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PRRR - KLIRR - TÜRÜLÜ

■ Wenn Computer Musik machen

E 88 ist für Überraschungen gut: Zum Beispiel, wenn Schüler der 6.Klasse der Paul-Klee-Schule zu Tempelhof bei Berlin eigene Kompositionen „in Echtzeit auf dem UPIC-System“ vorführen.

Was das genau ist, wie es funktioniert, wer es warum und wozu erfunden hat, wird bei den spärlichen Besuchern von „Berlin - Audiostatt Europa“ zwar nicht ausdrücklich als bekannt vorausgesetzt, große Lust, es ihnen zu erklären, hat aber von den Veranstaltern des Elektronischen Studios der TU Berlin niemand, es wird also dem typisch legeren Reformpädagogen überlassen, aber der kommt angesichts der komplizierten Computertechnik mit den verschiedenen Monitoren, Mischpulten und den ungezählten farbigen Druck und Drehknöpfen auch schon durcheinander.

„Also, ich suche oder finde jetzt mal einen Klang, zum Beispiel den Klang 21, den vorher schon jemand eingegeben hat, hier auf dem Monitor kann man sehen, wie er aussieht, und nun wollen wir hören, wir er klingt - Biüü - aha, es ist ein weicher Klang, jetzt nehmen wir noch den Klang 29 - Tpe

-das ist ein scharfer Klang, und jetzt kann ich noch die Lautstärke einstellen, von ganz leise ganz laut werdend, oder so, dann brauche ich nur noch die Zeit zu bestimmen, hier jetzt mal 16 Sekunden, ziemlich kurz. Das ist dann meine Komposition. Wie die Kinder ihre Komposition 'Ach ja!‘ gemacht haben und wie 1978 der Schöpfer dieser Musik Iannis Xenakis die allererste Komposition 'Mycenes Alpha‘ gemacht hat, wozu er allerdings noch Wochen gebraucht hat, weil die Rechner damals noch so langsam rechneten. Bei dieser Komposition, die wir jetzt hören, müssen sie sich riesige Lautsprecher verstreut zwischen den antiken Ruinen der Mykene vorstellen.“

Das erfordert zwar viel Phantasie in der spießigen, nach Bohnerwachs stinkenden Aula, die Musik hat aber etwas Mystisches, aber eigentlich ist es keine Musik, dazu fehlt Melodie und Takt und der Musiker mit seinem Musikinstrument. Im Grunde ist es nur eine Tonbandwiedergabe synthetisch erzeugter Töne, Klänge und Geräusche.

Einzeln als Effekte bei psychedelischen Bands oder im Jazz mit Moog-Synthesizern hat man das alles schon gehört und jeweils als passend oder nicht empfunden, ungewohnt an all dem ist, daß die ganze Komposition aus solcher Art Wunder aus der Welt der Technik besteht: Aus hohen, hellen, klaren Tönen, aus tiefem, alles zum Vibrieren bringendem Dröhnen, aus sphärischen Schwingungen, die vom erwarteten Challenger -Kick gesprengt werden oder sich allmählich verwandeln in verschlungenes Gurgeln.

Das Alles ist eine Weile lang interessant und mag Fans von SF- und Fantasyfilmen als richtige Vertonung für Reisen durchs All oder Wanderungen durch von Zombies besiedelte Wüsten erscheinen, den Freund der altbewährten Hausmusik läßt es mit Stirnrunzeln ins Dritte Jahrtausend blicken.

Auch der späte Abend in der Kongreßhalle wird ihm keine große Freude bereitet haben. Dort hat Daniel Teruggi von der 1958 gegründeten GRM („Groupe de recherches musicales“) hochtechnologisches Geschütz aufgebaut, um mit dem Saxophonisten Daniel Kientzky, einem Mischpult, einem Tonband, einem Acousmonium mit zwei Bildschirmen und ca. 30 im ganzen Raum verteilten großen und kleinen, kugelrunden und verschieden eckigen Lautsprechern „konkrete Musik“ zu fabrizieren. „Das Material der konkreten Musik ist der Ton in seinem ursprünglichen Zustand, wie ihn die Natur erzeugt, wie ihn die Maschinen festhalten und wie sie ihn durch ihre Manipulationen verwandeln“, sagte Serge Moreux 1950 beim ersten Konzert mit „Konkreter Musik“.

Ähnlich wie die Klangerzeugnisse von UPIC, so beeindruckt zunächst auch das GRM-Programm mit seinen unbegrenzten Klangmöglichkeiten: Geräuschimitationen vom Düsenjäger im Tiefflug bis zum Vogelpalaver im Urwald, mit flimmerndem Klirren und beängstigendem, weil irgendwie hochgiftig klingendem Schwirren und Zirpen, man fragt sich, ob eigentlich, und wenn ja, wie ein AKW klingt, während es havariert, und zum Beispiel Dioxin einen spezifischen Ton besitzt, das eigentlich Bemerkenswerte ist letztendlich aber, daß GRM und UPIC trotz oder wegen der Unbegrenztheit des Machbaren auf die Dauer so unendlich langweilt und kalt läßt, wohl auch, weil das Wichtigste an der Musik fehlt: die nicht synthetisch herstellbare Seele.

fms

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