: „Barbarische Behörden“
■ Bremer Professor erhebt schwere Vorwürfe wegen „Behördenwillkür“ gegenüber behinderten Kindern / Kämpferische Pflegeltern werden „finanziell ausgehungert“
Der Bremer Professor Georg Feuser nennt die Methoden „verbrecherisch“, ihre Begründungen „barbarisch“. Der grüne Bürgerschaftsabgeordnete Horst Frehe spricht von „behördlichen Willkürakten“ unter „fadenscheinigen Vorwänden“. Gemeint in beiden Fällen ist der Umgang von Bremer Behörden mit behinderten Kindern.
Seit einem Dreivierteljahr kämpft die Bremer Familie Fritsch mit verschiedenen Bremer Ämtern (die taz berichtete) um ihre beiden Pflegekinder Sandra (6) und Michaela (5). Beide Kinder sind schwer geistig behindert. Beide kamen im Alter von wenigen Wochen zu ihren Pflegeeltern. Zumindest Sandra soll ihre Pflegeltern jetzt verlieren und in einem Heim untergebracht werden, obwohl drei Fachgutachten verschiedener Professoren sich dafür ausgesprochen haben, Sandra in ihrer vertrauten Umgebung zu belassen. Einer der Gutachter, der Bremer Hochschullehrer und Behindertenpädagoge Georg Feuser: „Kein Kind ist so sehr auf die Zuwendung innerhalb seiner vertrauten Familie angewiesen wie ein behindertes Kind. Es wäre absolut verantwortungslos“, so der Hochschullehrer, „wenn Sandra durch Behör
denentscheidungen aus ihrer Familie gerissen würde.“
Feuser weiß, wovon er spricht. Nicht nur aus beruflicher Erfahrung, sondern auch aus praktischer Anschauung: Kurz vor Weihnachten wurde die kleine Sandra schon einmal von Behördenmitarbeitern aus dem Kindergarten abgeholt und ohne Wissen der Pflegeltern in ein Heim eingeliefert. Erst ein Vormundschaftsgericht verfügte damals, daß Sandra nach vierwöchigem Heimauf
enthalt zu ihren Pflegeeltern zurückkehren durfte. Georg Feuser: „Unter dem Schock leidet das Kind noch heute. Da ein sechsjähriges, behindertes Mädchen juristische Hintergründe nicht nachvollziehen kann, muß es die plötzliche Trennung als Verlassenwerden von seinen Eltern verstehen.“
Auf das „wohlverstandene Interesse des Kindes“ berufen sich allerdings auch die Bremer Behörden, die der Pflegefamilie Fritsch die Pflegeerlaubnis entzogen. Ihre Hauptargumente beginnen alle mit „über“: Die Familie sei überengagiert, überbesorgt, überzogen in ihren Ansprüchen. Die Integration der Pflegekinder in die Familie erschwere die spätere Ablösung der Pflegekinder aus dem Pflegeelternhaus. Für
die Fritschs haben die pädagogischen Überlegungen der Behörde allerdings inzwischen sehr handfeste finanzielle Folgen. Weil die Bremer Behörden ihr die Pflegeerlaubnis entzogen, kündigte das Berliner Sozialamt den Pflegevertrag für die gebürtige Berlinerin Sandra und stellte postwendend die Pflegesatzzahlungen ein. Eine Konsequenz, die der stellvertretende Leiter im Bremer Amt für soziale Dienste, Hans Leppin, zwar für rechtlich bedenklich hält, aber angeblich auch nicht ändern kann. Eine vorläufige Kostenübernahme kommt für Leppin nicht in Frage: „Das kann Bremen sich gar nicht leisten“. Konsequenz: Monatelang bekam die Familie keinen Pfen
nig, zahlte den Platz in der privaten Kindertagesstätte, Essen und Kleidung aus eigener Tasche. Zu den juristischen Auseinandersetzungen der Familie kamen finanzielle Probleme hinzu. Inzwischen ist die Familie fast soweit, die Kinder freiwillig in ein Heim abzugeben. Mutter Gaby Fritsch: „Wenn wir nicht bald wieder Zeit finden, uns pädagogisch um die Kinder zu kümmern, müssen wir aufgeben.“
K.S.
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