: Kanada entging Seveso-Katastrophe
In Kanada brannten 80.000 Liter PCB / 3.500 Menschen seit zwei Wochen evakuiert / Brandstifter gefaßt ■ Von Benno Pilardeaux
Montreal / Berlin (taz) - Zwei Wochen, nachdem die kanadische Gemeinde Saint-Basile-le-Grand nur knapp einer Seveso-Katastrophe entgangen war, sind noch immer mehrere tausend Einwohner evakuiert. Das bestätigte der Umweltminister der Provinz Quebec, Pierre Sourdis, in einem Gespräch mit der taz.
In der Nacht vom 23. auf den 24.August war eine Lagerhalle mit 80.000 Litern polychlorbiphenylhaltigem Öl von einem Brandstifter angesteckt worden. Bei der Verbrennung von Polychlorbiphenyl (PCB) entsteht das hochgiftige und seit der Katastrophe in Seveso bekannte Dioxin. Da der Brand nach drei Stunden gelöscht werden konnte, wurde das Schlimmste verhindert. Trotzdem evakuierten die Behörden sofort 3.500 Menschen, die in der unmittelbaren Umgebung der Halle wohnte. Wie schnell die Evakuierten jetzt zurückkehren können, hänge allerdings vom Ergebnis der chemischen Analysen von Luft und Wasser ab, so der Minister weiter. „Sicherheitshalber“ habe man inzwischen auch einen Berater der Weltgesundheitsorganisation sowie zwei Spezialärzte aus New York in das Katastrophengebiet 20 Kilometer südwestlich von Montreal gerufen.
Der Verzehr von Obst und Gemüse aus der Region wurde verboten. Die Bauern mußten die laufende Ernte abbrechen. Eine Entschädigung für die Ernteausfälle ist nach Sourdis Worten bereits geplant.
Der Brand hat gezeigt, daß die kanadischen Behörden auf solche Katastrophen völlig unvorbereitet waren. Es gibt keinen Katastrophenplan für ein Unglück dieser Art. Die Evakuierung der Bevölkerung verlief nach Augenzeugenberichten anfänglich völlig chaotisch. Widersprüchliche Informationen versetzten die Menschen in Angst und Schrecken.
Die Umweltminister von Kanada und der Provinz Quebec haben inzwischen entschieden, eine Liste mit allen Firmen anzulegen, die PCB lagern. Davon gibt es mehr als 1.500 im Land. Außerdem soll es schärfere Sicherheitsbestimmungen für die Lagerung von PCB geben.
PCB wird in der Industrie als Kühlmittel für Transformatoren eingesetzt. Die gefahrlose Entsorgung von PCB ist in Kanada nur in einer Fabrik in Alberta möglich. Der verdächtigte Brandstifter Andre Chapleau hat inzwischen gestanden, mit Leuchtpistolen den Brand gelegt, danach die Polizei alarmiert und schließlich den herbeigeeilten Journalisten Fragen beantwortet zu haben. Das Gericht der Provinz Quebec hat gegen Chapleau inzwischen Anklage erhoben.
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