Rocard auf Stimmenfang in Neukaledonien

Frankreichs Premierminister Rocard gibt in Neukaledonien den Termin für das Referendum über die Zukunft der Pazifikinseln bekannt Aufruf zur Abstimmung aller Franzosen am 6. November / Nur die rechtsradikale „Front National“ ruft zur Ablehnung auf  ■  Aus Paris Beate Seel

Die französische Bevölkerung ist aufgerufen, am 6. November in einem Referendum über die Zukunft der Kolonie Neukaledonien abzustimmen. Dieses gab der französische Premierminister Michel Rocard am Sonntag in Noumea, der Hauptstadt Neukaledoniens, bekannt. Der Regierungschef, der am Freitag auf der Pazifikinsel eintraf, eröffnete mit seinem Besuch zugleich die Kampagne um die Stimmen der WählerInnen, die dem Abkommen zwischen der Regierung in Paris, der französisch-stämmigen Siedlerpartei RPCR und der kanakischen Befreiungsfront FLNKS ihren Segen geben sollen.

Rocard, der auf der Pazifikinsel sowohl vor Europäern als auch vor Kanaken gesprochen hat, stieß auf viel Sympathie, aber auch auf Skepsis auf beiden Seiten. Weniger RPCR -Anhänger als erwartet waren dem Appell ihres Führers Jaques Lafleur gefolgt, Rocard bei seiner Auftaktveranstaltung in Noumea einen herzlichen Empfang zu bereiten. Doch der Auftritt Rocards vor etwa 800 Europäern ist ein Novum; denn noch vor vier Monaten galten die französischen Sozialisten aus Paris in den Augen der Siedler als die Wurzel allen Übels. Bei dem Auftritt des Regierungschefs am Samstag in Piondimie, der größten Kanaken-Gemeinde an der Ostküste der Hauptinsel, zierten ein halbes Dutzend Fahnen der FLNKS in den Farben des unabhängigen Neukaledonien, Kanakys, und ein Transparent mit der Aufschrift „Es lebe das freie Kanaky“ den Versammlungsplatz. Und nicht alle Anwesenden mochten Beifall klatschen oder die „Marseillaise“ mit anstimmen. Trotz derlei Schönheitsfehlern am Rande wurde der Besuch Rocards auf Neukaledonien in der französischen Presse als großer Erfolg gefeiert.

Die Botschaft des Premierministers: Nach der Einigung mit Lafleur und Jean-Marie Tjibaou von der FLNKS sei nun die Zeit gekommen, das Abkommen in seinen vielfältigen wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Aspekten tatkräftig in die Tat umzusetzen, bis in zehn Jahren über die „Selbstbestimmung“ Neukaledoniens abgestimmt wird. Gemäß seinem „Traum“, daß Neukaledonien auch nach 1998 französisch bleibt, sprach sich der Regierungschef für eine „Entkolonialisierung im Rahmen der Institutionen der französischen Republik“ aus. Dieser Logik zufolge war es für Rocard auch kein Widerspruch, die Fahnen Kanakys und Frankreichs nebeneinander flattern zu sehen. Schließlich sei die Tricolore, so erklärte er den Kanaken in Piondimie, auch die Fahne der Menschenrechte und der Revolution von 1948, mit der die Sklaverei abgeschafft wurde, und unter der „eure Eltern vor 45 Jahren dem Ruf General de Gaulles in dem großen Kampf gegen den Nazismus, für Freiheit und Unabhängigkeit gefolgt sind“.

In der Kampagne für das Referendum wird es Rocard in erster Linie darauf ankommen, die Zahl der Stimmenthaltungen so weit wie möglich zu drücken. Die Regierung in Paris bezeichnet eine Beteiligung von 50Prozent als „ausgezeichnetes Ergebnis“. Einzig die rechtsradikale „Front National“ ruft bislang dazu auf, mit „Nein“ zu stimmen. Die traditionellen Rechtsparteien sind in der Bredouille. Die RPR von Jaques Chirac kann es sich schwerlich leisten, päpstlicher als der Papst zu sein, nachdem selbst ihre Freunde von der RPCR in Noumea dem Abkomen zugestimmt haben. Das Rechtsbündnis UDF hat bisher noch keine klare Position bezogen. Sein Sprecher Alain Lamassoure begrüßte zwar das Abkommen, stellte jedoch zugleich den Sinn eines Referendums in Frage. Für ihn ist die Abstimmung über die Zukunft Neukaledoniens vor allem ein Kräftemessen mit den Rechtsradikalen: Das Abkommen könne dazu führen, daß die „Front National“ sämtliche Neinstimmen auf sich ziehe, falls die UDF-RPR dazu aufrufen, dem Text zuzustimmen.