: Landwirtschaft-betr.: "Borkener Nachlese des Hormonskandals", taz vom 2.9.88
Betr.: „Borkener Nachlese des Hormonskandals“,
taz vom 2.9.88, S.5
Die Agrarpolitik ist aufgrund ihrer vielfältigen Einflüsse auf alle Lebensbereiche ein für die Grünen hervorragend zu besetzendes Politikfeld. Leider ist es den Grünen noch nicht gelungen, ein eigenständiges Agrarprogramm zu entwickeln, daß dem hohen Anspruch, ökologisch und sozial zu sein, nahekommt. Statt dessen wurden die Positionen der klein- und mittelbäuerlichen Lobbyisten unkritisch übernommen, um damit auf dem Lande auf Stimmenfang zu gehen.
Dies zeigte sich wieder einmal bei der Veranstaltung der NRW-Grünen in Borken. Wie die konservativen Bauernverbände setzen die Grünen auf die sogenannte bäuerliche Landwirtschaft und höhere Erzeugerpreise, sei es auch in Gestalt des gestaffelten Preises (niedrigere Preise für Großerzeuger). Diese Denkweise ist zwar populär, aber grün wird deswegen auf dem Lande noch lange nicht gewählt.
Im übrigen liegen dem grünen Agrarprogramm einige unverständliche und offenbar bewußte Fehleinschätzungen zugrunde.
Auch kleine und mittlere (bäuerliche!) landwirtschaftliche Betriebe setzen keine grundsätzlich andere Technologie (Pflanzenbehandlungsmittel, Kunstdünger, „erlaubte“ Wachstumsförderer, Entwässerungen, usw.) ein als die Großbetriebe, wenn auch die Folgen nicht immer so dramatisch sind wie im Falle des jüngsten Hormonskandals. Die Betriebsgröße ist nicht unbedingt entscheidend für die Umweltverträglichkeit eines Produktionssystems. Eine wirkliche Abkehr von der „harten“ Agrartechnologie bedeutet z.B. der ökologische Landbau, der aber von profilierten grünen Agrarpolitikern nicht immer mit Nachdruck vertreten wird um sich bei den konservativen Bauern nicht unbeliebt zu machen.
Die Forderung nach höheren Preisen, auch als Staffelpreise, würde bei ihrer Verwirklichung verheerende Folgen für Ökonomie und Ökologie haben, wie es die EG-Preispolitik der 60 und 70Jahre gezeigt hat. Negative Entwicklungen wie chemisch-technische Intensivierung, Naturzerstörung, Energieverschwendung, Überschüsse, Importabhängigkeit, Zerstörung der traditionellen Produktionssysteme in den Ländern der sogenannten Dritten Welt, extreme Haushaltsbelastungen, die innerlandwirtschaftliche Einkommensdisparität, usw. wurden maßgeblich durch die Hochpreispolitik hervorgerufen.
(...) Den VerbraucherInnen ist die Kostensenkung durch den enormen technischen Fortschritt in der Landwirschaft ohnehin lange genug vorenthalten worden.
Die Grünen täten sehr gut daran, sich endlich vom ständisch -traditionellen Denken, das auch in der Agrarpolitik vorherrscht, zu lösen. Dazu muß eine andere Preis- und Einkommenspolitik und eine konsequente Einbindung der Landwirtschaft in die Umweltschutzgesetzgebung (Verursacherprinzip) Eingang in grüne Programme finden. (...) Wenn die Grünen eine fortschrittliche und ökologische Partei bleiben wollen, müssen sie auch in der Agrarpolitik Mut zu wirklichen Alternativen zeigen. Die führenden grünen AgarpolitikerInnen sollten z.b. endlich die schon oft vorgetragenen Vorschläge zu direkten, produktionsmengenneutralen Einkommensübertragungen an die Landwirtschaft zur Kenntnis nehmen. Auch nationale Alleingänge in der Agrarpolitik zugunsten des Schutzes der natürlichen Lebensgrundlagen sind durchaus möglich. Sie versprechen sogar wirtschaftliche Vorteile in der Zukunft, wenn auch die EG-Partner sich ihrer ökologischen Probleme bewußt werden.
Thomas Zebunke, Gießen-Wieseck
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