: Dreadlocks und Kohlköpfe
Bücher zur Fußball-Europameisterschaft 1988 ■ WIR LASSEN LESEN
Bücher über große Sportereignisse wie Olympische Spiele, Fußballwelt- oder Europameisterschaften leiden oft darunter, daß gründliche Überarbeitung und gewissenhafte Korrektur dem Streben, der Konkurrenz um eine Nasenlänge vorauszusein, zum Opfer fallen. Was sich allerdings das von der Redaktion des 'Kicker‘ gestaltete Druckwerk „Fußballeuropameisterschaft 88“ leistet, treibt selbst hartgesottenen Konsumenten von Fußball-Literatur das Entsetzen in die Haarspitzen. Gut ein Viertel der mehr als 80 Bildunterschriften ist schlicht falsch. Da wird Ruud Gullit munter mit Frank Rijkaard verwechselt, drei verschiedene Italiener werden auf derselben Seite als Giuseppe Bergomi identifiziert - Bergomi selbst ist nicht darunter -, und bei den sowjetischen Spielern geht es vollends drunter und drüber. Auch in der Nomenklatur der recht hausbackenen Texte wimmelt es von Fehlern, ein Ärgernis, das der hübschen und großzügigen, auf ganz- oder doppelseitige Fotos ausgerichteten Aufmachung ein Gutteil ihrer Wirkung raubt.
Sorgfältiger produziert sind zwei andere Werke, die das Auge des Betrachters ebenfalls mit großformatigen Fotos zu erfreuen trachten. Da fliegen die Dreadlocks des Holländers Gullit, da leuchten die bemalten Gesichter der Fans aller vertretenen Nationen, da werden die Sensenmänner und Trikotreißer erbarmungslos enttarnt, die italienischen Kicker führen vor, wie fotogen sie sind, und auch die Trainer, die ja diesmal mit besonders unleidlichen Exemplaren vertreten waren, dürfen noch einmal stirnrunzelnd und unheilwitternd in der Gegend herumgrummeln. „Fußball-EM '88 Deutschland“, herausgegeben von Harry Valerien, beschränkt sich neben dem Pflichtteil - Vorstellung der Teams, Geschichte der EM, Statistiken, Fans - auf ausgezeichnet geschriebene Spielberichte, angereichert mit Anekdoten, Randbeobachtungen und Zitaten, kann es aber wie schon bei der letzten WM unseligerweise auch diesmal nicht lassen, eine Sprechblase von Helmut Kohl an den Anfang zu stellen.
Das Dieter Kürten-Buch ist von ähnlicher Qualität, nur etwas phantasievoller und facettenreicher. Ein kurzer Exkurs zur Vermarktung, ein Psychogramm des Teamchefs, Stimmen zu jedem Spiel ergänzen die Reportagen, beeindruckend aber ist vor allem der niedrige Preis. Der Kanzler ist hier angenehmerweise lediglich mit einem Foto, und das erst auf Seite 34, vertreten. Auch im Kicker-Buch darf der Kohl nicht fehlen. Gleich am Anfang wird er bei der Begrüßung des deutschen Teams vor dem Eröffnungsspiel im Gefolge des Bundespräsidenten ins Bild gesetzt, im Gegensatz zu diesem aber nicht namentlich genannt. Höchstwahrscheinlich hat man ihn für Giuseppe Bergomi gehalten.
Matti
Dieter Kürten: FUSSBALL EM 88 in Deutschland, Verlag Naumann und Göbel, 160 Seiten, DM 14,95.
Harry Valerien: FUSSBALL EM '88 Deutschland, Südwest Verlag, 180 Seiten DM 32.
Kicker: Fußball-Europameisterschaft 88, Copress Verlag, 176 Seiten, DM 36.-.
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