jede Supernova, die explodiert, die ist ja weg. Die Geister werden frei. Jedes Wasser, das gekocht wird, ist ja nichts anderes als eine Befreiung von Geistern, die vorher im Wasser gebannt waren.
Durch diese Erfahrungen, die Sie eigentlich in Asien gemacht haben, hat Ihr Denken eine Wende genommen. Daraus hat sich Ihre kosmische Philosophie geprägt; Sie breiten das in Ihren Opern aus. Könnte man das so sagen?
Ja, genau.
Und ist Ihre Musik dadurch mehr zu einem Medium zum Transport Ihrer Gedanken geworden?
Das wäre ein bißchen zu wenig. Es ist nicht nur der Transport meiner Gedanken, sondern es steckt viel drin, was ich selber gar nicht kenne, also noch selber gar nicht richtig deuten kann. Man ist mehr als nur einer, der seine Gedanken in Tonschwingungen umsetzt. Ich habe manchmal gesagt, daß ich mich wie ein Radio fühle, und ich müßte dafür sorgen, daß das Radio möglichst fein gestimmt ist, nicht verzerrt und nicht so viele Filter eingebaut sind, weil ständig wie kosmische Strahlen auf diesen Planeten einwirken und auf jeden Menschen einwirken, permanent. Die Frau als göttliche
Erfindung
Sie betrachten sich als Mittler, aber auf die Bühne bringen Sie doch etwas ziemlich Konkretes. Sie haben doch sehr konkrete Vorstellungen von dieser „Neuen Welt“?
Ja, Ja. Aber bis vor drei Jahren hatte ich doch keine Ahnung, was Urmütter sind oder was eine Mutter des Kosmos oder was matriarchalische Gesellschaften vor der christlichen Gesellschaft in Nordeuropa waren. Gelernt habe ich das, als ich Montag komponieren wollte, und daß Montag das Element Wasser hatte - das hatte ich auch selber entschieden, denn in allen Büchern finden Sie, daß es eigentlich die Erde ist, also Steine und Erde. Und ich habe gesagt, nein, Montag muß doch eigentlich Wasser sein, und es ist der Tag der Frau, und es ist der Tag der Neugeburt und der Tag der Wiedergeburt. Auf einmal entdeckte ich eine vollkommen neue Welt. Das hatte ich überhaupt nicht in meinem Kopf. Ich frage mich manchmal selber: Wie kommst Du eigentlich dazu? Das sind Verbindungen von Eingebungen und von Beschäftigungen. So ist der Dienstag für mich ebenso ein Rätsel. Ich fange jetzt an, mich mit Krieg zu beschäftigen, mit der Bedeutung von Krieg. Ich bin selber zwar im Krieg gewesen als Kind, aber ich weiß überhaupt nicht, was wirklich Krieg ist.
Die Urmutter, das ist ein Stichwort. Frauen sind für Sie wichtig, das weiß man aus Ihrer Biographie, das weiß man auch durch Montag.
Überhaupt die Frau als göttliche Erfindung.
Aber ist die Frau, wie sie in Ihrer Oper dargestellt ist, nicht etwas, wogegen die Frauen heute ankämpfen? Diese einseitige Gestalt der Frau, die mütterliche, nur gebende...
Ich hoffe nicht, daß sie dagegen ankämpfen. Nicht nur Gebende, nein, nein, die nimmt auch wieder zurück, die lehrt. Sie ist einfach ganz andes geformt, und zwar von der Fügung her anders geformt. Sie hat ein ganz anderes Gemüt, sie ist - wie in einem Magnetfeld - genau die Ergänzung zu einem Wesen, das mehr zur maskulinen Seite hin geformt ist. Das ist so wie bei der Elektrizität, da gibt es Plus und Minus, und zusammen macht es das Ganze erst möglich. Eine Frau kann sich im Grunde erst entwickeln, wenn sie weiß, daß sie geheim alles ist. Jeder von uns ist alles, aber in einem Leben haben wir uns entschieden, ein bestimmtes Geschlecht zu haben. Und dann wollen wir das auch leben und als Instrument benutzen. Man muß dieses Instrument sehr gut spielen und nicht dauernd was anderes spielen wollen. Wenn man also als Geige geboren ist, ist es Quatsch zu sagen, ich will aber ein Klavier sein.
Ich kann meine physische Rolle nicht verändern, aber ich kann auch ein Stück männlich sein, kreativ sein. Ich muß nicht mein ganzes Leben dieses Ur-Weibliche sein.
Was Sie meinen, ist das etwas amputierte Frauenbild...
Das kommt doch in der Oper sehr stark durch. Das empfinde ich so.
Überhaupt nicht. Zweiter Akt: Sobald der zweite Akt beginnt, ist die Frau schon diejenige, die lehrt, die die Musik lehrt. Wie im Donnerstag aus Licht ist es die Mutter, die ihm beibringt, erstensmal zu tanzen, zweitens zu singen, drittens den Namen von Sonne, Mond und Sterne, viertens bringt sie dem Kind die Sprache bei; während ihm der Vater erstens das Beten beibringt, zweitens das Theaterspielen, drittens das Schießen und viertens das Jagen. Wie das Geschlecht zum
Orchester wird
Die aufgeteilte Welt. Der Mann für die harten Sachen und die Frau für das Weiche.
Das ist doch wunderschön, so können wir uns ergänzen! Es gibt ja unglaublich viele musikalische Qualitäten in der Harmonie, in der Rhythmik, in der Melodik; die sind einfach das, was das Frauliche ist. Wenn ich an den Freitag komme, werden Sie sich wundern, wie das Geschlecht wirklich zu einem Orchester wird. Mit anderen Worten: man wechselt den Körper wie man ein Kostüm wechselt. Und das führt natürlich zu einer unglaublichen Verwirrung einerseits, zu einer Versuchung andererseits, die sehr zerstörerisch sein kann, andererseits unheimlich kreativ sein kann. Und es führt zu sehr viel Humor.
Noch einmal zur Oper. Sie schreiben das Libretto, sie inszenieren...
Nein, nein, ich inszeniere nicht, auf gar keinen Fall.
Sie sehen sich wirklich nur als der Komponist der Musik und nicht der anderen Vorgaben, wie der Farben, Bühnenbild...?
Ich gebe Suggestionen. In der Partitur steht zwar drin, daß man am Meer ist und daß es eine große Frau ist in einem Ritus. Aber wie die aussieht und was da gemacht wird, ist bei Gott nicht das, was ich daraus gemacht hätte, wenn ich allein gewesen wäre; und ich behaupte nicht, daß ich das kann. Das ist nicht mein Beruf. Dazu braucht man 30, 40 Jahre, bevor man Meister ist. Das war ja eine scheußliche Frau in Mailand. Das meiste hat überhaupt nicht funktioniert. Da stehen so doofe Pötte in der Landschaft, und keiner weiß, was das eigentlich soll. Das sind unheimlich primitive Realisationen erster Suggestionen, die aus der Partitur kommen. Und das muß sich eben historisch entwickeln. Das alte Gurutum
Nochmals zum Meister. Sie haben auch einmal an der Hochschule in Köln gelehrt und sich wieder von dieser Arbeit zurückgezogen. Vermissen Sie die Tätigkeit zu lehren, Meister zu sein?
Es hat sich verlagert. Seitdem habe ich - intensiver als je zuvor - die Interpreten, die mit mir zusammenarbeiten, die zum Teil ja auch kreativ begabt sind, wie Schüler in einem idealen Sinne geformt. Das, was ich eigentlich als den wesentlichen Beitrag meines Lebens betrachte, nämlich eine vollkommen neue musikalische Interpretationskunst - von der Komposition abgeleitet - zu ermöglichen und aufs i -Tüpfelchen jede Note genau zu betrachten und umzusetzen in Klang; meine gesamten 40 Jahre Erfahrung in Aufführungspraxis, einschließlich jetzt, wie man Beleuchtung macht -für jedes Konzert verschieden-, wie man sich kleidet, wie man sich bewegt usw., hat zu einer szenischen Musik geführt, die wir auch in Konzerten realisieren. Und das sind eigentlich meine Schüler, wenn Sie so wollen.
Ihnen schwebt das alte Gurutum vor, wo der Schüler von seinem Lehrer lernt und das weitergibt.
Das sowieso. Aber ich sage, es gibt immer weniger Bedarf an Komponisten. Eigentlich müßte ja Komponieren so sein, daß man permanent was zu tun hat, so wie ein Schuster früher hatte oder wie ein Schreiner hatte. Das ist vollkommen ausgestorben, keiner will von mir ein Stück. Man muß sich selbst sozusagen aufdrängen, damit man überhaupt eine Aufführung bekommt. Insofern finde ich, das muß sich verlagern. Jemand, der sich inspiriert fühlt, Komponist zu sein, der wird schon seinen Weg finden, der soll meine Partituren studieren und der soll vor allen Dingen bei der Aufführungspraxis dabei sein, dann wird er alles lernen. Wenn er sieht, wie die Partituren sich entwickeln in den Proben, dann wird er ein hohes Metier eines Tages finden, wenn er selber genügend Begabung hat und natürlich diesen unbändigen Willen, selber Komponist sein zu wollen.
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