: Tiefflugorgie durch Herbstmanöver in Sicht
Trotz Flugschaukatastrophe: US-Soldaten landen heute zum diesjährigen Reforger Manöver in Ramstein / Bundeswehr beginnt morgen mit Heeresübung „Landesverteidigung 88“ / Manöver der französischen Armee ab Wochenende ■ Aus Stuttgart Dietrich Willier
Die letzten Toten sind noch nicht identifiziert, an den Folgen des militärischen Ramstein-Wahns wird noch immer gestorben. Auch das Gewissen von Trauerrednern bleibt auf den Medieneffekt und den Tag beschränkt. Seit heute landen sie wieder. Reforger, die „Rückkehr der amerikanischen Streitkräfte nach Deutschland“, das alljährliche Kriegsspiel gegen den imaginären Feind aus dem Osten, hat begonnen.
In den Stuttgarter Kelley-Barracks ist man stolz darauf, eines der beiden Corps bei dem Manöver zu sein, stolz auf die siebzigjährige Geschichte der Einheit und stolz vor allem auf das Emblem und Markenzeichen des 7.Corps; den „Jayhawks“. Das Symbol der Truppe stellt eine Art Paradiesvogel dar, mit riesigen Krallen und militärischer Kopfbedeckung - eine Kreuzung aus geschwätzigem Eichelhäher und angriffslustigem Falken, heißt es dazu. „Jayhawks“ wurden in den 50er Jahren umherstreunende Banden und marodierende Heckenschützen an der Grenze zwischen Kansas und Missouri genannt.
Die Jayhawks werden heute in Ramstein landen, die Zahl der Tiefflüge soll an Wochenenden auf zehn und die der Nachtflüge auf 70 begrenzt bleiben. Wieviel Tiefflugeinsätze insgesamt geflogen werden, will General Watts, der Oberkommandierende des 7.US-Corps, nicht verraten, vom extensiven Einsatz der Kampfflugzeuge sei aber auszugehen.
Bereits seit dem Wochenende wird aufmarschiert. 125.000 Soldaten, darunter 103.000 Amerikaner, 16.500 Bundesrepublikaner, über 5.000 Kanadier, aber auch je eine Hundertschaft Franzosen und Dänen, befinden sich ab dem kommenden Wochenende in den Stellungen des Reforger-Manövers „Certain Challenge“ (Sichere Herausforderung). „Cold Fire“, ein Luftmanöver im Rahmen von Reforger, läuft seit heute und geht bis zum 22.September. 850 zusätzliche Kampfflugzeuge und 630 Hubschrauber werden in dieser Zeit den Himmel zwischen Fulda, Nürnberg, Ulm, Stuttgart und Hanau durchkreuzen.
Doch nicht genug, ab morgen probt eine Woche lang die Bundeswehr in Rheinland-Pfalz die Heeresübung „Landesverteidigung 88“, und ebenfalls ab dem kommenden Wochenende üben die französischen Streitkräfte militärische „Alliance“. Seit Jahren schon haben zahlreiche Bauern den landwirtschaftlichen Anbau in Manövergebieten aufgegeben das Militär zahlt besser als die EG.
Für seine Ankündigung der „Rückkehr der amerikanischen Truppen nach Deutschland“ vor der Presse hat sich Generalleutnant Ronald Watts, etwas Besonderes einfallen lassen: Es ist der erste September, Antikriegstag. Kriegsspiel nennt der Vietnamkämpfer General Watts die Reforger-Manöver, in einer Art „nationalem, sportlichen Meisterschaftsspiel“ sollen das 5.und das 6.Corps, Blau gegen Gold, Abschreckung und „den politischen Willen der USA realistisch erproben“. Am Morgen erst waren unter großem Medientusch die ersten neun Pershing-Raketen von ihrem Stützpunkt auf der Heilbronner Waldheide abgezogen worden.
„Certain Challenge“ - der Name ist längst mit einer explodierenden Raumfähre besetzt. Ob es denn bei dem kommenden Manöver mehr um die Sicherheit oder die Herausforderung gehe, will ein Journalist wissen, ob man sich nach der Katastrophe von Ramstein und den zahlreichen Tieffliegerabstürzen dieses Jahres Gedanken zu erhöhten Sicherheitsmaßnahmen gemacht habe? Ramstein sei kein Grund für irgendwelche Änderungen, kontert der General, er sei da einer Ansicht mit dem amerikanischen Verteidigungsministerium und Nato-Oberbefehlshaber General Galvin. Im übrigen werde man versuchen, mit der deutschen Zivilbevölkerung gutnachbarschaftliche Beziehungen zu erhalten, des „Potentials an Manöverschäden, Unfällen und Unannehmlichkeiten für die Bürger Bayerns und Baden -Württembergs sei man sich voll bewußt.
Teams aus amerikanischen Militärpolizisten und der örtlichen Polizei werden die Sicherung des Manövers, Verkehrsregelung und die Aufnahme von Flurschäden gemeinsam übernehmen. Eigens für das Manöver, meint General Watts, werde man noch die Bremsen der 15.000 Radpanzer und über 8.000 Kettenfahrzeuge überprüfen.
Seit Monaten schon wird die Öffentlichkeit in den Manövergebieten auf das „Kriegsspiel mit konventionellen Waffen“ vorbereitet. Hunderte von Bürgermeistern betroffener Gemeinden wurden vom Pressestab des 7.US-Corps gebrieft, während des Manövers hält ein Pressebüro in Schwäbisch Hall Vorschläge und Ideen zur journalistischen Begleitung des Manövers bereit. Begleitet von Presseoffizieren werden Journalisten an die gewünschten Einsatzorte gekarrt.
Am 22.September wird Reforger zu Ende sein. Letzte Übung ist die „Evakuierung von Übungsverletzten auf dem Luftweg von Nürnberg nach England und den USA“ durch das 7.US -Sanitätskommando. Dann wird sich erwiesen haben, ob General Watts seine „Challenge“ bestanden hat. Sein Vorgänger hatte die Probe bestanden. General Galvin war nach Stuttgart Einsatzkommandant der US-Armee in Mittelamerika und ist heute Nato-Oberbefehlshaber.
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