: Beim Geld hört die Freundschaft auf
Glattes 4:0 beim Stuttgarter Lokalderby: Der VfB spielt nicht gegen, sondern mit den Kickers / Streit um die Einnahmen ■ Aus Stuttgart Dietrich Willier
„Diesmal geht's ums Überleben“, titelten die Zeitungen. Und: „Der VfB verschenkt nichts.“ Was früher so einfach zu entscheiden war - wer am Samstagnachmittag ins Neckarstadion auf den Wasen ging, der ging zum VfB -, jetzt teilt es die Gemüter dieser Stadt, Familien, Stammtische, Belegschaften. Das erste Lokalderby auf gleichem Niveau stand an; beim letzten spielten die Kickers noch nicht als Erstligist, und gewannen.
Seit zwei Wochen schon geht der verbale Clinch ums Prestige. VfB-Trainer Arie Haan: „Wir müssen siegen, damit unsere Fans weiter erhobenen Hauptes durch die Stadt gehen können.“ Die Fans aus der Unterstadt gegen die da oben. Und die Kickers, die Feinen aus Degerloch, wissen, daß sie in diesem Stadion kein Publikum mehr haben, sollte ihre Niederlage nicht wenigstens ehrenhaft sein.
Die Spaltung zwischen beiden Vereinen ist alt und tief. Das Stadion der einen, der Kickers, liegt im Wald auf der Höhe, und klettert man bei smogfreiem Wetter auf den Fernsehturm, dann sind weit unten, im Industriebezirk zwischen Cannstatt und Untertürkheim, die VfBler zu sehen. Oben hatte man Geld, und spielte Fußball, unten spielte man Fußball für Geld. Die unten spielten besser, aber die oben konnte man anfassen. War einer oben erst gut genug, ging er zur Karriere nach unten.
Seit dem Aufstieg der Kickers ist Schluß mit der freundlich -distanzierten Koexistenz. Auch hartgesottene Kickers-Fans verweigerten ganz einfach den schmählichen Gang in die Niederungen. Die Vereinspräsidenten, den baden -württembergischen Kultusminister Mayer-Vorfelder für den VFB, und Axel Dünnwald, verband ja vieles im Geiste, doch beim Geld - spätestens - hat auch der Geist ausgesorgt; die da unten weigern sich beharrlich mit denen von oben die Einnahme zu teilen.
Dabeisein aber, beim Derby der Unter- gegen die Oberstadt wollten sie alle. Fast 69.000 hatten schon am frühen Samstagnachmittag die wenigen Brücken über den Neckar verstopft. Dann ein Pfiff, und die Klassengesellschaft auf dem Rasen war wieder hergestellt. Da half es dem Vollmer Karl wenig, mit den Armen zu rudern und wie ein Böcklein mit dem Hintern zu stubsen, da konnte der Grabosch Bernd noch so energisch zum VfB-Tor stürmen, über den eigenen Strafraum kamen sie selten hinaus. Anders der VfB. Der tribbelte, flankte und schoß, man war motiviert, man wollte und mußte gewinnen.
Noch prallten die Schüsse der Klinsmann, Allgöwer, Sigurvinsson, Walter und Zietsch am geballten Gewühl vor dem Kickerstor ab, noch hatte der finnische Kickers-Torhüter Laukkanen kaum Hände und Beine genug, sich gegen das viele fliegende Leder zu wehren, da schritt auch schon Schiedsrichter Pauly ein. Ein Exempel, schien es, wollte er schaffen, mit Brachialgewalt gar versuchen, den Liga-Neuling doch noch zu motivieren. Wer da in der 18. Minute geschossen hatte, war nicht auszumachen, aber Laukkanen war weit über alle Köpfe gestiegen, und krallte sich das Leder - und da pfiff Pauly, ganz unverkennbar zeigte sein Arm zum Elfmeterpunkt. Das halbe Stadion, fassungslos, pfiff mit. Der Rest bejubelte das erste Tor. „Jetzt“, meint ein Fan hinter mir, „hilft nur noch die Blutgrätsche.“
Die kam nicht, es kam auch sonst nichts, Paulys Motivationsversuch war fehlgeschlagen, fromm und dichtgedrängt wie die Lämmlein blieben die Kickers in ihrer Hälfte, und sogar der Halbzeitpfiff kam viel zu spät. Mit einer geschickten Handbewegung hatte Laukkanen einen Eckball ins eigene Tor verwandelt, 2:0 und Pause.
Der Rest war gymnastischen Übungen der Zuschauer vorbehalten. Mexikanisch - darin ist man hier Meister brandete die Welle durch's Oval, zweimal, dreimal, dann Verzögerungen auf den beseren Plätzen der Tribüne, viermal und Tor. Fritz Walter - nein, nicht der von vor dreißig Jahren - 3:0.
Kaum jemand interessiert sich noch für die kleinen Idole weit unten auf dem Rasen. „Der Hotic fehlt“, schreit einer, doch die Woge rollt und rollt; 4:0, wieder durch Fritz Walter. Was, schon, fragt einer, und schreit nach dem nächsten Tor. Das kommt nur fast. Längst spielt der VfB nicht mehr gegen den heimatlichen Rivalen, sondern mit ihm oder ohne ihn.
Mayer-Vorfelder, der Maulheld beim Wettern gegen eine zweigeteilte Republik, wird wohl die Demarkationslinien in der eigenen Stadt nicht mehr verhindern können. Die von Oben bleiben wohl auch in Zukunft der Talentschuppen des VfB.
VFB: Immel - Karl Allgöwer - Zietsch, Buchwald - Schäfer (83.Schütterle), Gaudino (73.Strehmel), Hartmann, Katanec, Sigurvinsson - Klinsmann, Walter
KICKERS: Laukkanen - Schön - Elser, Stadler - Wolf, Hein (44.Ralf Allgöwer), Grabosch, Ossen, Schindler (73.Igler) Vollmer, Hjelm
TORE: 1:0 Karl Allgöwer (18./11m), 2:0 Laukkanen, 3:0 u. 4:0 Walter (47./79.)
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