: Land der begrenzten Möglichkeiten
Ein langer, dornenreicher Weg steht den Organisatoren der Fußball-Weltmeisterschaft 1994 in den USA bevor ■ Von Chris Strehlau
Sein erster Traum war, Pele für seine Mannschaft spielen zu sehen und damit die populärste Sportart der Welt auch in den Vereinigten Staaten von Amerika zu etablieren. Sein zweiter Traum war ihm noch wichtiger: seit er England 1967 verlassen hatte, um für den „soccer“ in den USA zu arbeiten, träumte Clive Toye davon, daß dieses Land einmal die Fußball -Weltmeisterschaft austrägt.
Toye war am 4.Juli 1988, ausgerechnet dem amerikanischen Nationalfeiertag, in der Schweiz, als die FIFA, die oberste Instanz der Fußballwelt, beschloß, die USA mit der Ausrichtung der Weltmeisterschaft 1994 zu beauftragen. Clive Toye war endlich am Ziel: „Es ist eine riesige Sache für uns.“
Im „Land der unbegrenzten Möglichkeiten“ soll in sechs Jahren ein Fußballfest inszeniert werden, das alle bisherigen WM-Turniere in den Schatten stellt und in neue Dimensionen beim Verkauf der Unterhaltungsware Fußball vorstößt. Endlich werden die USA Gelegenheit bekommen, sich von dem Makel zu befreien, zumindest in einer Hinsicht doch nur ein Land der begrenzten Möglichkeiten zu sein: im europäischen und südamerikanischen Volkssport Fußball. Da sind die Amerikaner trotz mancher verheißungsvoller, teils großspuriger Versuche nie so recht auf die Beine gekommen.
Vor mehr als zwanzig Jahren als „Spiel der Zukunft“ aufgebaut, konnte der amerikanische Soccer die Hoffnungen nicht erfüllen, professionell und Weltklasse zu werden. Die Versuche, einen geregelten und publikumswirksamen Spielbetrieb ins Leben zu rufen, wurden eher belächelt, die Liga als „Operettenliga“ verspottet, die nie eine seriöse Konkurrenz für nationale und sehr ernstgenommene Institutionen wie Football, Baseball oder Basketball werden konnte. 1975 versuchte Cosmos New York (im Besitz des Medienriesen Warner Communication) mit Hilfe solch berühmter Spieler wie Pele, Chinaglia und Beckenbauer den Fußball aus seinem Dornröschenschlaf zu wecken. Dies gelang zu Anfang recht gut, Cosmos erregte Aufsehen und zog riesige Zuschauermassen an. Wachsende Probleme des Managements sowie nach und nach zurückgehende Zuschauerzahlen und Werbeeinnahmen zwangen den Verein und die gesamte nordamerikanische Soccer League 1985 zur Aufgabe.
Die erste Revolution in der amerikanischen Fußballgeschichte war der 1:0-Sieg über England bei der WM 1950 in Brasilien. „Das war das erstemal, daß die Leute Notiz von uns nahmen“, meinte der damalige rechte Verteidiger Harry Keough. „Jeder dachte, daß das Spiel jetzt endlich populär werden würde.“ Es war jedoch gleichzeitig die erste und die letzte WM-Teilnahme der USA. Als Veranstalter der WM 1994 sind sie nun automatisch qualifiziert. Doch um gut abzuschneiden, bedarf es jetzt des Aufbaus einer professionellen und gutstrukturierten neuen Liga. Die Pläne dafür liegen vor.
„Das reichste Land der Welt darf kein weißer Fleck auf der Fußball-Landkarte bleiben“, sagte Hermann Neuberger, Präsident des Deutschen Fußball-Bundes und WM-Chef der FIFA. Doch gerade bei der Geldfrage muß die FIFA sich kritische Fragen gefallen lassen. Werner Fricker, deutschstämmiger Boß der United States Soccer Federation (USSF) garantierte der FIFA einen neuen Rekordgewinn. Dabei sollen allein aus dem Kartenverkauf 150 Millionen Mark in die Kassen fließen. Vor allem aber verspricht er sich Gewinne durch bisher nicht erreichte Werbeeinnahmen und das amerikanische Fernsehen.
Aber das Interesse der Fernsehanstalten an den Rechten für die Weltmeisterschaft 1994 ist laut 'New York Times‘ geringer als an der Tournee der Profi-Bowler. „Es mag das populärste Sportereignis der Welt sein“, meinte der Vize -Sportprogrammdirektor der amerikanischen Fernsehgesellschaft ABC, Robert Iger, „aber es ist wirklich keine attraktive Ware. Man kann es verkaufen, wie man will, aber es interessiert die Leute hier einfach nicht.“
„Unsere Mexiko-Erfahrungen waren nicht die besten“, sagt NBC-Sprecher Kevin Monaghan, „wir sind diesmal vorsichtiger.“ NBC zahlte vor zwei Jahren für ein Sieben -Spiele-Paket von der WM in Mexiko fünf Millionen Dollar. Die Einschaltquoten beim Finale Argentinien - Bundesrepublik wurden sogar von einer Zeichentricksendung für Kinder übertroffen. 15 Spiele aus Mexiko hatte sich der Sportkanal ESPN gesichert. Die ernüchternde Erkenntnis: die tägliche Fitneß-Sendung „Körper in Bewegung“ brachte weit mehr Zuschauer vor den Bildschirm. Jedes Fußball-WM-Finale werde, so Monaghan, von nahezu jedem beliebigen College-Basketball -Spiel ausgestochen. Zum mangelnden Interesse der amerikanischen Öffentlichkeit kommt die Skepsis der Sponsoren. Die Spielunterbrechungen sind für Werbespots nicht lang genug. Die Chefs der PR-Abteilungen werden sich zweimal überlegen, ob sie hier investieren.
Es wird sich erst herausstellen müssen, ob die mit dem „Ja“ zu den USA verbundenen WM-Träume realisiert werden können.
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