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Immer an der Wand lang

■ Das neunte Mitglied im CultureClub: Klaus Fricke, Lilienthal. Kulturarbeit am grünen Rande der Großstadt: CDU-Gemeinderat hört mit bei Musik-Krach zu „Haste Töne“ oder Rock-gegen-Rechts

Wer jemals mit einem Omnibus der Linie 30 in Richtung Falkenberg gefahren ist, dürfte genau am Borgfelder Landhaus einem Tarifphänomen begegnet sein. Der Zuschlagfahrkarte für Fahrten über die Bremer Landesgrenze hinaus. Ein gelbes Ortsschild kündet unübersehbar von

einem anderen Ort in einem anderen Bundesland. Lilienthal in Niedersachsen.

Von Buten-Bremern als ruhiger außerstädtischer Wohnort geschätzt, erlangte die Gemeinde auch bei Legionen von Wochenendspaziergängern einen beachtlichen Bekanntheitsgrad, führt der Jan-Reiners-Weg, einer der beliebtesten Tummelpfade für KniebundhosenträgerInnen und BenutzerInnen von Holland-Fahrrädern doch genau ins Zentrum dieser weitgehend vom Großstadttrubel verschonten Idylle.

Binnen-Bremer verbinden neben oben genanntem Spazierpfad mit Lilienthal gerade noch eine Eisdiele, ansonsten befürchten sie tiefe kulturelle Randständigkeit. Der Gemeinderat Lilienthal hätte sicherlich nichts gegen eine plattdeutsche Bauernbühne, die Oragnisation moderner Popkultur überläßt er aber gern anderen. Ein Jugendfreizeitheim machte sich auf, ein offensichtliches Be

dürfnisvakuum mit Kulturarbeit zu füllen. Das JFH Amtsgericht (das Gebäude war tatsächlich einmal der Ort von Aburteilungen) mit seinem sozialpädagogischen Leiter Klaus Fricke, 35, bemüht sich daher ständig, auch vor der eigenen niedersächsischen Haustür etwas auf die Beine zu stellen. Vor knapp drei Monaten lockte der Name Blaine Reininger von Tuxedomoon in die CDU-regierte Gemeinde. Was etablierten Veranstaltern aus der Hansestadt nicht gelang, war für Fricke und seine meist jugendlichen Mitarbeiter eine Sache von „Agenturen ansprechen, Angebote einholen, Anschluß-Gigs organisieren und Gelder beschaffen.“ Das nunmehr jährlich stattfindende Haste-Töne-Festival bildet dann auch den Veranstaltungshöhepunkt der Amtsgerichtsaktivitäten.

Etwa 20 Jugendliche, ein Zivildienstleistender und Supervisor Fricke sind der Kern dieser Kulturanbieter 'von unten‘, die ver

suchen, „Jugendkulturbedürf nisse vor Ort umzusetzen. Wenigstens einmal im Jahr wollen wir nicht nur provinziell werkeln“, so Fricke nicht ganz ohne Stolz, „und eine kleine Leistungsschau unserer Möglichkeiten bieten“. Eigennutz sei auch dabei, gibt er zu, und auch immer der Blick auf die Mehrheitsfraktion im Gemeinderat, dem gezeigt werden müsse, „daß es auch im Rahmen der Parteiarbeit sinnvoll und schmackhaft sein kann“, über die kommunalen Grenzen hinweg Besucher anzulocken.

Neben diesem Festival finden monatliche Konzertveranstaltungen lokaler Musikgruppen statt, bei denen die „Organisation einer solchen Sache im sozialpädagogischen Mittelpunkt steht. So können wir den Jugendlichen ein Erfolgserlebnis bieten, ihnen ein gewisses Maß an Professionalismus nahebringen und außerdem Techniken wie Plakatdruck oder Bühnentischlerei vermitteln.“

Ein weiteres Veranstaltungs

standbein ist im kinolosen Lilienthal der Filmboden. Hier werden regelmäßig Spielfilme vorgeführt, die von Live -Auftritten oder Info-Schauen eingerahmt werden. Von Greenpeace bis Amnesty International reicht die Spannbreite, doch auch hier bleibt ein vorsichtiges Schielen in Richtung Gemeinderat nicht aus.

„Ausgewogen muß ein Podium schon sein“, erklärt Fricke und weiß, wovon er spricht. Zum Antrag der Antifaschistischen Gruppe Lilienthal, ein Rock-gegen-Rechts-Festival veransalten zu dürfen, war er als Sachverständiger geladen. „Da nun mal die Selbstorganisation der Leute, die etwas aufziehen wollen“, gefördert werden müsse, sei „dieses Ding vom Rat genehmigt und gebilligt“ worden. Das Amtsgericht sei dabei offiziell nur eine Art Teilausrüster, „aber informell läuft da doch eine ganze Menge. Hauptsache ist, daß überhaupt etwas stattfindet“.

Jürgen Francke

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