: Fähre ohne Halt
■ Fährunglück vor Lindwerder mit Todesopfer vor Gericht
Mit einem Fährunglück vor der Havelinsel Lindwerder im Juni vorigen Jahres, das ein Todesopfer forderte, befaßte sich gestern ein Moabiter Schöffengericht. Während der Fahrer eines Lkw sich retten konnte, starb der 59jährige Beifahrer eine Woche nach dem Unfall an Sauerstoffschäden. Das Verfahren wegen fahrlässiger Tötung gegen einen 67jährigen Fährmann wurde schließlich wegen geringer Schuld eingestellt, nachdem der Binnenschiffer zuvor in seiner ausführlichen Vernehmung eine Mitveranwortung eingeräumt hatte.
Zu dem Unglück war es gekommen, als der Lkw mit Anhänger von der Insel auf die statt beidseitig nur an einem Pfahl gesicherte Fähre auffahren wollte. Der Fährmann schilderte, daß der Lkw-Fahrer bei Auffahrt auf die Fähre plötzlich gebremst habe. Dabei sei das Schiff ins Schaukeln geraten, und der Mann müsse wohl in Panik den Rückwärtsgang eingelegt haben. Selber in großem Schrecken habe er, sagte der Fährmann, das Verbindungstau zwischen Land und Fähre, das er in beiden Händen gehalten hatte, fallenlassen. Er habe den Fahrer gezwungen, er solle vorwärts fahren. Währenddessen habe sich die Öse aus dem am Boden liegenden Haken gelöst. Der Lkw habe die Fähre durch seine Rückwärtsfahrt unter sich weg nach vorne geschoben und sei versunken.
Der Vorsitzende Richter erläuterte, daß eine Einstellung bei so gravierenden Fällen mit dem Vorwurf, den Tod eines Menschen verschuldet zu haben, nur unter ganz besonderen Umständen in Frage komme. Hier handele es sich um eine Verkettung unglücklicher Umstände, wobei den Angeklagten im Verhältnis zu den von ihm nicht zu erwartenden Mängeln nur ein geringes Verschulden treffe.
Als einen wesentlichen Mangel am Lkw selbst bezeichnete es der Richter, daß sich die Beifahrertür des versunkenen Fahrzeugs bei Rettungsversuchen zunächst nicht öffnen ließ, weil sie wegen eines defekten Schlosses durch einen Ledergurt fest mit dem Innenraum verbunden gewesen sei. Weiterhin sei die Fähre-Land-Verbindung mit einem durch seine weite Öffnung derart mangelhaften Haken hergestellt worden, daß es nach Worten des Richters erstaune, daß nicht schon eher etwas passiert sei.
Wie der Angeklagte selbst erklärt hatte, war der Haken und auch der wegen seiner Höhe von mehr als zwei Metern für ihn unerreichbare zweite Vertäuungspfahl von den Vertretern der Schiffsuntersuchunsstelle aus Hamburg bei Kontrollen nicht beanstandet worden. Schließlich hätten die Lkw-Fahrer auch seine Anweisung nicht befolgt.
dpa
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