: Hypnotisierende Dissonanzen
■ Der bulgarische Frauenchor „Le Mystere des Voix Bulgares“ bringt heute abend in der Schauburg durch Kehle und Nase die Filigranarbeit seiner Stimmen zu Gehör
Die Ethno-Pop-Welle feiert Triumphe: Deutschlands Jugend tanzt zu Ofra Haza und Mory Kante, und clevere Plattenmacher und Konzertveranstalter entdecken immer neue Nischen, aus denen sie exotische Musikstile auf einen Markt zaubern, der eben ab und zu einen bunten Farbtupfer benötigt, um seine öde Langeweile mühevoll zu übertünchen.
Das Zauberwort heißt Weltmu
sik - ein Begriff, so waberig und diffus, daß er sich hervorragend auf alles und jedes anwenden läßt, nur fremd muß es sein.
Und alle stimmen sie ein, die Trendsucher und - macher von Spiegel über Stern bis zur Neuen Revue, immer vorneweg am musikalischen Puls der Zeit.
Ärgerlich daran ist nicht so sehr, was da trendgeil an die Oberfläche gespült wird, sondern wie das passiert.
Denn all diese Musik hat es auch schon gegeben, bevor findige Promo-Agenten ihre Nase in die verschiedenen Himmelsrichtungen steckten, um auch aus dem hinterletzten Berberdorf noch etwas in die übersättigten Ohren zu verpflanzen.
Das funktioniert wie im Supermarkt: Nicht auf den Inhalt kommt es an, sondern ausschließlich auf die Verpackung. Und wer etwas auf sich hält, der weiß schon, wo er was einzukaufen hat. Ob nun Klamotten oder Musik - das Firmenschild muß stimmen.
Wie gut, daß es da noch immer Musik gibt, die sich gegen das marktgerechte Servieren sperrt, die in kompromißloser Radikali
tät jedem aufgesetzten Label Hohn spricht, wie Le Mystere des Voix Bulgares: 24 Sängerinnen und vier Instrumentalisten - gekleidet in die volkstümlichen Trachten ihres Landes -, die seit Jahrzehnten nichts anderes tun als die traditionellen Lieder ihres Landes zu singen, inzwischen angereichert um so manche zeitgenössische Variation. Da bedarf es keines Effekts, keiner modischen Arrangements: Die Musik bläst einem jeden Gedanken an seichtes Pop-Gedudel aus dem Hirn.
Tausend Jahre Geschichte sprechen aus diesen Liedern, deren mystische Kraft durch die meisterliche Technik ihrer Interpretinnen oft fast schmerzhaft wirkt. Da gibt es keine Chromatik, keine Temperierung und keine Form-oder Rhythmus -Hierarchie: Die Spannung entsteht durch die Ungleichmäßigkeit.
Die Töne der Bulgarinnen entstehen in Kehle und Nase, nutzen die Oberton-Resonanzen und erhalten so eine Schärfe, die durch sich ständig verschiebende harmonische Muster noch verstärkt wird. Ob solistisch oder im Chor: Immer ist es eine Filigranarbeit der Stimmen. Das Geheimnis dieser bulgarischen Stimmen bezieht seine Faszination sich auch aus der Fremdartigkeit der Gesänge, die sich gegen jede Vereinnahmung oder Trivialisierung sperren. Sie werden auch dann immer noch so schwer verdaulich klingen, wenn andere Protagonisten der sogenannten Weltmusik längst vergessen sind.
JüS
Schauburg, 20.30 Uhr.
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