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Angemachter und aufgelöster Libero

Allerlei Herzlichkeiten beim 6:1 von Köln gegen Karlsruhe  ■  Aus Köln Bernd Müllender

Nur einer hatte nachher für den bös‘ gestürzten Tabellenführer aus Karlsruhe einige Nettigkeiten übrig, Kölns Trainer Christoph Daum. Er wollte in der Sprechstunde nach Spielende „ganz, ganz sehr an erster Stelle den KSC loben“. Die Seinen seien nämlich, so der Rasenanalytiker, „in gewisser Art und Weise in einen Spielrausch“ hineingeraten, weil der Gegner durch seine Offensive „einen offenen Schlagabtausch“ erst ermöglicht habe.

Dankbar war der Mann über Karlsruhes „Fußball mit Herz“. So nämlich spielt Karlsruhe, das las man in der vergangenen Woche begeistert in allen Zeitungen, angriffsfreudig, risikoreich, ohne taktisches Getue, mutig nach vorne, nach Herzenslust drauflos. „Fußball mit Herz“: Kann sowas im eiskalten Profisport überhaupt Erfolg haben? Natürlich nicht. Wie dieses Pumpengekicke überhaupt aussehen soll, ließ die Herde des trainierenden Schrittmachers Winni Schäfer in Müngersdorf zu keiner Minute erkennen.

Von Beginn an attackierten die blutrot gekleideten Kölner mit offensivem Kontrollfußball, und kaum ein Karlsruher faßte sich mal ein Herz zum Konter, erst recht nicht zum Spielaufbau, und so deutete sich der Infarkt schon frühzeitig an. Hintereinander trafen der Allofsquirl abseitsverdächtig, dann Povlsen mit krachendem Volley. Spiesens glückliches Solo zum 1:2 überraschte ihn selbst am meisten.

So blieb wenigstens Spannung, doch dramaturgisch sehr ungeschickt vernichtete Kölns Olaf Janßen gleich nach der Pause alle Nervenkitzel. Er sucht im Strafraum Gegner Bogdans breite Brust zum gutinszenierten Aufprall, was planmäßig gelingt und mit Elfmeter bewertet wird. Allofs trifft erneut, Torwart Famulla zeigt seinem Libero sehr herzlos den gestreckten Mittelfinger.

Kaum ist Karlsruhes Reservestürmer Raab eingewechselt, sozusagen als bypass auf dem Flügel, geht es in der Abwehr wieder drunter und drüber. Der Ball allerdings geht rein, und zwar mehrfach. Erst gelingt Janßen aus weiter Entfernung ein Schuß nach Art des ARD-Monatstores. Famulla mault wieder heftigst auf seinen nächsten ein, auf den Libero Bogdan. Er scheint ihn wirklich nicht zu mögen. Und gerade eine Minute später trifft Engels, über dessen Tore sich auch neutrale Betrachter einfach freuen müssen, weil kein anderer Profi hierzulande so herrlich seinen Jubel zu vollführen weiß.

Nur Famulla hat dafür keinen Sinn. Er beschimpft jetzt alle. Sein Trainer Schäfer, der hemdsärmlige Marathonmann an der Linie, setzt sich endgültig auf sein Stühlchen und zieht optisch klar den kürzeren gegenüber dem neuerdings in feinem Tuch daherkommenden und dezent gestikulierenden Kollegen Daum. Als Allofs als endgültiger Herzensbrecher nochmal trifft, hat auch Famulla die Lust am Schimpfen verloren und sucht Halt am Pfosten, während die Menschen auf den Sehplätzen standing ovations darbringen.

Nichts war zu sehen gewesen von den hochgelobten Mittelfädlern Harfoth und Spies, dem Herzstück des KSC. Glesius ist kein van Basten und scheiterte regelmäßig an Kohlers Stielike-Stil. Simmes, der Ex-Dortmunder, lief viel mit dem Ball herum, verengte so die Angriffsarterien und vergaß die Kugel immer wieder in rasendem Tempo. Und Bogdan hätte sich vor lauter Fehlern sicher schamvoll in Luft auflösen wollen.

Das scheint überhaupt die Lösung. Auf die taz-Frage an FC -Trainer Daum, ob denn jetzt Köln „Fußball mit Herz“ gespielt habe, gab es erst einen kurzen, grimmigen Blick des Begriffsschöpfers Schäfer, dann die Erklärung: Nun ja, seine Kölner seinen halt „ein Risiko eingegangen“, indem „wir den Libero aufgelöst haben“. Welch Opfer für einen Sieg. Der arme Paul Steiner.

KÖLN: Illgner - Keim (79.Schlipper), Steiner, Kohler Häßler, Janßen (79.Jensen), Allofs, Hönerbach, Engels, Görtz - Povlsen

KARLSRUHE: Famulla - Bogdan - Kreuzer, Süss - Metz, Spies, Harforth, Kastner, Hermann - Simmes, Glesius (57.Raab)

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