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Eine müde Mark für bankrotte Fahrrad-Firma

Britisches Unternehmen übernimmt Kalkhoff-Werke in Cloppenburg / Mit Billig-Fahrrädern sind keine Geschäfte mehr zu machen / Kleine Krafträder sind out  ■  Von Michael Weisfeld

Der Kaufvertrag soll noch in dieser Woche unterschrieben werden: Die „Neuen Kalkhoff-Werke“, bisher im Besitz niedersächsischer Geschäftsleute und seit zwei Wochen in Konkurs, werden dann in internationale Hände übergegangen sein. Neue Besitzerin ist die „Derby International Inc.“. Der Kaufpreis: eine Mark. Dafür erwirbt Derby das Werk in Cloppenburg - aber auch dessen Schulden.

„Derby International“ sitzt in London und hat einen Briefkasten in Luxemburg. Sie ist an mehreren Fahrradfabriken in Europa und USA beteiligt. Nobelstes Pferd im Derby-Stall: die Raleigh-Fahrradwerke in Nottingham. Mit dem Kalkhoff- Erwerb setzt Raleigh einen großen Fuß in den bundesdeutschen Markt.

Die Kalkhoff-Werke gingen schon einmal in Konkurs, nämlich Ende 1985. Damals gehörte der Betrieb noch der Gründerfamilie Kalkhoff, die 1919 das Werk in der erzkatholischen, wirtschaftlich gottverlassenen Ecke Niedersachsens aufgemacht hatte. Mit rund 1.000 Beschäftigten war Kalkhoff noch zu Anfang der achtziger Jahre weitaus größter Arbeitgeber der Stadt. Aber die Kalkhoffs hatten sich auf einem Marktsegment festgefahren, wo schon damals keine Gewinne mehr zu machen waren: Massenproduktion von billigen „Supermarkt-Fahrrädern“. Der Trend aber ging zu den besseren Qualitäten.

Geschäftsleute aus der weiteren Umgebung investierten damals in die Nachfolgegesellschaft. Den Löwenanteil brachte die „Gesellschaft für Beteiligungen an mittelständischen Unternehmen“ auf. Mehr als drei Millionen Mark kamen von dem millionenschweren Osnabrücker Fensterputzer Piepenbrock. Dessen Anteil übernahm kurz darauf der südoldenburgische „Eierkönig“ Kathmann. Der wurde im Sommer 1986 wegen Steuerhinterziehung in U-Haft genommen und verstarb bei einem Ausbruchsversuch aus dem Oldenburger Gefängnis. Seine Erben, die über die Hypo-Finanz in Chur (Schweiz) einen Anteil von 3,5 Millionen Mark an der „Neuen Kalkhoff“ halten, gehören zu den Verlierern der neuerlichen Pleite.

Die neue Gesellschaft war mit rund zwölf Millionen Mark ausgestattet. Dazu kamen „Geschenke“ der Stadt Cloppenburg, die Firmengrundstücke zu überhöhten Preisen kaufte. Am wichtigsten aber: Belegschaft und IG Metall akzeptierten Billig-Tarif-Bedingungen. Der Betriebsrat verzichtete schon vor der Betriebsrübernahme auf die 38,5-Stunden-Woche, die damals bundesweit erstritten worden war. Überstunden wurden ohne Zuschläge geleistet, das Weihnachtsgeld gestrichen. Die 650 ArbeiterInnen ließen sich nötigen, ihre Verträge von sich aus fristlos zu kündigen. Von der „Neuen Kalkhoff“ wieder eingestellt wurden nur 400.

Nun hat das alles nichts genützt. Zwar versuchte die „Neue Kalkhoff“ sofort, Anschluß an den Markt für höherwertige Fahrräder zu bekommen. Ihre Nobelmarke: „Le Mans“ wird für etwa 700 Mark in den Läden angeboten und orientiert sich am Geschmack der Leute, die bewußt und gerne Fahrrad fahren. Aber auf diesem Marktsegment hatten sich inzwischen andere Anbieter eingenistet, denen nicht - wie Kalkhoff - das Stigma des Billigproduzenten anhing. Und minderwertige Fahrräder produziert Kalkhoff nach wie vor. Unter 30 verschiedenen Namen kommen sie in die Supermärkte und Kaufhäuser. „Es ist eben ein weiter Weg vom Supermarkt zurück zum gehobenen Fachhandel“, sagte dazu einer der Finanziers zur taz. Unterwegs ist der „Neuen Kalkhoff“ die Puste ausgegangen: „Die zwölf Millionen Grundkapital sind weg“, stellt der gleiche Finanzier fest. Allein in den ersten sechs Monaten des laufenden Jahres sollen 2,6 Millionen Mark Verluste aufgelaufen sein.

Das passierte in einer Zeit, als andere Firmen gute Geschäfte machten. Denn der Fahrradmarkt ist stabil und weckt die schönsten Hoffnungen, für die Wirtschaft ebenso wie für alternative Verkehrsplaner und Umweltschützer. Zwar ist der Mengen-Boom zurückgegangen: Als die Bundesdeutschen zu Anfang der achtziger Jahre das Fahrrad neu entdeckten, wurden 4,6 Millionen Fahrräder pro Jahr verkauft. 1987 war es eine Million weniger, und auch für das laufende Jahr wird mit etwa dreieinhalb Millionen verkauften Fahrrädern gerechnen. Aber: Die Umsatzzahlen in Mark und Pfennig sind dennoch weiter angestiegen, weil die Leute bessere und teurere Fahrräder kaufen.

Leidtragende dieser Entwicklung sind die Mofa- Hersteller. Diese allerkleinsten Krafträder sind besonders bei Jugendliche out, berichtet Walter Massek vom Verband der Fahrrad- und Motorrad-Industrie. Lieber kaufen sich die jungen Leute zwei teure Fahrräder: Ein Rennrad für den Asphalt und ein „Mountain-Bike“ für rauhes Gelände. Ein „Mountain-Bike“, eine Art BMX-Rad für Erwachsene, kostet in der Regel mehr als 1.000 Mark. Dennoch machen diese Räder am Umsatz der diesjährigen Saison rund 15 Prozent aus. Sie taugen nicht nur für Feldwege, sondern auch für die vielen Holper-Strecken in den Städten. „Damit kann man sogar die schlechten Bremer Fahrradwege schmerzfrei bewältigen“, sagt Horst Hahn Klöckner, Bundesgeschäftsführer des „Allgemeinen Deutschen Fahrradclubs“ (ADFC). Der ADEFC hält den Trend zum schönen, teuren Fahrrad für ungebrochen - nicht nur bei Jugendlichen, sondern auch bei gut verdienenden, erwachsenen Autofahrern. Allerdings gibt es eine Hemmschwelle: Ein Angestellter höheren Rangs radelt nicht so leicht am Pförtner vorbei, der ihn sonst nur am Steuer seines Audi begrüßt. Für solche Leute seien Radtouren am Wochenende oft die „Einstiegsdroge“, meint Hahn-Klöckner. Aber: Ob Ausflugs -oder Gebrauchsfahrzeug, in jedem Fall verlangen diese Kunden ein chices und zuverlässiges Rad.

Als Kalkhoff in die Pleite radelte, erblühte auf der ehemaligen Bremer Schiffswerft AG Weser eine neue Pflanze: Die „Fahrradmanufaktur“ des Verbandes selbstverwalteter Fahrradläden. Sie begann zu Anfang des Jahres das „Bremer Rad“ zu montieren und an die 60 alternativen Fahrradläden auszuliefern. Mit fünf MonteurInnen stieg die Manufaktur in die Saison ein, zu Spitzenzeiten mußte sie acht beschäftigen. Sie konnte die Nachfrage der Läden nur knapp befriedigen. Ihr Erfolgsgeheimnis: Das Bremer Rad wurde nach den Ideen der „Basis“, gestaltet, also der alternativen FahrradhändlerInnen. Das garantierte dem Modell die Nähe zum Trend.

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