: Wasser aus der Wand schlagen
■ Von Hille Darjes, Schauspielerin der Shakespeare Company, gestern gegen siebzehn Uhr über ihren Einsatz als Gelegenheits-Chefredakteurin der taz-Bremen notiert
Anfrage von der taz, ob ich für einen Tag Chefredakteurin sein mag - vier Seiten Zeitung machen mit allem, was mir in den Kopf kommt, interessant. Als ich anrufe, höre ich aber, daß es mitnichten um das geht, was mir in den Kopf kommt, sondern um all das, was denn an diesem Tag Aufregendes passiert. Nachrichten gewichten, sortieren, mit Hintergrund versehen. Klar, auch interessant. 50 Jahre Hollywood ist schon in meinem Kopf - Reporter, Hektik, rasende Wettläufe mit der Zeit. Zynismus, herzbewegendes Engagement, leidenschaftliche Wortwechsel, Intrigen. Die taz gehört natürlich nicht in das Imperium des Bürgers Kane, also noch ein paar der wohlfeilen vorgefaßten Bilder - Nichtraucher, Fahrräder, das geläufige Du für jeden, der so aussieht, als ob er für Frauen und ge
gen Waldsterben ist.
Fahrräder stimmt - das merke ich, als ich an den Dobben trabe. Nichtraucher stimmt entschieden (zum Glück) nicht. Das Du fällt uns allen natürlich leicht, wir sind ja sowohl für als auch gegen. Aber Hollywood hat wieder mal gelogen, noch eine Illusion geht flöten: Hektik, rasende Reporter, nichts da - nichts da. Wir sind in Bremen, vier leere Seiten schreien einen stummen Schrei,
und nichts ist passiert. Aber außer mir ist überhaupt keiner alarmiert. Ruhig werden mögliche Themen hin und her gewendet, es gilt, das schwierige Gedenken zu beschreiben in dieser Woche, das niemand kann, und dann das, was „anfällt“
-die einzelnen Redakteure schwärmen aus zu so brisanten Pressekonferenzen wie „Gesundheitsreform bei der SPD“. Ich selber radle (das macht Spaß, als Landbewohnerin bin ich jah
relang nicht mehr durch eine Stadt geradelt) auf die tägliche Pressekonferenz der Polizei, wo eine kleine Schar Journalisten ebenso mühsam wie wir versucht, Wasser aus der Wand zu schlagen. „Ist der Ägypter von dem Autoschmuggel derselbe wie der von dem Taschendiebstahl aus der letzten Woche?“ Nein, ist er nicht. Das geschmuggelte Auto wurde bei einer Weihnachtsfeier gestohlen, ist aber nur „Spitze Eisberg“. Der Schmugglerring hat eine Chefin - „aus Ägypten?“ „Nein, aus Bremen.“ Der Pressepolizist kennt „die Länge der Freiheitsdauer“ nicht, weiß aber noch einen „Erschwernishintergrund“ zu berücksichtigen. Das war also nichts. (Die Journalisten, die Blutiges berichten müssen, sind auch nicht zu beneiden, die baden nicht im Blut, wie ich einfältig immer geglaubt hatte, die laufen immer mit der leeren Badewanne rum. )
Wieder „zu Hause“ wird weiter gesichtet, ruhig, bloß ich nicht. Inzwischen ist die Kulturabteilung auch da, aber es stellt sich heraus, daß Kultur an diesem Montag auch nicht existiert. Und ich soll sagen, wie man dieses Nichts veröffentlicht.
Zwischendurch wird erleichtert konstatiert, daß die Radio -Kollegen von der Rundschau sich auch so mühsam eichhörnchenmäßig durch den Tag knabbern. Aber ich weiß jetzt, warum ich beim Theater bin - die Wirklichkeit ist ein schwieriges Geschäft. Und es hat doch so viel Spaß gemacht, daß ich von meinen Rachegelüsten Abstand nehme, eine/n taz -Redakteur/in zu uns in eine Vorstellung einzuladen.
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